Klimaaktivistin im Interview: Sind wir zu brav, Luisa Neubauer?
30.12.2019, 05:22 UhrWo steht "Fridays For Future" im Dezember 2019? Am Anfang, am Ende – oder am Kipppunkt?
Luisa Neubauer: Wir sind in einer Art Schwebezustand. Wir spüren ganz viel Aufwind und Energie, aber auch ganz viel Ernüchterung, Irritation und Frustration. Wir versuchen, dem Luft zu machen.
In Ihrem Buch ("Vom Ende der Klimakrise", gemeinsam mit Alexander Repenning) schreiben Sie von eben jenem Frust und der Ermüdung. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen? Und würden Sie es wieder tun?
Neubauer: Natürlich habe ich das nicht gewusst. Die Frage, ob ich das wieder so machen würde, ist eine ganz schwierige. Ehrlicherweise wäre das nicht der Fall. Durch die Art, wie ich aktiv bin, bringe ich nicht nur mich, sondern auch meine Familie und Menschen, die ich liebe, in Gefahr. Durch Drohungen, Hass und Mordankündigungen. Wir werden nicht attackiert, aber das Gefahrenpotenzial ist da. Und allein das ist unzumutbar. Aber wir gehen nüchtern und reflektiert damit um.
Was ist die Verantwortung von Luisa Neubauer? Müssen Sie integrieren, als Leitfigur von "Fridays For Future" in Deutschland mit mehr Weitsicht agieren?
Neubauer: Ich werde verantwortlich dafür gemacht, was x-beliebige Klimaaktivisten in Deutschland und Europa tun, sagen und lassen. Gleichzeitig werden ganz viele Menschen für das verantwortlich gemacht, was ich sage. Das ist ein Stück weit okay, aber geht insbesondere für mich mit großer Verantwortung einher. Wenn wir uns als Teil einer großen, gemeinsamen Klimagerechtigkeitsbewegung verstehen, dann stehen wir füreinander ein. Ob das fair oder unfair ist, ist dabei völlig irrelevant.
Was ist besser und förderlicher in der Diskussion – passive Zustimmung oder bewusste Provokation?
Neubauer: Das Problem ist die schweigende Masse und eine Art von Passivität. Ich glaube, viele wollen im Grunde selbst nichts Böses, aber sie wollen nicht alles auf den Kopf stellen. Das ist nachvollziehbar, aber: Genau diese stille Masse wird instrumentalisiert und als Ausrede benutzt, weiter nichts zu tun. Da werden Geschichten erzählt von Menschen, die später zur AfD gehen, denen das alles nicht zumutbar sei. Aber das ist nur Rhetorik. Wir kommen nur raus, wenn wir den teilnahmslosen Menschen vermitteln, dass sie ein Teil des Problems sind, aber auch ein Teil der Lösung sein können. Das meine ich total einladend und gar nicht aggressiv.
Peter Altmaier sagte Ihnen einmal: "So, wie Sie die Dinge zuspitzen, haben Sie das Zeug zur Politikerin". Wo ist der Unterschied im Dialog, in der Ansprache?
Neubauer: Ich habe die große Freiheit, niemandem gefallen zu müssen. Ich stehe nicht in Abhängigkeit zu Lobbys, muss Leuten nicht erzählen, was sie hören wollen, damit sie mich wählen. Wir können die Erkenntnisse der Wissenschaft aussprechen, die andere gerne ignorieren. Das ist kostbar.
Sie sprechen davon, dass der "Protest persönlicher werden muss“, dass man "andere Register ziehen" müsse, um Teile der Regierung zu erreichen. Was heißt das?
Neubauer: Menschen nehmen scheinbar an, die Klimakrise sei zufällig entstanden und wir haben nur zufällig unzureichend darauf reagiert. Als seien das Sachzwänge und Alternativlosigkeiten gewesen. Aber das stimmt nicht. Hinter all diesen Entwicklungen stehen Gremien, Institutionen – und Menschen. Sie haben ganz bewusst dafür gesorgt, dass wir unseren ökologischen Lebensgrundlagen einen solchen Schaden zufügen. Das sind Fragen des politischen Willens.
Glauben Sie, dass es ein Potenzial zur Radikalität bei FFF gibt?
Neubauer: Was ist denn Radikalität? Das ist ganz schwierig. Die Leute denken, jetzt werden wir alle Radikale. Das Wort hat von seiner Herkunft her nichts mit Gewalt zu tun. Es kommt von "radix", das heißt: an der Wurzel packen.
Dann konkreter: Gibt es Potenzial zur Gewaltbereitschaft?
Neubauer: Nein, das sehe ich nicht. Fridays For Future ist gewaltfrei – und wer gewaltbereit ist, von dem distanzieren wir uns. Wir haben eine tief pazifistische Überzeugung und ein moralisches Verantwortungsbewusstsein dafür, dass Gewalt keine Lösung sein kann. Ein Stück weit möchten wir die Welt vorleben, die wir gerne hätten. Gewalt hat da keinen Platz.
Was ist denn legitim, was wäre in Deutschland vorstellbar – ein paar Beispielfragen: Ist es legitim, den Verkehr in einer Großstadt wie Berlin zum Erliegen zu bringen?
Neubauer: Innenstadtblockaden sind Teil einer Aktionsform des zivilen Ungehorsams – ob das legitim ist, hängt vom Kontext ab. Gerade bei den Blockaden ist es auch die Frage, wie die ausgefüllt werden. Man kann Rettungsgassen und Wege für Menschen freilassen, die wirklich durchkommen müssen. Du blockierst ja nicht einfach Autos, um zu nerven, sondern als Teil einer Strategie und nie willkürlich.
Strategisch mag es sein, aber förderlich für die Diskussion?
Neubauer: Es kann förderlich sein für das große Ganze, ja. Wie sind denn die großen sozialen Veränderungen historisch gesehen zustande gekommen? Da war oft ziviler Ungehorsam ein Teil. Fragen Sie mal Heinrich Böll und Hannah Arendt.