Rahmel: "Ich denke viel daran, wie es weitergeht"
7.2.2015, 16:56 UhrHerr Rahmel, immer, wenn von Ihnen die Rede ist, geht es früher oder später um die Insel Norderney.
Ole Rahmel: Ja, das ist meine Heimat. Meine Mutter stammt von dort. Eigentlich hatte sie immer gesagt, sie würde niemals zurückgehen.
Ist es auf Norderney so schlimm?
Rahmel: Sie fand es einfach schöner in einer Großstadt. Damals bekam mein Vater als Meeresbiologe aber nur einen Job angeboten: auf Norderney. Und so ging es doch wieder zurück. Da war ich ein halbes Jahr alt.
Wie ist das als Kind, auf einer Insel aufzuwachsen?
Rahmel: Wundervoll. Es ist eine heile Welt ohne Sorgen, ohne Kriminalität. Ich bin mit meinem Fahrrad überall hin gefahren – zur Schule, zu Freunden, zum Sport. Autos gibt es kaum. Ich möchte später auch einmal meine Kinder auf Norderney großziehen.
Man kann dort Handball spielen.
Rahmel: Ja, mit fünf Jahren habe ich angefangen, in einer Mädchenmannschaft. Mein Vater ist sehr handballbegeistert. Nach und nach habe ich dann Freunde überredet mitzugehen.
Gibt es nicht viel spannendere Dinge als Handball auf Norderney?
Rahmel: Na ja, ich habe parallel noch lange Fußball, Tennis, Schwimmen und Leichtathletik gemacht. Jeden Tag in der Woche hatte ich Sport. Und Windsurfen im Sommer. Im Handball war ich am erfolgreichsten, wurde zu Auswahlteams eingeladen. Deshalb hat es mir am besten gefallen und ich habe irgendwann nur noch Handball gespielt.
Dafür mussten Sie bald jedes Mal extra aufs Festland fahren . . .
Rahmel: Jedes Wochenende bis ich 16 war, weil ich nach Aurich wechselte, wo die Herren zweite Liga spielten. Unter der Woche hatte ich Schule auf der Insel. Freitags bin ich gependelt mit der Fähre, hatte abends Training, am Wochenende ein Spiel. Ich habe bei einem gutem Freund übernachtet, die Familie hat mich aufgenommen wie einen vierten Sohn.
Trotzdem ging die Entwicklung bald nicht mehr weiter voran.
Rahmel: Nein, die anderen haben mich eingeholt und ich wurde nicht mehr zur Niedersachsen-Auswahl eingeladen. Also habe ich mich in Magdeburg vorgestellt im Internat. Ich habe mich dann aber für das Handballinternat in Gummersbach entschieden.
Von da ab bestimmte Handball vollends das Leben?
Rahmel: So gut wie, ja. Aber wir haben nicht nur Handball gespielt, einmal die Woche hatten wir sogar Bodenturnen. Ich glaube, das Raumgefühl in der Luft, die Körperkontrolle bei hohem Tempo, die kann man heute noch an meinem Spiel erkennen. Davon profitiere ich immer noch sehr.
War das kein bisschen schwierig, dieser Gang allein aus der heilen Welt auf Norderney hinaus ins Internat Hunderte Kilometer entfernt?
Rahmel: Doch, es war eine große Veränderung, aber eine schöne. Ich konnte endlich unter Top-Bedingungen trainieren, mein Ziel verfolgen.
Um ein deutscher Karabatic zu werden? Reich? Berühmt?
Rahmel: Nein, darum ging es mir nie. Schon mit 16 war mir bewusst, dass ich mit Handball nie so viel Geld verdienen werde, dass ich ausgesorgt habe. Wer kann das schon in unserem Sport? Vielleicht zehn, fünfzehn Spieler in der absoluten Weltspitze.
Oder man spielt für Katar.
Rahmel: Mutmaßlich ist das so, ja.
Ist das nicht verheerend für den Sport, was da passiert?
Rahmel: Ich kenne zwei von den Jungs, die sich haben einbürgern lassen für viel Geld. Die kommen aus Verhältnissen, die wir als Deutsche nicht kennen. Bei ihnen hängt ihr Leben davon ab, wie gut sie Handball spielen, wie viel sie damit verdienen. Wenn die so ein Angebot bekommen – dann ist es stückweit nachzuvollziehen.
