"Das gibt es nirgendwo anders"
21.9.2020, 18:28 Uhr"In dieser Konsequenz erlebe ich das zum ersten Mal", sagt Andreas Lehmann-Wermser. Der Professor für Musikpädagogik in Hannover ist nachhaltig beeindruckt. Nicht nur davon, wie genau die Ergebnisse seiner ersten Evaluation des Programms Mubikin von 2014 gelesen und wie konsequent die Empfehlungen umgesetzt wurden. Besonders fasziniert ihn, dass die Verantwortlichen eine zweite Bewertung in Auftrag gaben. "Eine erste Evaluation macht man, um Schwachstellen offen zu legen. Fünf Jahre später kann man in einer zweiten Untersuchung sehen, was eventuelle Veränderungen gebracht haben", erläutert der Experte. "Leider wird das fast nie gemacht: Es kostet erneut Geld und bringt Unruhe."
Sinn und Qualität prüfen
Die Mubikin-Verantwortlichen um Stifter Helmut Gierse brachte das nicht ins Wanken, im Gegenteil: Sie wollten Sinn und Qualität des Programms prüfen und sehen, in wieweit Veränderungen fruchteten und gesetzte Ziele erreicht werden konnten. "Ein derart unternehmerisches Denken ist auch in der kulturellen Bildung durchaus gefragt", betont Lehmann-Wermser, der kürzlich die Daten der zweiten Evaluation präsentierte.
Rund 3800 Kinder – vom vorletzten Kindergartenjahr bis zur vierten Klasse – nehmen aktuell an dem musikalischen Programm teil: Acht Grundschulen, eine Förderschule und 41 Kindergärten aus acht Schulsprengeln sind beteiligt. "Diese Verknüpfung des musikalischen Angebots vom Kindergarten bis in die Grundschuljahre hinein, dazu die integrierte Fortbildung für die Lehrkräfte auf vielen Ebenen wie auch das sehr durchdachte Qualitätsmanagement des Programms halte ich auch nach der zweiten Evaluation für einmalig – das gibt es nirgendwo anders", vergibt der Wissenschaftler die Bestnote.
Doch wie steht es um die innere Struktur des Programms? Das fünfköpfige Team um Andreas Lehmann-Wermser führte eine quantitative Befragung mit allen beteiligten Lehrkräften durch, zudem eine qualitative Erhebung (Gespräche, Besuche) an allen Mubikin-Schulen und -Kitas. "Um Veränderungen zu sehen, griffen wir auch Fragen aus der ersten Evaluation 2014 auf."
Damals waren etwa Probleme bei den Arbeitsbedingungen offensichtlich geworden, prallten beim sogenannten Tandem-Unterricht doch zwei Unterrichts-Kulturen aufeinander: Breit aufgestellte, klassengewöhnte Grundschullehrkräfte stießen auf spezialisierte Musikpädagoginnen und -Pädagogen, die kleinere Gruppen gewöhnt waren. Für ein besseres gegenseitiges Verständnis wurde ein gemeinsamer Teil in der Fortbildung eingeführt.
Auch die mangelnde Möglichkeit, sich über das gemeinsame Vorgehen beim Tandem-Unterricht auszutauschen war ein wesentlicher Kritikpunkt. Inzwischen gibt es dafür festgelegte "Regiezeiten". Nach derart konsequenter Aufarbeitung spielten in der zweiten Untersuchung beide Problembereiche keine Rolle mehr. Lehmann-Wermsers Kommentar: "Das ist natürlich ideal."
Generell, so der Eindruck des wissenschaftlichen Teams, habe sich in der Zusammenarbeit der Lehrenden und bei der Unterrichtsqualität eine Menge getan: Pro Sprengel sorgt inzwischen eine Musikpädagogin für eine geschmeidige Zusammenarbeit bei gemeinsamen Aktionen von Kita bis Schule; sie stimmt sich zudem mit der Leiterin der Musikschule ab und organisiert regelmäßige "Sprengel-Gespräche", in denen sich Pädagogen und Lehrkräfte über größere Vorhaben, aber auch mal über ein gemeinsames Morgenlied einigen. "Hier geht es vielfach darum, den Kindern durch bekannte Unterrichtselemente den Übergang zur Grundschule zu erleichtern", erläutert Lehmann-Wermser. Jahresgespräche zur Erfolgskontrolle – hier kommen die Stifter mit Vertretern der Einrichtungen und den zuständigen Musikpädagogen zusammen – finden weiterhin statt.
Weitere der 2020 vorgelegten Evaluations-Ergebnisse greifen in Form konkreter Maßnahmen bereits mit dem Schulbeginn: Statt einmal pro Woche haben die Kinder im ersten und zweiten Grundschuljahr künftig zwar nur alle zwei Wochen Musikunterricht, dafür kommen aber auch die Klassen drei und vier in den Genuss des musikalischen Programms.
"Wir haben intensiv über die richtige Strategie diskutiert; doch natürlich gibt es das Bedürfnis, den Unterricht auf die gesamte Grundschulzeit auszudehnen", fasst der Professor die Kompromiss-Lösung zusammen. Damit der Unterricht noch an Qualität gewinnt, übernimmt die Hochschule für Musik Nürnberg in Zukunft – neben der Mubikin-Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher der Kindergärten – auch die entsprechende Fortbildung der Lehrkräfte.
Deutlich wurde aber auch der Wunsch von Musikpädagogen und Lehrkräften, die Eltern für "ein gedeihliches Klima" stärker in den Schulalltag einzubeziehen; sei es durch die Mitarbeit am Bühnenbild oder an den Kostümen für ein musikalisches Projekt. ",Wir erreichen die Eltern nicht‘ war eine häufige Aussage", zitiert Lehmann-Wermser.
Eltern besser einbinden
"So könne Mubikin auch für die Elternanbindung ein Motor sein", meint der Experte, der die elementare Bedeutung des musikalischen Programms gerade für Brennpunktschulen heraushebt. "Anders als in einem gut bürgerlichen Stadtteil bedeutet Mubikin für Kinder, die beispielsweise die Herschel- oder Knauerschule besuchen, eine Riesenchance."
Mit lebhafter Gestik erzählt er von Fällen, die ihn im Lauf der Untersuchung tief beeindruckt haben. "Doch das Programm ist teuer, man muss sich überlegen, wie es weiterhin finanzierbar wäre. Tatsache ist, dass man ohne dramatisch mehr Geld das Programm auch nicht dramatisch mehr ausweiten kann."
Vielleicht macht Oberbürgermeister Marcus König sein Vorhaben, das in München wohl bereits vorhandene Interesse an Mubikin zu befördern, ja wahr. Vorerst steigerte die Stadt Nürnberg ihren Jahresbeitrag jedenfalls auf 440 000 Euro; die Stiftung Persönlichkeit (Helmut Gierse) steuert jährlich 120 000 Euro bei (wir berichteten).
Mit hochgezogenen Augenbrauen gibt der Professor zu bedenken: "Stiftungen haben als Impulsgeber sicher eine wichtige Funktion – doch das ist nicht die Zukunft." Eigentlich sei Mubikin, nach dem Verständnis der Stifter-Familien, auf drei Jahre angelegt und als Bildungs-Anstoß gedacht gewesen. "Dass die Stifter so lange dabei geblieben sind, ist ebenfalls außergewöhnlich: Mubikin geht jetzt ins zehnte Jahr."
Andreas Lehmann-Wermser lehnt sich vor und verschränkt die Arme. "Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen, er hat das Bildungsmonopol."
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