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1. Dezember 1971: Blues-Sänger Alexis Korner

1.12.2021, 07:00 Uhr
1. Dezember 1971: Blues-Sänger Alexis Korner

© Rudolf Contino

Mick Jagger und Ginger Baker, Eric Burdon und Charlie Watts, John Mayall und Alan Price, Paul Jones und Jack Bruce haben bei ihm den Blues spielen gelernt. Gestern abend gastierte Alexis Korner in der Nürnberger Messehalle, zusammen mit Peter Thorup. Rahmenband dieses „Billigkonzerts“ (sechs Mark auf allen Plätzen) war „ex ovo“. Wir sprachen mit Alexis Korner bei seiner Ankunft in Nürnberg.

Ihren Texten bescheinigt man ,,Progressivität“. Sehen Sie in Ihrer Musik die Möglichkeit, auf der Bühne politisch wirksam zu werden? Zuallererst will ich gute Musik machen, wenn ich spiele. Die Unverbindlichkeit einer verbalen Protesthaltung wurde mir sehr oft schmerzlich bewußt. In Trier stolperten wir kurz vor dem Auftritt über einen in der Gosse liegenden Elendsalkoholiker. Wir nahmen ihn auf und leisteten ihm Erste Hilfe, mußten aber noch am selben Abend fort. Ich erzählte den Leuten im Konzert von diesem Mann und kritisierte, daß in dem reichsten Land der Welt so etwas vorkommt. Das Publikum applaudierte wie wahnsinnig. Als wir aber fragten, wer denn den Mann eine Nacht bei sich aufnehmen könnte, herrschte eisiges Schweigen. Die Leute waren noch nicht einmal bereit, ihn zu einem Arzt zu begleiten. Sie treten häufig in Deutschland auf. Unterscheidet sich das deutsche Publikum von dem englischen? Ich mag das deutsche Publikum sehr. Ich glaube, sie reagieren unmittelbarer als die Engländer. In England kommen oft Leute zu mir, die fragen mich dieses und jenes und sagen dann enttäuscht: „Aber Mr. Korner, meinem älteren Bruder haben Sie vor zehn Jahren doch ganz was anderes gesagt.“ Sie sehen nicht ein, daß ich mich geändert habe und sich auch die Zeiten geändert haben. Ich kann nicht die Musik kontrollieren, die ich mache, sondern die Musik kontrolliert mich. Ich brauchte lange, das einzusehen und meine Frau noch länger. Was ich einmal gemacht habe, ist mir nicht mehr wichtig, was ich einmal machen werde, weiß ich nie. Ich habe keine Pläne. Das deutsche Publikum nimmt mich so, wie ich auf die Bühne komme und versucht nicht, mich in eine Schublade zu zwängen.

Brauchen Sie Erfolg? Ich brauche keinen Erfolg, sondern Kontakt mit dem Publikum. Ich ärgere mich wahnsinnig, wenn eine Gruppe kommt, die sagt: „Sind das blöde Zuhörer. Bei denen kann man nicht landen.“ Nicht das Publikum ist hier blöde, sondern die Musiker. Wir haben kein Recht auf Erfolg, sondern nur auf das, was wir abends produzieren. Aber die Leute, die uns zuhören, haben das Recht, von uns einbezogen zu werden. Ich werde nicht schlechter, wenn ich nicht ankomme, aber ich werde viel besser, wenn ich Kontakt mit dem Publikum habe. Viele Nachwuchsbands wollen mit ihrer Musik möglichst schnell und viel Geld verdienen und werten den Erfolg an ihren Einnahmen. Aber wer bei der Musik auf die Kasse schielt, kann sich nicht auf die Musik konzentrieren. 30 Prozent Geld und 70 Prozent Musik, ja gut, wenn es sich dann auf 50:50 einpendelt, aber nicht umgekehrt. In einer Zeit, wo Supergruppen wie Geldmaschinen auf die Bühne kommen, gemanagt wie Waschmittel, ist es für junge Gruppen besonders schwer, zu starten. Aber besser, sie haben finanzielle Mißerfolge und überlegen sich dann, ob sie den ganzen kommerziellen Zirkus mitmachen wollen. Wer gegen Konsum ist, kann nicht für sich persönlich die Gesetze des Konsums in Anspruch nehmen. Was sagen Sie zu der Entwicklung in der Pop-Szene, wo ja viele Namen vertreten sind, die einmal bei Ihnen spielten? Unglücklicherweise haben bei mir eine Menge bekannter Namen gespielt. Von den vielen Unbekannten, mit denen ich genauso viele menschliche und musikalische Erlebnisse gehabt habe, spricht keiner. Die Leute sollten Bands nicht nach dem Aha-Effekt beurteilen, der von einem Namen oder einem Sound ausgeht. Dieser Aha-Effekt begünstigt die Entwicklung zu einer prätentiösen Spielweise, die losgelöst wird von der Persönlichkeit des Musikers. Die enorme Lautstärke mancher Hard-Rock-Gruppen ist objektiv zwar interessant, subjektiv aber nichtssagend. Mich interessieren Menschen und keine Mechaniker.

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