1971: Tödliche Kugeln statt Millionen-Beute
31.7.2011, 06:30 UhrAm 4. August 1971 ist es soweit: Kurz vor Schalterschluss betreten der 31-jährige Rammelmayr und der sieben Jahre jüngere Todorov die Deutsche Bank in der Prinzregentenstraße in München. Maskiert und schwer bewaffnet, bringen sie 18 Angestellte und Kunden der Bank problemlos in ihre Gewalt. Das Überraschungsmoment ist auf ihrer Seite - einen Banküberfall mit Geiselnahme hat es in der Bundesrepublik bis dato noch nicht gegeben.
Bei ihren Forderungen gehen die beiden Gangster in die Vollen: Zwei Millionen Mark solle die Deutsche Bank herbeischaffen, außerdem einen neutralen Fluchtwagen, Marke BMW, vor der Bank platzieren. Sich selbst bezeichnen sie als Gruppe der „Roten Front“, die sich mit brachialer Gewalt an den Geiseln und einer Vergeltungsaktion „Elend“ an der Bevölkerung rächen würde, sollten die Forderungen bis 22 Uhr nicht erfüllt werden. Unter anderem sei mit Maschinengewehrattentaten auf Passanten und Sprengstoffanschlägen zu rechnen. Die Deutsche Bank selbst werde in die Luft gejagt.
Dass all das, der Sprengstoff, die Rote Front und die Vergeltungsaktion schlicht erfunden sind, weiß draußen vor den Toren der Bank niemand. Hunderte Polizeibeamte sind aufmarschiert, dazu haben sich Tausende Schaulustige versammelt.
Während die Polizeispitze über einer Strategie brütet und Beamte ihre Waffen auf die Eingangstür der Bank richten, amüsiert sich das Volk hinter den Absperrungen und verfolgt stundenlang in einer „gespenstischen Mischung aus Chicago und Oktoberfest“, so die Süddeutsche Zeitung, das Geschehen. Das Fernsehen berichtet live, im Schlemmerlokal „Käfer“ gegenüber verfolgen die Gäste beim Abendessen das Geschehen. „Aus Kofferradios klingt Beatmusik. In den Fenstern und auf den Balkons: überall Schaulustige mit Kissen unter den Ellbogen.(...) Opernglas und Bierflasche fehlen nicht“, beschreiben die Nürnberger Nachrichten tags darauf die „Volksfeststimmung“.
Bei der Polizei jedoch spitzt sich die Lage zu. Die Deutsche Bank hat sich zwar zur Zahlung entschlossen, doch kurz nach 19 Uhr fällt auch eine andere Entscheidung: Oberstaatsanwalt Erich S. taucht bei der Kommandogruppe der Polizei auf, übernimmt kurzerhand die Führungsgewalt und erteilt sechs in Wohnungen postierten Scharfschützen und im Prinzip allen bewaffneten Beamten vor Ort den später so umstrittenen Schießbefehl von München.
Sobald die Täter auftauchen und sich eine freie Schussbahn bietet, so sein Plan, solle man Rammelmayr und Todorov kampfunfähig schießen und überwältigen.
Was zunächst plausibel klingt, wird in der Realität zur wilden Ballerei. Denn um 23.40 Uhr verlassen nicht beide Gangster, sondern nur Rammelmayr mit einer jungen Bankangestellten als Geisel die Bank. Diese Version gab es bei der Instruktion der Scharfschützen nicht, doch der Plan steht - irgendwie.
Als Rammelmayr auf das Fluchtauto mit dem Lösegeld zugeht, fällt zunächst kein Schuss, obwohl der Gangster viel Platz zwischen sich und der 19-jährigen Ingrid R. lässt. Doch kaum sitzt er am Steuer, die Geisel neben sich, feuert ein Scharfschütze. Warum, bleibt unklar. Rammelmayr, bereits getroffen, schießt zurück. Im Todeskampf trifft er auch Ingrid R.
Daraufhin zersieben Maschinengewehrsalven das Auto, Rammelmayr und Ingrid R. sacken zusammen. Rammelmayr stirbt am Tatort, Ingrid R. auf dem Operationstisch. Dimitri Todorov, der mit den restlichen Geiseln in der Bank geblieben war, wird - ebenfalls nach einem wilden Schusswechsel - festgenommen.
Das blutige Ende der Nacht hat ein Nachspiel. Polizei und Staatsanwaltschaft stehen im Kreuzfeuer der Kritik: Durfte der Oberstaatsanwalt überhaupt das Kommando an sich reißen? Wieso ist der Schießbefehl so danebengegangen? Haben die Schüsse nicht unweigerlich das Todesurteil für Rammelmayr und Ingrid R. bedeutet? Was wäre gewesen, wenn Todorov in der Bank Geiseln erschossen hätte?
Rettungsschuss im Gesetz
Gut ein Jahr später erschüttert 1972 das Attentat auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München die Republik. Wieder sind die Einsatzkräfte mit einer solchen Situation noch nie konfrontiert gewesen, wieder gibt es Tote. Diesmal mit Konsequenzen: Es ist die Geburtsstunde von Spezialeinheiten wie SEK und MEK. Eine tiefgreifende Änderung gibt es in den folgenden Jahren auch im Recht. Erstmals 1973 als juristisches Konzept entwickelt, ist der „finale Rettungsschuss“ heute in den Polizeigesetzen der meisten Bundesländer verankert.