Prozess

15-Jähriger wegen Mordes an kleinem Joel verurteilt

2.5.2024, 05:30 Uhr
Kreuze, Figuren, Kerzen und Blumen stehen an der Stelle, wo der sechsjährige getötete Joel gefunden wurde.

© Bernd Wüstneck/dpa Kreuze, Figuren, Kerzen und Blumen stehen an der Stelle, wo der sechsjährige getötete Joel gefunden wurde.

Die Mutter des getöteten sechsjährigen Joel hat Tränen in den Augen, als sie sich in Saal 10 des Landgerichts Neubrandenburg zu ihrem Mann dreht. Gerade schildert die Vorsitzende Richterin, Daniela Lieschke, die letzten Augenblicke des Jungen im September vorigen Jahres in Pragsdorf bei Neubrandenburg. Er sei nicht bei Bewusstsein gewesen, als der nun wegen Mordes verurteilte Jugendliche auf ihn einstach. Sieben Jahre und neun Monate Jugendstrafe hat das Gericht als Strafe verhängt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der seit Februar laufende Prozess fand wegen des Alters des Angeklagten nicht öffentlich statt. Aufsehen erregte er dennoch, weil immer wieder Informationen nach außen drangen, was Lieschke deutlich kritisierte. Zur Urteilsverkündung waren Journalistinnen und Journalisten zugelassen. 

Den Schilderungen des Gerichts zufolge entwickelte sich der Nachmittag des 14. Septembers zunächst unauffällig. Die Familien des Opfers und des Täters waren befreundet. Joel und zwei seiner Geschwister spielten zusammen mit dem späteren Täter auf einem Sportplatz Fußball. 

Im Geheimversteck gewürgt

Als Joels Geschwister nach Hause wollen, bleibt der Sechsjährige mit dem damals 14-Jährigen draußen. Schließlich gehen sie in ein als Geheimversteck bekanntes Gebüsch, in dem der Ältere rauchen will - wohl nicht zum ersten Mal. Anschließend wollen sie aus Langeweile ausprobieren, wie lange sie die Luft anhalten können. 

Den Ausführungen der Richterin zufolge, die sich vor allem auf ein Geständnis des Angeklagten gegen Ende des Prozesses bezieht, legt sich Joel freiwillig auf den Rücken, damit der Ältere ihn würgt. Joel wird bewusstlos, woraufhin sein Spielkamerad von ihm ablässt. Als Joel wieder zu sich kommt, soll er dem Jugendlichen gesagt haben: "ich hasse dich".

Mit Messer eingestochen

Daraufhin würgt der nun Verurteilte nach Überzeugung des Gerichts Joel erneut und sticht mit einem Messer mit einer 15 Zentimeter langen Klinge, das er in einem Rucksack dabeihatte, unter anderem auf den Hals des bewusstlosen Jungen ein. Er habe Angst gehabt, Joel werde den Eltern von dem vorangegangenen Vorfall erzählen. Spuren stumpfer Gewalt, die für Schläge sprechen, konnte der Teenager nicht vollends aufklären.

Ursprünglich war der Jugendliche wegen Totschlags angeklagt gewesen. Das Gericht sah aber Heimtücke als Mordmerkmal gegeben. Der Täter habe die Wehrlosigkeit des liegenden Kindes ausgenutzt. Joel habe zudem nicht mit einer solchen Attacke rechnen können, da der Teenager regelmäßig mit ihm gespielt und auf ihn aufgepasst habe. Dabei sei er nie gewalttätig geworden.

Richterin: Kein notorischer Gewalttäter

Die Vorsitzende Richterin trat der Darstellung des 15-Jährigen als notorischem Gewalttäter entschieden entgegen. Entsprechende Gerüchte hätten sich nach der Tat teils auch über die Presse verbreitet, sich aber in der Verhandlung nicht bestätigt. Der Jugendliche sei selbst in der Vergangenheit gemobbt und körperlich und psychisch attackiert worden. Der Jugendliche selbst verfolgte die Urteilsbegründung ruhig ohne größere Regungen. 

Nach Aussage von Joels Mutter hat die Freundschaft zwischen ihrer und der Familie des Täters nicht überlebt. "Die Freundschaft existiert nicht mehr", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Joels Vater sagte mit Blick auf das Urteil: "Wir sind sehr zufrieden, dass wirklich Mord drinsteht." Dadurch lasse sich der Fall auch besser Joels Geschwistern erklären. "Du kannst erstmal deinen Kindern erklären, dass wir wirklich jetzt eine Verurteilung wegen Mord haben." Der Begriff sei Kindern klarer als etwa Totschlag.

"Wir müssen sehen, was die Zeit bringt." Es sei erst einmal schön, dass der Prozess vorbei sei, sagte der Vater. Man werde schauen, wie es im Umgang mit der Gewalttat mit professioneller Hilfe weitergehe. "Ob man damit eines Tages irgendwie lernt zu leben." 

Laut Anklage soll der damals 14-Jährige im vergangenen September Joel in einem Gebüsch am Bolzplatz in Pragsdorf mehrfach ins Gesicht geschlagen und mit einem Messer auf ihn eingestochen haben. Der Teenager hatte sich früheren Angaben zufolge in Widersprüche verstrickt, zudem wurde demnach seine DNA-Spur am Tatmesser gefunden. Dort, wo Joel starb, standen auch zuletzt noch Engelsfiguren, Erinnerungsstücke und Kreuze.

Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord

Anfang April hatte der Angeklagte nach langem Schweigen ein Teilgeständnis abgelegt und von einer Beteiligung eines anderen Menschen gesprochen, bei dem es sich nicht um den Bruder handelte. Dass die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn Ermittlungen eingeleitet hatte, war kurz nach dem Prozessauftakt bekannt geworden.

Für Aufsehen hatte auch die Entscheidung des Gerichts gesorgt, den Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Es sah nach damaliger Aussage keinen Haftgrund. Die Staatsanwaltschaft legte Widerspruch ein, das Oberlandesgericht Rostock kassierte die Entscheidung.

Ursprünglich war der Jugendliche wegen Totschlags angeklagt. Nach Angaben Habethas hat die Staatsanwaltschaft aber auf Mord plädiert und fordert acht Jahre Jugendstrafe. Die Anwältin forderte die Höchststrafe von zehn Jahren, auch wegen Mordes und den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. Der Verteidiger des Angeklagten habe auf Totschlag plädierte und sieben Jahre gefordert.