Nach Aus für Otto-Katalog: Welche Zukunft hat Gedrucktes?

11.1.2019, 15:54 Uhr
Nach Aus für Otto-Katalog: Welche Zukunft hat Gedrucktes?

© Martin Regner

Die Antwort auf die Frage nach der Zukunft von gedruckten Medien klingt aus dem Mund des Nürnberger Kommunikationswissenschaftlers Raimar Zeh sehr pragmatisch: "Ganz einfach: Sie werden verschwinden." Auf den ersten Blick scheint die Entwicklung tatsächlich nur eine Richtung zu kennen: Nach unten. 1999 erreichte der Quelle-Hauptkatalog noch eine Auflage von acht Millionen Stück, aber schon zehn Jahre später war Schluss. 2009 verließ der letzte Quelle-Katalog die Druckerei. Und 2018 gab der Otto-Versand bekannt, dass auch hier die Zeiten des dicken Hauptkatalogs auf Papier vorbei sind: Der letzte Jahrgang wurde, wie berichtet, im November gedruckt.

Sowohl beim Traditionshaus Quelle als auch bei Otto macht sich der Onlinehandel immer stärker bemerkbar; die heute gefragten großen Namen heißen etwa Amazon, Ebay oder Zalando. Gedruckten Nachschlagewerken erging es nicht viel anders: "Die Zeit, in der man sich eine hervorragende Enzyklopadie von anderthalb Metern Umfang ins Regal stellt, um sich dort herauszusuchen, was man wissen will, scheint vorbei zu sein", sagte Klaus Holoch als Sprecher des Brockhaus-Lexikonverlags im Jahr 2008 der Zeitung Die Welt.

Auch das einst nicht minder renommierte Meyers Lexikon ist in seiner haptisch greifbaren Form heute nur noch im Buch-Antiquariat zu haben. Neu hergestellt wird es nicht mehr. Die Konkurrenz heißt auch hier Internet: Wer heute etwas wissen will, googelt. Und landet dann meist bei Wikipedia.

Vor dem Markt für Zeitungen macht die Digitalisierung deswegen nicht halt: Die Zeitung Alles für kostenlose private Kleinanzeigen verschwand kurz nach der Jahrtausendwende aus den Regalen der Supermärkte und Kioske. Seitdem wirbt die Quoka GmbH ausschließlich im Internet um Anzeigenkunden. Und die Tageszeitung taz aus Berlin spekulierte kürzlich öffentlich darüber, in Zukunft verstärkt für Online-Abos zu werben und ein Ende der gedruckten Zeitung zumindest an Wochentagen zu erwägen. Eine taz auf Papier könnte es dann womöglich nur noch am Wochenende geben.

Gedrucktes und Geschriebenes auf Papier erreicht - bei guter Lagerung - eine Lebensdauer von 500 bis 1000 Jahren.

Gedrucktes und Geschriebenes auf Papier erreicht - bei guter Lagerung - eine Lebensdauer von 500 bis 1000 Jahren. © Stefan Blank

Aber, und das ist die eigentliche Überraschung, es geht auch andersherum: 1990 kam eine ganz neue Zeitung auf den Markt — und das sogar auf Papier. Es handelt sich um die Wochenzeitung Der Freitag. Seit dem Jahr 2006 ist seine gedruckte Auflage kontinuierlich gestiegen auf rund 29 500 Exemplare bis Ende 2016.

Auch der Weg vom Digitalen ins Gedruckte wird beschritten: Nach Angaben der Wikimedia-Foundation gibt es schon 88 fertige Lehr- und Sachbücher, die komplett aus Wikipedia-Artikel zusammengestellt wurden. Diese 88 Bücher können als gedrucktes Wikibook bestellt werden, genau wie jeder beliebige Wikipedia-Artikel, den jemand in ein individuelles Wikibook einbindet und sich im On-Demand-Verfahren drucken lässt.

