Wie Schuco in 100 Jahren zum Kult wurde

1.10.2012, 09:00 Uhr
Wie Schuco in 100 Jahren zum Kult wurde

© Anestis Aslandidis

Sein ganzes Berufsleben lang saß Heinrich Sieber „an der Quelle“, wie er sagt. Vom Lehrling für Industriekaufmann bis zum Geschäftsführer war Sieber in der Spielzeugbranche tätig, für die Nürnberg einst berühmt war und heute, nimmt man die Nachbarstadt Fürth hinzu, noch immer ist. Und wer „an der Quelle“ sitzt, bei dem sammelt sich in den Jahrzehnten schon was an.

1700 bis 1800 Teile Spielzeug, fast alles Autos, werden es schon sein, die er in all den Jahren mit nach Hause brachte, schätzt Heinrich Sieber. Bis seine Frau meinte, jetzt sei es genug. Da schauten sich die Siebers nach einer passenderen Lösung für die umfangreiche Sammlung um.

Wie Schuco in 100 Jahren zum Kult wurde

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Fündig wurden sie in Cadolzburg (Kreis Fürth). Am Marktplatz erwarben die Siebers ein denkmalgeschütztes ehemaliges Bürgerhaus, renovierten es gründlich und richteten ein kleines Museum ein. Der Zugang ist unauffällig, fast versteckt zwischen Brillengeschäft und Eiscafé, was darauf hindeutet, dass nur vorangekündigtes Publikum Zutritt hat. Doch wer es betritt, der ahnt, warum Schuco zu den führenden Spielzeugherstellern zählte. Und es gerade heute mehr denn je ist.

Es begann mit Plüschtieren. Doch die Schuco-Tierchen standen nicht einfach nur da, sondern eine komplizierte Mechanik sorgte dafür, dass sie sich bewegen, drehen, laufen konnten. Geradezu Kult wurde der Pick-Pick, 1928 präsentiert, ein kleiner Blechvogel, der eben tat, was Vögel tun: picken. Gut 20 Millionen Stück davon wurden verkauft. Oder der Tricky-Schimpanse, der seinen Kopf bewegen konnte. Oder eine Rollmaus, die von einem Uhrwerk bewegt wurde. Oder Donald Duck, der sogar über eine Stimme verfügte.

Impressionen aus dem Schuco-Museum.

Impressionen aus dem Schuco-Museum. © Anestis Aslandidis

Erst rund 20 Jahre nach der Firmengründung befasste sich das Unternehmen auch mit der Herstellung von Spielzeugautos. Und wieder waren es kleine technische Glanzstücke, die Schuco auszeichneten. Das Patent-Motor-Car zum Beispiel: Ein Spielzeug-Wendeauto, das niemals von einem Tisch herunterfällt — noch heute wird es produziert. Oder der Studio Racer, der dem legendären Mercedes-Silberpfeil W25 nachempfunden war und mit abschraubbaren Rädern und einem Differenzial an der Hinterachse ausgestattet war. Es ist das wohl am häufigsten durchgängig produzierte Spielzeugauto der Welt, schreibt der Fachjournalist Andreas Berse in seinem Buch „Die Schuco-Saga“, das zum Jubiläum erschienen ist. Bis heute ist der Studio Racer im Programm, und es ist wohl kein Wunder, dass er das Lieblingsmodell von Heinrich Sieber ist. In seinem Museum kann er zeigen, wie aus einzelnen Arbeitsschritten und Teilen das ganze Spielzeugauto wird.

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Rund 1000 Menschen arbeiteten in den 30er-Jahren für Schuco. 1937 kam das Kommando-Auto auf den Markt, das auf einen Pfeifenpfiff hin losfuhr. Das Geheimnis war eine Membran, die das für den Vortrieb verantwortliche Uhrwerk steuerte. Es folgten Garagenautos, deren Aufzugswerk sie einparken und ausparken ließ; das Radio-Auto, das mit einem Spielwerk kombiniert war. 1939 dann kommen zwei Modelle auf den Markt, Examico und Akustico genannt, die funktionstüchtige Gangschaltungen hatten.

Nach dem Krieg durfte Schuco zwar weiterproduzieren, zunächst aber nur für den Export, in Deutschland startete der Verkauf erst wieder nach der Währungsreform 1948. Und wieder brachte Schuco echte Innovationen auf den Markt. Erwähnt sei das Varianto-Spielsystem aus dem Jahr 1951, ein Vorläufer der heutigen Autorennbahn.

