Von der „Berlinifizierung“ Nürnbergs

11.1.2014, 00:00 Uhr
Von der „Berlinifizierung“ Nürnbergs

Herr Murschall, Sie sind als Fotograf mit Ihrer Kamera sehr viel in Berlin und Nürnberg unterwegs. Wieso haben es Ihnen ausgerechnet diese beiden Städte als Motiv angetan?

Dirk Murschall: Ich würde nicht sagen, dass ich mir die Städte ausgesucht habe, vielmehr haben sie sich mir aufgedrängt. In Berlin bin ich seit den 90ern immer wieder für kurz oder lang zu Besuch, nach Nürnberg verschlug es mich irgendwann beruflich. Die Kamera und ein wachsames Auge waren meist dabei.

Eine Ihrer Fotoserien, die in beiden Städten entstand, zeigt geparkte Autos vor Mietshäusern. Da mögen sich manche fragen: „Hat der denn nichts Schöneres zu fotografieren?“

Murschall: Wieso glaubt man überhaupt, dass Fotografie den Anspruch haben muss, Schönes zu zeigen? Schönheit kann beliebig und auswechselbar sein, gerade wenn sie perfekt ist. Schönheit wird dann schnell uninteressant, gerade wenn sie nichts zu erzählen hat. Vielleicht ist es sogar besser, von vornherein eher Interessantes zu fotografieren und die Schönheit im Detail zu suchen. Ich interessiere mich für urbane Szenerien und die Widersprüche die dort zu entdecken sind. Die Bilder, die dort entstehen, sind möglicherweise nicht im klassischen Sinn schön, aber sie sind interessant, sie haben einen besonderen Blick und daraus kann sich wieder Schönheit entwickeln.

Was halten Sie von Motiven, die man als klassische Idyllen bezeichnet – also Landschaften im Nebel, Sonnenaufgang an der Pegnitz... scheußlich?

Murschall: Ein schönes Motiv ist ein schönes Motiv. Aber ein Bild sollte mehr sein als pure Dokumentation. Ein gutes Foto transportiert eine Geschichte oder Emotion. Es zieht an oder stößt ab. Es stellt einen Bezug zum Betrachter her. Streichelt das Heimatgefühl oder erzeugt Fernweh. Interessanter wird es allerdings, wenn ein Bild gewisse Konventionen umgeht oder neckisch mit den Erwartungen des Betrachters spielt. Ich würde dem Sonnenaufgang an der Pegnitz also noch eine Industrieruine mit reingeben, um einen etwas anderen Blick zu wagen.

In Ihrem Blog bezeichnen Sie Ihre Arbeit als „subjektiven Urbanismus“. Erklären Sie uns das doch bitte mal näher...

Murschall: Wäre es „objektiver Urbanismus“, würde ich aus einem Stadtplanungsbüro heraus bloggen und professionell die bauliche Gestalt der Stadt beschreiben und bewerten. Ich nehme aber die Rolle eines Bewohners und Bürgers ein, der sich in seiner Stadt bewegt, sie bewertet und sie ein Stück weit zu gestalten versucht. Das passiert nun mal eher auf einer emotionalen und persönlichen Ebene.

Von der „Berlinifizierung“ Nürnbergs

© Murschall

Sie haben mal von einer „Berlinifizierung“ Nürnbergs gesprochen. Was meinen Sie denn damit?

Murschall: Ohne jetzt lange auszuholen, das Wort ist eine Anlehnung an die Gentrifizierung: Nürnberg war in meiner Wahrnehmung beispielsweise in Sachen Café oder Barkultur absolutes Brachland. Es herrschte biedere, schmuck- und anspruchslose Wirtshauskultur. Kaum eine Lokalität versprühte Charme oder lud zum angeregten Verweilen ein. Das ändert sich gerade seit ein/zwei Jahren. Eine Öffnung findet statt, es gibt viel mehr Staßencafés und die Läden werden individueller. Auf eine angenehme und abwechslungsreiche Raumgestaltung wird Wert gelegt, ein künstlerischer Anspruch hält Einzug. Das Design zählt und es ist Mut zu alternativer Musik in den Bars entstanden. Alles Dinge, die ich aus Berlin schon lange kannte und die mir mehr und mehr jetzt auch in Nürnberg begegnen.

Wenn Sie trotz dieser von Ihnen festgestellten Annäherung die wichtigsten optischen Unterschiede zwischen den beiden Städten benennen müssten — was fiele Ihnen da ein?

Murschall: Beide Städte können sehr hässlich sein. Nürnberg kann das aber im Winter durch die hohe Verdichtung, die Enge und Gemütlichkeit besser kompensieren. Berlin kann, wie Nürnberg, auch sehr dörflich sein, hat aber durch seine Weitläufigkeit, die großzügigere Architektur, das viele Wasser und den immer noch anzutreffenden Anarcho-Charme dann doch einen urbaneren Charakter.

Welche Orte und Motive würden Sie sich aussuchen, wenn Zeit und Geld keine Rolle spielen würden?

Murschall: Es geht mir nicht darum, irgendwo das perfekte Foto zu machen, vielmehr versuche ich, Bilder zu machen, die man so von einem Ort nicht erwartet hätte oder die dem Ruf eines Ortes widersprechen. Auf Reisen verlasse ich die Touristenwege und blicke hinter die Kulissen. Ich würde nicht den Eiffelturm fotografieren, sondern das Graffiti daneben oder die rostige Schraube an der Tür zum Aufzug. Ich würde also berühmte Orte aufsuchen und versuchen, ihre Makel zu finden und sie optisch zwar nicht zu dekonstruieren, aber zu erden und etwas von ihrem Sockel zu holen.Interview:
 

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