Wenn der Emir jetzt Ihnen zwei Millionen bietet . . .
Rahmel: Ich würde das nie machen, ich komme nicht aus diesen Verhältnissen. Wegen des Geldes den Verein zu wechseln, das macht man sicher. Aber die Identität verkaufen? Niemals.
Was war dann Ihr Ziel?
Rahmel: Ich wollte über mein Hobby Geld fürs Studium verdienen. Wenn ich das schaffe, dachte ich mir, habe ich alles erreicht. Dann muss ich nicht kellnern gehen, wie all die anderen.
Sie haben diesen Aufwand betrieben für ein wenig Geld neben dem Studium?
Rahmel: Mir gefiel die Situation mit dem Internat. Ich habe mich privilegiert gefühlt. Wenn Mitschüler Party gemacht haben, war ich nicht eifersüchtig. Ich war stolz und glücklich, in einer anderen Position zu sein.
Sie haben nie Party gemacht?
Rahmel: So kann man es auch nicht sagen. Aber erst später, mit 18, 19 Jahren. Es gab einen Ehrenkodex im Internat: Kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten. Danach habe ich gelebt. Mehr noch, ich war so sehr in diesem Tunnel drin, dass ich das erste Jahr sehr stolz war, dass ich keinerlei Fast Food gegessen hatte. Total verrückt.
Haben Sie heute manchmal das Gefühl, etwas verpasst zu haben?
Rahmel: Absolut nicht. Ich habe dort mein Abi gemacht, mit 15 Handballern unterschiedlichen Alters gewohnt. Nach der Schule haben wir trainiert, nachmittags gab es Hausaufgabenbetreuung, dann noch mal Training, essen, schlafen. Am Wochenende zwei Spiele: erst in der Jugend, dann bei den Herren. Jeder Tag war ausgefüllt.
Es gab keinerlei Freizeit?
Rahmel: Die brauchte ich nicht. Ich lebte in diesem Moment, er war das Schönste. Und es ging rasend schnell voran: bald habe ich mit den Profis trainiert, mit 17 mein erstes Bundesligaspiel gemacht – vor 9000 Zuschauern.
Und die anderen?
Rahmel: Es gab keine Auslese, man hat niemanden einfach weggeschickt.
Spielt heute außer Ihnen noch jemand aus dem Internat Bundesliga?
Rahmel: In der zweiten Liga spielen zwei. Die meisten haben andere Wege eingeschlagen. Ein ehemaliger Mitspieler leitet heute zum Beispiel das Internat.
Warum endete der Höhenflug?
Rahmel: Ich kam nie über den Status Jugendspieler hinaus. Ich habe das jahrelang versucht, aber es ist schwierig, Anerkennung zu bekommen, wenn man kaum spielen darf. Ich hatte damals Mitspieler aus der absoluten Weltspitze, war 17 oder 18. Das ist nicht zu vergleichen mit der Situation, wie wir sie heute beim HCE haben.
Wie ist es denn dort?
Rahmel: Familiärer. Es ist etwas Besonderes beim HC Erlangen.
War das der Grund des Wechsels?
Rahmel: Nein, ich wusste damals nicht, dass es in Erlangen so sein würde. Ich wollte eine ambitionierte Rolle spielen in einer Mannschaft, die früher oder später in die Bundesliga aufsteigen wird. Ich kannte niemanden aus der Mannschaft, auch den Trainer nicht.
Trotzdem war es nur 2. Bundesliga.
Rahmel: In Gummersbach war ich natürlich froh etwas erreicht zu haben, den Europapokal, die Bundesliga. Aber ich war nicht glücklich mit meiner Situation. Handball hat keinen Spaß mehr gemacht.
Sie haben überlegt, alles hinzuschmeißen?
Rahmel: Manchmal schon. Es war extrem. Ohne meine Eltern und meinen Berater hätte ich es nicht geschafft aus diesem Tief herauszukommen. Ich hatte vielleicht nie den Gedanken, den Sport an sich aufzugeben, aber wollte nicht mehr Profi werden. Ich wollte in die dritte Liga, weniger Aufwand haben, mein Studium forcieren.
