Frühchenstation: Leben retten an der Belastungsgrenze
14.1.2020, 16:30 UhrAm Monitor blinkt es unentwegt. Dünne Linien in grün und blau schlängeln sich über den Bildschirm. Zahlen verändern permanent ihre Werte. Plötzlich verfärbt sich der Hintergrund dunkelblau, ein monotones Piepen ertönt. Eine Pflegekraft, die kleine Flaschen mit gelblichem Pulver befüllt, schaut über ihre Schulter auf den Computer. Die Sauerstoff-Sättigung eines Säuglings ist kurzzeitig abgefallen und hat sich nach wenigen Sekunden wieder eingependelt. Alltag auf der Frühgeborenen-Intensivstation des Klinikum Nürnbergs.
Der Vormittag ist kalt, grau und verregnet. Auf der Intensivstation dagegen ist es dagegen hell beleuchtet. Tierbilder an den Fenstern schaffen eine freundliche Atmosphäre an einem Ort, an dem der Start ins Leben oft mit Schwierigkeiten beginnt. Kinderkrankenpflegekräfte in hellgrüner Arbeitskleidung laufen mit schnellem Schritt die Gänge entlang, versorgen die kleinen Patienten, bereiten Mahlzeiten vor oder sortieren Medikamente in Schränke.
"Ruhige Tage gibt es hier nicht"
Der Stützpunkt in der Mitte des Ganges ist das Cockpit der Station. Von dort werden alle Aufgaben koordiniert. Der Monitor auf dem Schreibtisch zeigt acht von 13 belegten Betten. Auf die Frage, ob es ein ruhiger Tag ist, antwortet Jutta Schöniger: "Ruhige Tage gibt es hier nicht." Schöniger arbeitet seit 1977 im Klinikum, seit 24 Jahren ist sie Pflegerische Stationsleitung der Früh- und Neugeborenen-Intensivstation. In der Frühschicht arbeiten an diesem Tag mit ihr vier Schwestern und zwei Auszubildende. Drei der Schwestern versorgen die Kinder, der Rest kümmert sich um andere Aufgaben. Das ist zu wenig, meint Schöniger und spricht das Problem an, mit dem nicht nur ihre Station zu kämpfen hat: der Personalmangel.
Schöniger sortiert kleine Plastikkärtchen mit den Namen der Kollegen auf einer schwarzen Tafel, dem Dienstplan. Sie schiebt die Namensschilder konzentriert von links nach rechts und seufzt leise. Personell ist es eng auf der Station. Bei kurzfristigen Ausfällen müssen sie und ihr Team schnell Ersatz finden. "Es ist kein schönes Gefühl, die Kollegen aus einem freien Tag in die Klinik zum Arbeiten zu holen", sagt Schöniger. Glücklicherweise finde sich immer jemand, der spontan einspringt. Für sie ist es "ein wunderschöner Beruf, nur die Rahmenbedingungen passen nicht immer".
Ihr fehlt vor allem die Würdigung der Arbeit, finanziell und gesellschaftlich. Wenn man sich unter den Pflegekräften umhört, fallen diese Begriffe häufiger. Vor allem der kräftezehrende Nachtdienst müsse laut den Mitarbeitern besser bezahlt werden. Um ihre Teams besser zu motivieren und ein gutes Arbeitsklima aufrecht zu erhalten, werden die Stationsleitungen seit kurzer Zeit speziell geschult. Frustration ist in Teilen in Ordnung, Resignation schlecht, so das Motto.
1:1 Betreuung: Gut gemeint, aber oft überflüssig
Eine bundesweite Richtlinie sieht eine Pflegekraft für zwei Frühgeborene vor, bei Kindern unter 1500 Gramm Geburtsgewicht soll eine Eins-zu-Eins-Betreuung stattfinden. Was im Sinne der kleinen Patienten entschieden wurde, bringt Kliniken in Deutschland regelmäßig in Not. Die 1500-Gramm-Regel ist Schöniger zu einseitig, man könne die Art der Betreuung nicht anhand des Gewichts festmachen. "Einem schwereren Kind kann es weitaus schlechter gehen als einem, das unter diese Regelung fällt", sagt sie. Eine permanente 1:1-Betreuung ist personell eine große Herausforderung, zumal sie auch nicht nötig ist, da die Kinder Ruhezeiten haben, in denen sie schlafen oder ihre Eltern zu Besuch sind.
Es kommt vor, das Pfleger und Pflegerinnen in einer Schicht mehrere Kinder gleichzeitig versorgen müssen. Daneben kümmern sie sich um die Eltern, beruhigen sie und zeigen ihnen den richtigen Umgang mit den Säuglingen. Für viele Eltern ist der Aufenthalt auf der Intensivstation eine Ausnahmesituation, die von Seiten der Pflegekräfte besondere Sensibilität und Geduld erfordert.
