Ist der "grüne" Söder glaubwürdig?
8.9.2019, 20:37 UhrNZ: Herr Göppel, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hat zuletzt eine Fülle an umwelt- und vor allem klimapolitischen Vorschlägen präsentiert. Stockt Ihnen denn nicht manchmal der Atem bei der Rasanz, die Söder bei diesem Thema an den Tag legt?
Göppel: Es freut mich, dass Markus Söder Klimaschutz und Artenerhalt nun als grundlegende Aufgaben bezeichnet, die über dem parteipolitischen Streit stehen müssen.
NZ: Sie haben den Arbeitskreis Umwelt- und Landesentwicklung der CSU lange Jahre geleitet, galten als "grünes Gewissen" ihrer Partei. Fühlen Sie so etwas wie Genugtuung angesichts der neuen Prioritäten, die Söder der CSU vorgibt?
Göppel: Alles, was er in diese Richtung gesagt und auch schon getan hat, unterstütze ich. Seine Glaubwürdigkeit wird sich aber beim Flächenverbrauch entscheiden. Die Ankündigung, das Überbauen frischen Landes in Bayern zu halbieren, reicht nicht. Jede Gemeinde muss wissen, wo dann ihre individuelle Richtgröße liegt. Der offene, atmende Boden in Feldern und Wiesen ist ein wichtiger Klimaspeicher. Dauergrünland entzieht der Atmosphäre zum Beispiel pro Hektar jährlich vier Tonnen CO2. Außerdem bildet sich dort unser Grundwasservorrat. Die aggressive Bebauung vieler Ortsränder mit raumfressenden Flachbauten und Logistikhallen widerspricht dem richtigen Ansatz Söders eklatant.
NZ: Worauf führen Sie die neue Prioritätensetzung in der bayerischen Politik zurück – auf die Wahlerfolge der Grünen oder auf das Aufkommen der "Fridays-for-Future"-Bewegung?
Göppel: Schon eher auf die Wahlerfolge der Grünen.
NZ: Söders Kurs bleibt in der CSU derzeit, zumindest öffentlich, nahezu unwidersprochen. Dennoch gibt es in der Partei auch diejenigen, die innerlich daran zweifeln und sich fragen, ob diese Strategie richtig ist. Was würden Sie jenen sagen?
Göppel: Mehrfach gingen Richtungsänderungen der CSU von persönlichen Entscheidungen der Vorsitzenden aus. Bei Strauß war das die Einführung der Gemeinschaftsschule und das Einschwenken auf die Annäherungspolitik zur DDR mit dem Milliardenkredit; bei Waigel die Einführung des Euro.
NZ: Besteht nicht die Gefahr, dass Söder mit seinem neuen "grünen" Kurs Wählerinnen und Wähler, die sich als dezidiert konservativ verstehen, verschreckt und zur AfD treibt?
Göppel: Hier geht es um elementare Lebensfragen. Die Debatte darüber muss offensiv geführt werden.
NZ: Die AfD versucht, jene konservativen Bürgerinnen und Bürger von sich zu überzeugen, indem sie abstreitet, dass die menschengemachten Kohlendioxid-Emissionen tatsächlich mitursächlich für den Klimawandel sind, weil es dafür keinen einwandfreien wissenschaftlichen Beweis gibt. Wie würden Sie hier argumentieren?
Göppel: Waldbesitzer und Landwirte sehen mit eigenen Augen, was durch die Veränderung der Naturkräfte mit ihrem Eigentum geschieht. Der menschliche Anteil daran ist da nicht mehr entscheidend. An vielen Stellen der Erde geht es jetzt darum, das Land bewohnbar zu halten und riesige Bevölkerungsverschiebungen zu vermeiden.
NZ: Unstreitig kostet der Ausbau der erneuerbaren Energien viel Geld. Es gibt dazu unterschiedliche Berechnungen, doch als seriös gilt die des Instituts für Wettbewerbsökonomik der Universität Düsseldorf, die für die Jahre 2000 bis 2025 Kosten von 520 Milliarden Euro ermittelt hat, umgerechnet für eine vierköpfige Familie etwa 25 000 Euro. Sind diese Kosten gerechtfertigt?
Göppel: Das wären 1000 Euro pro Jahr für eine Familie. So viel macht nicht mal die gesamte Stromrechnung im Durchschnitt aus. Unabhängig davon sollte man immer nach den Alternativen fragen. Wind und Sonne müssen wir nicht importieren und an ihrer Wertschöpfung können auch Normalverdiener teilhaben.
NZ: Deutschland hat an den weltweiten CO2-Emissionen einen Anteil von zwei bis drei Prozent, erlegt sich aber selbst einen ehrgeizigen Energiewende-Kurs auf und will davon auch andere Länder überzeugen. Doch gerade die Länder mit großem CO2-Ausstoß, etwa die USA oder China, denken gar nicht daran, dem zu folgen. Wie sinnvoll ist die deutsche Energiewende-Politik denn überhaupt?
Göppel: Das ist nun wirklich eine Zeitungsente! China betreibt die Umstellung auf erneuerbare Energien schneller als alle anderen Länder und forstet nordwestlich von Peking riesige Flächen auf. In zwölf Bundesstaaten der USA haben Sie ähnliche Aktivitäten. Für Deutschland geht es bei der Frage auch um massive Exportchancen. Was wir im eigenen Land nicht anwenden, können wir auch nicht verkaufen.
NZ: Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland stockt, neue Windräder werden kaum mehr gebaut, der Leitungsausbau dauert noch Jahre. Was läuft gut, was nicht – und warum?
Göppel: Da haben Sie recht. Viele Leute wollen keine Windräder in ihrem Blickfeld, aber auch keine Stromleitungen. Söder hat als Umweltminister 1500 Windräder für nötig gehalten. Jetzt haben wir 900. Er muss zumindest die Standorte in den Regionalplänen freigeben, die von den Bürgermeistern und Landräten einvernehmlich festgelegt wurden.
NZ: Sie waren immer ein Verfechter einer dezentralen Energiewende – dass also die Energie dort produziert wird, wo sie verbraucht wird, so dass lange Übertragungswege überflüssig werden. Ist das bei vier großen Übertragungsnetz-Betreibern überhaupt realistisch?
Göppel: Die Stromfachleute im Verein Deutscher Ingenieure haben vorgeschlagen, den Strommarkt nach dem zellularen Prinzip zu organisieren. Zunächst soll der Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch auf den unteren Netzebenen erfolgen. Der Zukauf über die Stromautobahnen soll nachrangig sein. Ich unterstütze hier voll den N-Ergie-Chef Josef Hasler. Der Vorrang des Ferntransports von Strom mit garantierten Dividenden von 7 Prozent muss beendet werden.
NZ: Deutschland steigt bis 2022 aus der Atomenergie aus und will bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen. Wie können diese Energieerzeugungsformen bis dahin ersetzt werden?
Göppel: Von der bloßen Menge her können Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse die Stromversorgung wie geplant sichern. Entscheidend ist aber die Entwicklung der Speicher im Gleichklang zum Kohleausstieg. Technisch ist jetzt schon manches möglich, was sich wirtschaftlich nicht rechnet, weil Abgaben sowohl beim Einspeichern wie beim Ausspeichern fällig werden. Daran sehen Sie, wie viele politische Korrekturen wir noch brauchen.
"Mehrfach gingen Richtungsänderungen der CSU von persönlichen Entscheidungen der Vorsitzenden aus."
Josef Göppel
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