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1958 stirbt Firmengründer Heinrich Müller. Gleichzeitig vollzieht sich ein Wandel in der Firmenphilosophie. Schuco entwickelt nicht nur mehr Fantasieautos, sondern baut reale Autotypen en miniature, aber bis ins Detail nach. Müllers Sohn Werner übernimmit die Firma, allerdings überzeugte er eher als Lebemann denn als Unternehmer. Bis 1976 vollzog sich, von der breiten Öffentllichkeit nahezu unbemerkt, da der Firmensitz in der Fürther Straße — am heutigen Datev-Standort — stetig gewachsen war, ein langsamer Abstieg, der Konkurs stand bevor. Wie es dazu kam und wie Schuco sich schließlich mühsam wieder aufrappelte, zeigt Berse mit ausführlichen Zitierungen aus der Berichterstattung der Nürnberger Zeitung.

Klar wird: damit hatte niemand gerechnet. Schuco, finanziell ausgezehrt, wurde von der englischen Firma DCM übernommen, die den Ruf der Marke mit einer Billigstrategie ruinierte. 1980 war denn auch DCM pleite.

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Schuco kam zur Unternehmensgruppe Mangold (Trix, Gama), die berühmten piccolos wurden wiederbelebt, Industrieaufträge beschafft. Der noch immer gute Name von Schuco half dabei. Schließlich interessierte sich die Simba-Dickie-Gruppe in Fürth für Schuco, 1999 erfolgte die Übernahme. Die Zeit, als Heinrich Sieber – nicht verwandt mit den Simba-Dickie-Gründern Fritz und Michael Sieber — sich um Schuco kümmerte und für neue Produktlinien und Vertriebskanäle sorgte. Der neue Eigner gab Schuco wieder genug Luft zum Atmen Heute gilt Schuco längst wieder als das, was es nach Meinung vieler Kenner wie Andreas Berse immer war: der Mercedes-Benz unter den Spielzeugproduzenten.

Dazu passt, dass Schuco die Produktion seiner Zinkdruckguss-Miniaturen sukzessive von China nach Deutschland zurückholt, wie Heinrich Sieber erklärt. Das VW Käfer Cabriolet und der VW T1 Bulli werden bereits wieder hier produziert, und zwar bei der Firma Rietze in Altdorf (Kreis Nürnberger Land).

So hat jedes Modell in Heinrich Siebers Sammlung seine eigene kleine oder größere Geschichte. Und seinen Wert. Sieber zeigt zum Beispiel auf ein Dreier-Set, bestehend aus Porsche 356, VW Käfer und VW Bulli T1, alle im typischen Blauton des Bayerischen Rundfunks. Hübsch für den Laien, wertvoll für den Kenner und Sammler, gar die wertvollsten Stücke in der Sieber’schen Sammlung, weil extrem selten. Doch das Kistchen, in dem das Set einmal verpackt war, hat selbst der ehemalige Firmenchef nicht.

Wie Schuco in 100 Jahren zum Kult wurde

100 Jahre Schuco, das muss natürlich ein Thema für das Nürnberger Spielzeugmuseum sein, und ist es auch. Am 13. November wird die Sonderausstellung eröffnet, kündigt Museumsleiter Helmut Schwarz an. Gezeigt wird die ganze Bandbreite von Schuco, von den historischen Tierfiguren bis hin zu aktuellen Modellen. Dabei kann sich das Museum aus eigenen Beständen, aber auch aus Privatsammlungen wie der von Heinrich Sieber bedienen. Als Reminiszenz an Firmengründer Heinrich Müller habe man sogar das ehemalige Café Wintergarten in der Luitpoldstraße nachgebaut, in dem der geniale Erfinder gerne seine Skizzen anfertigte. Bis April 2013 werde die Ausstellung dauern, so Museumsleiter Schwarz. Denn man rechnet mit vielen Besuchern, vom Kind bis zum Opa. Denn Schuco kennen alle.

Buchtipp: „Die Schuco-Saga“ von Andreas Berse, erschienen im Verlag Delius Klasing, 176 Seiten, viele Bilder von aktuellen und historischen Modellen, 29,90 Euro.

Das Schuco-Museum von Heinrich Sieber in Cadolzburg (Marktplatz 17) kann nur nach Voranmeldung besucht werden. Informationen Donnerstags von 9 bis 18 Uhr unter 09103/ 7908938.