"Ich kann mich nicht zerreißen"
Vor einem Patientenzimmer begutachtet Schwester Sarah mit einer Kollegin die Akte eines frisch geborenen Kindes, das in Kürze auf die Station verlegt werden soll. 33. Woche, 1380 Gramm. Lungenentzündung und Probleme beim Atmen. In kurzen Sätzen besprechen sie den Gesundheitszustand des Säuglings und tragen Kürzel und Werte in die große Patientenakte ein. Beide schlüpfen in einen weiten und sterilen Umhang und binden sich einen Mundschutz um, bevor sie den Inkubator mit dem Kind von der Nachbarstation langsam und behutsam über den Flur schieben. In einem großen Zimmer positionieren sie den Brutkasten an die richtige Stelle.
Nachdem alle Monitore angeschlossen und eingestellt sind, wechselt Sarah behutsam die fingernagelgroße Beatmungsmaske des Neugeborenen und überprüft die vielen bunten Kabel, die von dem kleinen Körper zu den Maschinen führen. Außer dem leisen Brummen der Maschinen und vereinzelten Pieptönen ist es ruhig im Raum. Am Inkubator nebenan lehnt ein Vater an der Glasscheibe und begutachtet still das kleine Bündel Leben, das sich fast in Zeitlupe im Inneren bewegt. Sarah wechselt ein paar Worte mit ihm und versichert, dass es seinem Kind gut gehe.
Nach Stationen in zwei bayerischen Kliniken, wo sie die Arbeitsbedingungen abschreckten, kam die 25-Jährige 2017 ans Klinikum Nürnberg. Doch auch hier gehe sie manchmal mit einem schlechten Gewissen nach Hause, wenn sie sieht, wie hoch das Pensum und der damit verbundene Druck ist. "Ich kann mich nicht zerreißen, das ist ein sehr unbefriedigendes Gefühl", sagt die Kinderkrankenpflegerin. Trotzdem gibt es für sie keinen schöneren Beruf. Für sie ist das Zusammenspiel der Kollegen, Eltern und Säuglinge "die ganze Anstrengung wert".
Eine Schwangerschaft dauert in der Regel 40 Wochen. Von einer Frühgeburt spricht man bei einer Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. Frühgeborene wiegen meist weniger als 2500 Gramm. Das bislang leichteste überlebende Neugeborene wurde 2015 in der 26. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von 229 Gramm im westfälischen Witten geboren. Europas jüngstes Frühchen Frieda kam 2010 in Fulda nach nur 21 Wochen mit 460 Gramm zur Welt.
Arbeitsmarkt ist leergefegt
"So eine Zeit wie jetzt, habe ich in den letzten 30 Jahren noch nicht erlebt", sagt Judith Peltner. Als Pflegedienstleitung ist sie auch für die Kinderklinik verantwortlich. Auch sie wird jeden Tag mit den Problemen und Herausforderungen der Personalsituation konfrontiert. Neue Mitarbeiter könnten eingestellt werden, aber der Arbeitsmarkt mit qualifizierten Fachkräften sei derzeit absolut leergefegt. Auch in anderen sozialen Berufen, wie der Altenpflege, herrscht Personalnotstand.
Diese Situation hat sich im Vergleich zur Vergangenheit um 180 Grad gedreht. Eine bundesweite Folge des Fachkräftemangels sind gesperrte Betten oder gar ganze Stationen. Kliniken in der Region müssen teilweise sogar Kinder und Neugeborene ablehnen, die dann in andere Krankenhäuser der Stadt oder sogar Regensburg oder Ingolstadt gebracht werden müssen. Eine Zerreißprobe für die Krankenhäuser und die Eltern.
Trotz der momentan angespannten Situation gibt sich Peltner aber optimistisch. "Ich bin überzeugt, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt. Man sieht es nicht immer, aber es ist da". Das Klinikum investiere viel in die Ausbildung neuer Pflegekräfte und kann mit steigenden Teilnehmerzahlen in den Kursen schon kleine Erfolge verbuchen. Parallel dazu suchen Peltner und ihre Kollegen Fachkräfte im Ausland. Es wurden bereits Kontakte geknüpft und Gespräche in Albanien und Serbien geführt. Aktuell sei dies ein zusätzlicher guter Weg, der Personalnot entgegenzuwirken. "Es wird eine Herausforderung, die man nicht unterschätzen darf. Für unser Haus wird es aber auch eine große Unterstützung sein, die wir gerade dringend brauchen", sagt Peltner. Um die Eingliederung macht sie sich dabei keine Sorgen. Im Klinikum arbeiten Menschen aus über 60 verschiedenen Nationen, hier wird die Integration schon längst gelebt.
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