Wenn Merkel und ihre Minister übers Lufttaxi staunen
5.12.2018, 08:00 UhrDer, schließlich doch durch eine menschliche Moderatorin angesagt, erinnerte an die Bedenken gegen die erste deutsche Eisenbahn von 1835, um jene gegen Digitalisierung zu zerstreuen: "Was gab es da für Diskussionen?", sagte er, zum Beispiel, ob nicht bei einer damals furchterregenden Geschwindigkeit von 35 Kilometern pro Stunde das Gehirn aus den Ohren gezogen werde. Seine Lehre nicht nur aus dieser Geschichte: "Technologie-Innovationen machen das Leben in der Regel besser."
Mit seinem Optimismus lag er auf der gleichen Wellenlänge wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der sich in Superlativen übertraf: Künstliche Intelligenz hält er für die größte Innovation seit der Erfindung der Dampfmaschine, und: "Jetzt wird die Welt noch einmal neu erfunden." Aufhalten könne Politik diese Entwicklung nicht - ebenso wie die Entwicklung von Eisenbahn, Auto, Telefon oder Smartphone zu stoppen war.
Vom Jammern über die Schwächen des Technologiestandorts Bundesrepublik wollte er unter diesen Umständen natürlich nichts wissen. Weltweit arbeiten 40 Prozent der besten Forscher in der Bundesrepublik, rechnete er vor. Bloß hätten die häufig Verträge mit US-Giganten wie Google oder Amazon, die ihre Resultate dann verwerteten.
Millionensummen fehlen
Auch in Sachen Start-ups, kleiner Firmen mutiger Jungunternehmer, sieht er die Bundesrepublik auf der positiven Seite: Die Förderung in der Anfangsphase klappt in seinen Augen ganz gut - bloß dann, wenn es ernst wird, wenn Millionensummen in zweistelliger Höhe gebraucht werden, dann fehlen jedenfalls einheimische Investoren.
In diese Lücke springen dann US-amerikanische oder chinesische Investoren, die solche Firmen, wenn erfolgreich, nach und nach Unternehmen aufkaufen. Hier sieht Altmaier Versicherungen oder auch Banken gefordert, die solches Risikokapital zur Verfügung stellen sollten.
Wenn das Wissen ins Ausland wandert oder dort gekauft werden muss, dann sieht selbst ein notorischer Optimist wie Altmaier Schwierigkeiten. 80 Prozent der Oberklasse-Autos stammen aus der Bundesrepublik, 90 Prozent der Wertschöpfung geschieht in Europa. Wenn aber jetzt das selbstfahrende Auto kommt mit Informationstechnologie von einem Konzern wie Google und Batterien aus China, dann fallen 60 Prozent weg.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war gegen Mittag pünktlich zum Digitalgipfel gekommen und hatte sich mit den anderen Kabinettsmitgliedern die kleine Ausstellung zeigen lassen. Zum Beispiel ein in Deutschland entwickeltes Lufttaxi oder aber ein Smarthome, bei dem sich Heizung oder Licht vernetzt steuern lassen. Ihre Mittagspause hatte sie für Hintergrundgespräche mit hochrangigen Gipfelteilnehmern um eine Viertelstunde überzogen; so lange musste das Plenum warten.
Sie musste dort auf Achim Berg antworten, den Präsidenten des Branchenverbandes Bitkom. Der hatte zuerst in Altmaier-Manier das Land gelobt: "Wir vergessen, wie gut wir sind." Dann aber kritisierte er besonders jene Bundesländer, die den Digitalpakt ablehnen, der die bessere Ausstattung von Schulen mit fünf Milliarden Euro fördern will. Dort teilen sich derzeit neun Schüler einen Laptop - schon ein Fortschritt, denn vor Jahren waren es noch elf.
Vorsichtige Formulierung
Also verteidigte Merkel erst pflichtgemäß den Bildungsföderalismus und vermutete als Hintergrund des Konflikts, dass die Länder womöglich noch ein paar Euro mehr heraushandeln wollten. In anderer Hinsicht zeigte sie sich durchaus lernfähig; denn weil sie in Zusammenhang mit der Digitalisierung einmal das Wort Neuland verwendet hatte, war ein Shitstorm die Reaktion. Deshalb formulierte sie jetzt: "Wir bewegen uns gewissermaßen auf noch nicht durchschrittenem Terrain."
Das verunsichert offenbar auch die Bürger; schließlich steht eine Disruption an, eine plötzliche Veränderung, und das bedeutet, wie auch Merkel weiß, "Erschütterung". Es dürfe nicht passieren, dass sich ein Teil der Gesellschaft als Elite bezeichnet und ein anderer als abgehängt fühlt: "Das muss gewissermaßen eine Erfolgsgeschichte werden, wie die soziale Marktwirtschaft es ja auch war. Wohlstand für alle, das muss auch die Zukunftsmelodie sein im Zeitalter der Digitalisierung."
Und dann ist da noch die Sache mit den Arbeitsplätzen. Millionen werden verschwinden, Millionen werden neu entstehen - das weiß auch Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Er ist in diesem Punkt, anders als viele Skeptiker, sehr zuversichtlich: Immerhin stehen bundesdeutsche Firmen weltweit an der dritten Stelle, wenn es um den Einsatz von Robotik geht. Trotzdem sei die Beschäftigungsquote derzeit so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung.
Als Beispiel nennt er auch den Hamburger Hafen Altenwerder, weitgehend digitalisiert in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat. Ergebnis: Kein Arbeitsplatz fiel weg.
Verkehrsminister Andreas Scheuer schließlich zeigte, dass er in Sachen Nürnberg Informationsbedarf hat: Für das Jahr 2025 empfahl er einen selbstfahrenden Kleinbus, um vom Hauptbahnhof an den Tagungsort Messe zu kommen. Aber auch in sieben Jahren wird die U-Bahn auf dieser Strecke noch deutlich schneller sein, ob mit oder ohne Fahrer.
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