Wie man für den Club die Gegner seziert

17.7.2013, 06:58 Uhr
Scharfes Auge: Sebastian Zelichowski kennen nicht viele, für den FCN ist er aber enorm wichtig.

© Sportfoto Zink / DaMa Scharfes Auge: Sebastian Zelichowski kennen nicht viele, für den FCN ist er aber enorm wichtig.

Im Moment sind die Wege von Sebastian Zelichowski ungewohnt übersichtlich. Normalerweise führt Zelichowski ein Leben auf der Autobahn, knapp 100.000 Kilometer schafft er im Jahr. Jetzt ist er mit dem 1. FC Nürnberg im Trainingslager am Chiemsee, er pendelt nur auf dem Fußweg zwischen Mannschaftshotel und Trainingsplatz. Zelichowski ist der Spielanalyst beim 1. FCN. Daran und an den 100.000 Autobahnkilometern im Jahr hat auch Zettel-Ewald eine Teilschuld.

Zettel-Ewald — so haben sie einst den Fußballtrainer Ewald Lienen getauft. Der stand während eines Bundesligaspiels stets an der Seitenlinie und machte sich Notizen. Das wirkte ein wenig befremdlich auf manchen Beobachter, und der Spitzname sollte diesem Befremden Ausdruck verleihen. Wenn Zelichowski jetzt manchmal auf der Tribüne eines Bundesligastadions sitzt, dann sieht er ein bisschen aus wie: Zettel-Ewald.

Entdecker Lienen

Lienen ist einst beim 1. FC Köln auf das Talent Zelichowski aufmerksam geworden. Der Fußballspieler Zelichowski stand kurz vor dem Sprung in die Kölner Jugendmannschaft, aber die Ärzte rieten ihm bald ab von einer Karriere als Profi. Also wurde Zelichowski Trainer, er begann im Nachwuchs der Kölner eine neue Laufbahn. Wieder wurde Lienen aufmerksam auf ihn und schickte ihn irgendwann los, einen der kommenden Gegner zu beobachten. „Ich glaube, du kannst das“, hat Ewald Lienen gesagt.

Zelichowski konnte das tatsächlich, sein Studium an der Sporthochschule hat er deshalb bald ausgesetzt, weil er gemerkt hat, dass er ein Talent dafür hat, das Spiel zu sezieren. „Vor sieben, acht Jahren hat man Menschen wie mich als Schnittfrosch bezeichnet, aber darauf hat man das damals schon nicht reduzieren können“, sagt Zelichowski. Sie haben ja damals schon nicht nur mit Zetteln gearbeitet, wenn es darum ging, die eigene Mannschaft auf das Spiel des Gegners vorzubereiten. Videoaufnahmen haben sie damals schon gemacht – und Menschen wie Zelichowski trennten dann das Wichtige vom Unwichtigen. Aber wirklich anerkannt war ihre Arbeit nicht.

Videomitschnitte gibt es heute immer noch, aber Schnittfrosch sagt keiner mehr. „Das Aufgabenfeld hat sich brutal gewandelt“, sagt Zelichowski. Das liegt zum einen an einer verbesserten Technik, vor allem aber daran, dass man im modernen Fußball vermehrt Wert legt auf die fundierte Analyse. Deshalb ist Zelichowski jetzt ständig unterwegs, wenn die Saison läuft. Drei Bundesliga-Spiele sieht er im Schnitt an einem Wochenende, versucht jeden Gegner mindestens „drei- bis viermal im Jahr“ zu beobachten. Wie funktioniert der Spielaufbau, wer übernimmt beim Gegner wann eine zentrale Rolle, wie verhält sich eine Mannschaft bei Freistößen, wo kann man Muster erkennen — das alles soll zunächst einmal Zelichowski erkennen. Und im Stadion schreibt er das tatsächlich alles erst einmal auf einen Zettel, genau so, wie das damals Lienen gemacht hat. 90 Minuten, sagt Zelichowski, schreibt er durchgehend mit, damit sie später wissen, wie sie das Videomaterial noch etwas effizienter filtern können.

Nach Nürnberg ist er vor drei Jahren gekommen, das Angebot von Martin Bader hat ihm, der zuvor für Hannover 96 gearbeitet hat, gefallen. Sie haben vielleicht nicht das größte Team beim 1. FCN — aber innovativ wollen sie sein. Und sie haben Trainer, die sich offen geben. „Die Videoanalyse ist für uns enorm wichtig“, sagt Michael Wiesinger. Regelmäßig bekommen die Spieler Sequenzen vorgeführt, wobei das selbstverständlich längst Standard ist in der Bundesliga.

Mit den Strafaktionen der Vergangenheit hat das nicht mehr viel zu tun. Auch Wiesinger hat das ja als Spieler erlebt, dass der Trainer nach einer Niederlage auf der Heimfahrt im Bus noch einmal die kompletten 90 Minuten gezeigt hat. „Da hat kaum einer hingesehen“, sagt Wiesinger.

Freude auf Guardiola

Jetzt zeigen sie den Spielern Videos, die knapp 15 Minuten dauern — geht es länger, leidet die Aufmerksamkeit. Weil es trotzdem Spieler gibt, die etwas mehr wollen, haben sie im vergangenen Sommer ein internes Videoportal eingerichtet beim Club. „Das war der Wunsch der Mannschaft“, sagt Zelichowski, der sich als Zuarbeiter sieht für Wiesinger und Armin Reutershahn.

Jetzt kann sich jeder von seinem Smartphone oder seinem Laptop aus einloggen, kann sich noch einmal die Arbeit der Viererkette des VfL Wolfsburg ansehen, kann schauen, was er selbst im letzten Spiel schlecht oder gut gemacht hat. Siege garantiert die Arbeit am Laptop aber nicht. „Dafür ist Fußball ein viel zu komplexes Spiel“, sagt Zelichowski, „die Unwägbarkeiten sind enorm.“

Seinen Vertrag hat er kürzlich bis 2016 verlängert. Es gibt ja noch genügend zu entdecken. Auf Pep Guardiola, sagt Zelichowski, freut er sich. „Mit ihm kommen neue Impulse in die Bundesliga.“ Wobei: Als Guardiola kürzlich den FC Bayern übernommen hat, fiel den Beobachtern unter anderem auf, dass da einer gekommen ist, der Zettel mitbringt auf den Trainingsplatz, viele Zettel.

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