Mehr Übersicht im gedruckten Kalalog

In den USA hat ausgerechnet der Online-Riese Amazon gerade seinen ersten gedruckten Warenkatalog aufgelegt und verbreitet. Die Überlegung dahinter: Den Kunden das Finden geeigneter Artikel zu erleichtern, die sonst in den unendlichen Weiten der Angebotsvielfalt im Internet den Überblick verlieren würden. Und der Ikea-Katalog ist nach eigenen Angaben des schwedischen Unternehmens "das auflagenstärkste Buch der Welt". Er erscheint in einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren in insgesamt 35 Sprachen.

Da passt es ins Bild, wenn Anja Pasquay, Sprecherin des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), zu der Einschätzung gelangt, dass das gedruckte Wort "eine lange, große und gute Zukunft" habe. Man könne das Bestehen gedruckter Zeitungen "noch in Jahrzehnten messen." Der Untergang der Zeitung sei schon oft vorhergesagt worden, etwa bereits im Jahre 1907 von dem Medienwissenschaftler Robert Brunhuber. Bislang hätten sich jedoch alle Untergangspropheten geirrt.

Dafür, warum das so ist, nennt Pasquay drei Gründe. Erstens: "Es ist der Charme einer Tageszeitung, dass sie eine Wundertüte ist, die einem alles anbietet. Sie werden darin sehr viel finden, wovon Sie vorher noch gar nicht wussten, dass es sie interessieren wird." Dann bringt die BDZV-Sprecherin einen zweiten Aspekt ins Spiel: Haltbarkeit. Alles, was auf qualitativ hochwertiges Papier gedruckt wird, könne bei guter Lagerung 500 bis 1000 Jahre überdauern. Die heutigen Internetgiganten wie Google und Facebook wird es, so Pasquay, dann schon längst nicht mehr geben.

Sekundenzeiger der Geschichte

Trägermedien für digitale Daten sind außerdem einem viel schnelleren Verfallsprozess unterworfen als bedrucktes Papier: Für Disketten hat heute kaum noch ein Computer überhaupt ein passendes Laufwerk. Eine vor 15 Jahren gebrannte CD ist heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr lesbar, selbst wenn man noch ein Laufwerk dafür findet. Und auch USB-Sticks verlieren nach geraumer Zeit die darauf gespeicherten Daten. Während man Papier nur trocken lagern muss, brauchen digitale Daten auch regelmäßig Strom.

Deswegen geht Anja Pasquay davon aus, das die Historiker der Zukunft, die später einmal etwas über unser heutiges Heute wissen wollen, nicht bei Google oder Facebook nachlesen werden. Sondern in alten Zeitungen. Ein Gedanke, den in ähnlicher Form bereits der Philosoph Arthur Schopenhauer andeutete: "Zeitungen sind die Sekundenzeiger der Geschichte."

Ein dritter Vorteil der Zeitung aus Sicht des BDZV ist, dass gedruckte Werke, sobald die Farbe auf dem Papier angekommen ist, kaum noch verfälscht oder verändert werden können — im Gegensatz zu digital gespeicherten Texten und Bildern.

Der Kunde muss im Mittelpunkt stehen

Damit die Zeitungen von heute ihr Fortbestehen sichern können, müssten sie allerdings ihr Erscheinungsbild weiter verändern und auch mit kleineren Auflagen zurechtkommen, so Pasquay. Unabdingbar sei, die Inhalte der Zeitung parallel auch auf digitalen Kanälen auszuspielen. Im Mittelpunkt müsse der Kunde stehen und die Frage, was er wann und wo lesen wolle.

Der Zeitungsmanager Veit Dengler schreibt dazu auf spiegel-online: "Der Fokus für das Geschäftsmodell muss daher weg vom Produkt — egal ob Zeitung oder Website — hin zum Fokus auf den zahlenden Kunden und dessen Bedürfnisse." Auch Dengler sieht nach wie vor Bedarf für die Arbeit, die in den Zeitungsredaktionen geleistet wird: "Nichts von dem, was eine gute Zeitung bisher ausmachte — von der akribischen Recherche bis hin zum am Leser orientierten Stil, von der Ausgewogenheit der Berichterstattung bis hin zum unbestechlichen Urteil — hat seine Relevanz verloren."

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