Sie sind dann zu Tusem Essen gewechselt in die zweite Liga.
Rahmel: Das war ein Glücksfall. Ich habe den Schritt gemacht vom Bank- zum Stammspieler. Der Trainer hat diszipliniert spielen lassen – davon haben die Außenspieler enorm profitiert. Es durfte aus dem Rückraum nicht geworfen werden, es musste gepasst werden, bis einer frei war — das war meistens ich auf Rechtsaußen.
So wurden Sie im Aufstiegsjahr Zweitligatorschützenkönig.
Rahmel: Ja, dabei hatte ich gar keine guten Quoten. Manchmal habe ich 15 mal geworfen und nur acht Tore gemacht.
Nach dem Bundesligaabstieg sind sie zum HCE in die zweite Liga. Alles lief gut – bis Sie vor Weihnachten in ein Formtief fielen. Hat Ihnen da geholfen, was Sie in Gummersbach erlebt haben?
Rahmel: Auf jeden Fall. Dir wird wieder bewusst: Es kann nicht alles von allein laufen.
Weil die Euphorie in Erlangen riesig war?
Rahmel: Die hat es eher erschwert. Ich habe vielleicht die Erwartungen übertroffen, es kam die Nominierung zum All-Star-Spiel, das hat jedes schwächere Spiel überlagert, die Objektivität ging verloren. Dann kam das Formtief und keiner konnte sich das erklären. Hätte ich diese Situation mit 18, 19 gehabt wäre ich vielleicht daran zerbrochen.
Beim HC Erlangen, sagen Sie, ist es etwas Besonderes.
Rahmel: Ja, ich habe erst auf der Karte gesucht, wo Erlangen überhaupt ist. Dann kam ich aus dem Ruhrgebiet, wo die Menschen sehr ehrlich sind, aber die Gegend nicht besonders schön, in eine heile, schöne Region. Dabei hatte ich immer gesagt, mich zieht es nicht in den Süden. Und jetzt ist es nirgendwo so schön wie hier — nur das Meer vermisse ich sehr.
Dafür gibt es die Berge.
Rahmel: Ja, aber ich war erst über den Jahreswechsel wieder zu Hause und jeden Tag am Strand. Diese Verbindung zum Meer kann man nicht beschreiben, sie ist etwas Besonderes. Das ist meine Heimat, es hat eine beruhigende Wirkung auf mich — und gleichzeitig eine Belebende.
Wann werden Sie Ihren Vertrag verlängern?
Rahmel: Ich denke ich viel daran, wie es weitergeht. Mein Vertrag gilt noch bis 2016 und es ist nicht so, dass andere Vereine kein Interesse hätten. Ich bin hier glücklich, ich habe alles, was ich brauche. Doch: Wie schnell entwickle ich mich weiter, wie der Verein? Diese Entscheidung ist sehr davon abhängig, in welcher Liga wir spielen werden. Ich kann nicht sagen, ich geh’ nicht mehr in die zweite Liga, aber ich würde es ungern tun.
Also darf der HCE nicht absteigen.
Rahmel: Ich denke, wir haben gute Chancen. Wir spielen noch gegen viele direkte Konkurrenten. Da haben wir etwas gutzumachen, diese Spiele werden den Ausschlag geben. Das erste davon kommt am Sonntag in der Arena auf uns zu, gegen Balingen-Weilstetten, ein Vier-Punkte-Spiel. Von denen haben wir bislang alle verloren.
Warum eigentlich?
Rahmel: Ich glaube, uns liegt mehr die Rolle des Underdogs. Wir müssen also unsere Mentalität ändern, dass wir auch gute Favoriten sind, uns nicht aus der Ruhe bringen lassen, nicht nervös werden, nicht unkonzentriert – was uns bisher zu oft passiert ist.
In der Aufstiegssaison begleitete die Mannschaft ein Motto, ein Plakat: „Tour der Franken“.
Rahmel: Auch jetzt haben wir eins. Eine Metapher, die uns Schub geben soll.
Darf man das Motto verraten?
Rahmel: Ich glaube, da würde der Trainer ziemlich sauer sein, wenn ich das tue. Und es gibt kaum Schlimmeres als einen verärgerten Frank Bergemann.
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