Frauenförderpreis für eine Zufluchtsstätte
10.11.2009, 00:00 UhrEinen roten Notrufknopf, der die Einrichtung mit der Polizei verbindet wie bei dem vergleichbaren Berliner «Weglaufhaus» Papatya gibt es bei Saadet nicht. Aber dennoch sind die Sicherheitsmaßnahmen streng: Die Adresse des Hauses, in dem die jungen Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren leben, wird geheim gehalten. Zudem stammen die Frauen aus anderen Bundesländern, das macht es noch schwieriger für ihre Familien, sie ausfindig zu machen. Diejenigen, die schon länger dort leben, dürfen zwar mal eine Freundin mitbringen, aber auch das ist vom Einzelfall abhängig. «Und in die Einrichtung kommt kein männliches Wesen», sagt Awo-Geschäftsführer Helmut Herz. Auch die vier Mitarbeiter, die sich rund um die Uhr um die Frauen kümmern, sind freilich weiblich.
Das Männerverbot hat laut Herz den Hintergrund, dass es der Awo so leichter gemacht wird, doch wieder eine Brücke zu den zumeist extrem konservativen Familien zu bauen, aus denen die Mädchen geflohen sind. Der wesentlichste Aspekt dabei ist aber, dass die Frauen, die in der Einrichtung leben, unter Gewalt zu leiden hatten, die zumeist von Männern ausging. Wenn es um die Unterdrückung junger Frauen in türkischen Familien geht, fallen sehr oft die Stichworte Ehrenmord oder Zwangsverheiratung. Die sieben Mädchen, die derzeit in der WG leben, sind indes von diesen beiden Problematiken nicht betroffen, wie Brigitte Girndt, bei der Awo Leiterin des Referats Kinder, Jugend und Familie, sowie die für die Jugendhilfe der Awo zuständige Anita Wojciechowski erzählen. Dennoch litten sie in ihren Familien unter körperlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen. Die WG bewohnt drei Etagen eines mehrstöckigen Wohnhauses und bietet maximal Platz für acht Mädchen. Den Jugendlichen stehen sechs Einzel-
und ein Doppelzimmer zur Verfügung. «Wir haben im Haus auch eine Psychologin, die mit den Mädchen Einzeltherapien macht», sagt Girndt.
Die jungen Frauen, die in Haupt-, Real- und Berufsschulen gehen, kommen nicht damit klar, völlig unterschiedlichen Erwartungen ausgesetzt zu sein – hier die Unterordnung in der Familienhierarchie, dort das eigenverantwortliche Handeln, das in Schulen und Freundeskreisen verlangt wird. Die 45-jährige Sozialpädagogin Wojciechowski betont, dass die Mädchen in Saadet erkennen sollen, dass es trotz ihrer schlimmen Erfahrungen auch «ein großer Vorteil» sein kann, in zwei Kulturen aufzuwachsen. Zudem tritt sie islamfeindlichen Vorurteilen entgegen: Die Gewalt in manchen muslimischen Familien habe ihre Ursache nicht in der Religion an sich, sondern in der Art, wie sie in den betreffenden Familien interpretiert werde.
Wojciechowski und Girndt erzählen, wie freundlich sie bei Besuchen in der WG empfangen und von den jungen Frauen mit Tee bewirtet werden; solche sozialen Tugenden sind bei den türkischen Mädchen – im Vergleich zu deutschen Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten – in der Regel eher vorhanden, gerade weil sie aus sehr traditionellen Familien stammen. «Saadet» ist das türkische Wort für Glück – und das sollen die Jugendlichen finden, wenn sie nach im Schnitt zwei Jahren die Einrichtung verlassen, um ein selbstständiges Leben führen zu können. Die WG gibt es seit 1992, 285 Mädchen haben seither hier gelebt. Saadet teilt sich den 13. Frauenförderpreis mit Martine Herpers, der Initiatorin der «Nürnberger Resolution», in der ein größerer Frauenanteil in Führungspositionen gefordert wird. Beide Projekte erhalten je 1500 Euro.
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