Träume eines Überfliegers? So liest sich die Wöhrl-Biografie
6.10.2017, 11:56 UhrVordergründig hat Hans Rudolf Wöhrl ein Buch über die Fliegerei geschrieben, die für den gelernten Kaufmann zum Beruf gewordene Berufung war. Und über seinen Traum, mit regionalen Fluglinien in Deutschland gegen die Giganten der Lüfte bestehen zu können. Ein Leben lang kämpfte er insbesondere gegen die Lufthansa, die "Luftis", wie er sie nennt, stemmte sich gegen deren Vormacht, ohne jedoch jemals eine echte Chance zu haben, sich nachhaltig durchzusetzen.
1973 hat er den Nürnberger Flugdienst (NFD) ins Leben gerufen. 19 Jahre später verschmolz die Regionalairline nach mehreren Rückschlägen mit der Regionalflug (RFG) zur Eurowings. 2003 erwarb Wöhrl über seine Intro Verwaltungsgesellschaft für einen Euro den verlustbringenden deutschen Ableger der British Airways (BA), den er nach erfolgreicher Sanierung schließlich zusammen mit dem inzwischen ebenfalls erworbenen Ferienflieger LTU gewinnbringend an Air Berlin veräußert hat. So weit die Fakten.
Auf den zweiten Blick nutzt da ein zugegebenermaßen durchaus außergewöhnlicher, von sich und seinem Tun voll überzeugter Mittelständler die Chance, im Alter von 70 Jahren und damit für ihn schon zu höchst aktiven Lebzeiten der Nachwelt auf 478 Seiten ein Bild von sich aufzuzeichnen – ganz so, wie er sich selbst am liebsten sieht: Als "lonesome Cowboy", der wie einst die alten Westernhelden im Alleingang versucht, die Welt nach seinem Gusto in Ordnung zu halten. Als "Frontschwein", das handelt, während andere noch reden. Das sich um des Erfolges willen für nichts zu schade ist, um in der Manier eines bauchgesteuerten Superman selbst Unmögliches möglich zu machen – "geht nicht, gibt es für ihn nicht".
Zu diesem von ihm fast schon klischeehaft und bewusst in der dritten Person skizzierten idealisierten Bild gehört auch die zaghafte Andeutung gewisser Exzesse in jungen Jahren, die ansatzweise an den Ex-Playboy Gunther Sachs erinnern – nur dass der seine Feten im glamourösen St. Tropez feierte, während der junge Wöhrl mit seinen Kumpels mit einer angemieteten, sturmfreien Bude in der Provinz bei Weißenburg Vorlieb nehmen musste.
Von ver.di und Sozialisten
Für die Mitte seines Lebens zeichnet Wöhrl dann das Bild des stolzen Rebellen, der gegen alles und jeden zu Felde zog, der sich ihm in den Weg stellte – gegen Bürokraten, gegen Sozialisten und Marxisten. Und vor allem gegen Gewerkschaften, die auch heute noch für den Unternehmer ein rotes Tuch sind. "Das war ein Dolchstoß in den Rücken", beschreibt der Unternehmer sein Entsetzen: Die Gewerkschaft ver.di hatte ausgerechnet an dem Tag, an dem Gläubiger und Banken über das Schicksal des von seinem Vater gegründeten, inzwischen insolventen Textilunternehmens entscheiden sollten, zum Streik vor dem Haupthaus in der Nürnberger Innenstadt aufgerufen. Für Wöhrl noch heute ein Affront, ein kaltblütiger Racheakt, wie er schreibt.
Jetzt, im vorgerückten Alter nennt sich Wöhrl in seinem Buch selbst einmal einen "Patriarchen", der sinnend in seinem Firmendomizil in Reichenschwand am Fenster steht und ohne Selbstzweifel über sein Lebenswerk nachdenkt: "Am Anfang hatte ich oft unverschämtes Glück. Aber es war nicht das Glück des Spielers, sondern das des Tüchtigen."
Das Eingeständnis eigener Fehler? Man muss sie schon aktiv suchen auf den fast 500 Seiten. Eher typisch der Kommentar zum Aus der von ihm übernommenen Regionalairline Intersky, die Opfer der Liberalisierung im Luftverkehr geworden war: "Man hatte nichts falsch gemacht, hatte niemandem wehgetan und war trotzdem zwischen die Mühlsteine der Großen geraten."
Interessant wird das Buch erst auf der dritten Ebene, quasi zwischen den Zeilen, wo der stets lächelnde, smarte Franke vielleicht mehr von sich verrät, als er es möglicherweise vorhatte. Etwa durch die Art, wie Hans Rudolf Wöhrl in diesem Buch mit seinem Bruder Gerhard umgeht. Der Ältere stets der Musterschüler, er selbst das notorische schwarze Schaf in der Familie, in den Augen seines Vaters ein "Versager", wie Hans Rudolf Wöhrl an einer Stelle des Buches einmal selbst zu Papier bringt.
Dieser Stachel sitzt tief, sehr tief. Vieles von dem, was der durchaus erfolgreiche Unternehmer gerade auch in jungen Jahren durchgefochten hat, scheint zumindest mitmotiviert zu sein von dem unbändigen Willen, dem Vater zu beweisen, dass auch er, der unterschätzte Sohn, etwas taugt. Etwa, als er mit gerade 19 Jahren ohne Unterstützung vom Senior mit Erfolg in Nürnberg den ersten Carnaby-Shop eröffnete – "ein knappes Schulterklopfen. Er (Sohn Hans Rudolf) brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer im gerade Anerkennung zollte. Das war der Ritterschlag des Vaters."
Noch mehr gekränkt hat den Jüngeren aber offenbar, dass sein älterer Bruder die Anerkennung vom Vater bekam, die ihm lange versagt geblieben war. Beide sollten das elterliche Textilhandelsunternehmen weiterführen. Im Streit schied Hans Rudolf 2010 aus, nachdem er seine Vorstellungen, wie es mit dem Modehaus weitergehen sollte, nicht hatte durchsetzen können.
Der eigene Bruder Gerhard? Einer, der "nicht einmal die Hälfte des Umsatzes erreichte", den Hans Rudolf schaffte. Einer, der sich für alle "niederen Arbeiten" zu schade war. Und einer, der den Jüngeren beim betrieblichen Erbe seines Vaters "auf üble Weise auszubremsen versuchte".
Die Stärke des Buchs liegt, wenn überhaupt, in den kleinen, oft regional geprägten Begebenheiten und Anekdoten. Wer etwa weiß schon, dass die Wöhrls in Ontario/Kanada eine kleine Farm besaßen, wo sie sich zurückziehen wollten, bevor der Sozialismus in Deutschland die Oberhand gewinnen sollte? Oder dass Bayerns legendärer Ex-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß selbst immer wieder einmal bei Wöhrls Nürnberger Flugdienst als Co-Pilot am Knüppel kleinerer Maschinen saß?
Hans Rudolf Wöhrl: "Wie meine Träume fliegen lernten", Piper Verlag München, 478 Seiten, 25 Euro.
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