In der Heimat vergessen
14.4.2006, 00:00 UhrAuch dort: Fehlanzeige. Nichts deutet auf den ursprünglichen Erbauer der Kirche hin. Sie wurde allerdings im Zweiten Weltkrieg - mit Ausnahme des Turms - zerstört; der Nachfolgebau, 1957 geweiht, stammt von Werner Lutz. Im Pfarrbüro kennt man nur ihn als Architekten der Christuskirche. Nicht einmal in der Festschrift mit dem Titel «100 Jahre Christuskirche 1894-1994“ taucht der Name Hans Kieser auf.
Lehrer an der städtischen Bauschule
Glücklicherweise war Kieser fast 20 Jahre lang als Lehrer an der städtischen Bauschule tätig. Somit wurde über ihn, wie über jeden städtischen Beamten, ein Personalakt geführt, der im Stadtarchiv tatsächlich noch vorhanden ist. Dank der darin gesammelten Papiere kann man recht gut Leben und Werk eines Mannes rekonstruieren, der zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, wie man im Stadtarchiv einräumt. Bei einer Neuauflage des «Stadtlexikon“, so Stadtarchiv-Mitarbeiter Helmut Beer, soll Kieser als eigenes Stichwort aufgenommen werden. Bisher wird er nur im Zusammenhang mit der Christuskirche genannt.
Kirchenhistoriker haben Kieser vor einigen Jahren schon wiederentdeckt. So ist in der Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte von 2001 ein ausführlicher Beitrag von Hans Rößler erschienen, der sich auf der Basis der Unterlagen im Stadtarchiv ausführlich mit dem Leben und Werk Kiesers beschäftigt.
Hans Kieser erblickte am 29. Juni 1853 am Egidienplatz das Licht der Welt. Der Vater stammte aus Stuttgart, die Mutter war in Nürnberg geboren. Nachdem Hans die Lateinschule und das Realgyymnasium absolviert hatte und die Familie nach Stuttgart umgezogen war, studierte er an der Technischen Hochschule Stuttgart Architektur. Seine berufliche Karriere begann er in Amberg, aber 1883 kehrte er nach Nürnberg zurück und ließ sich hier als «Civilarchitekt“ nieder.
Repräsentative Wohnhäuser und Villen waren die Spezialität Kiesers, etwa in der Fromann- und Burgschmietstraße oder im Maxtorgraben. Er entwarf auch die Pläne für die legendäre «Villa Pocher“, die einst auf der Vorderen Insel Schütt stand und dem Kunstanstaltbesitzer Anton Pocher gehörte. Sie lässt sich gut als Beispiel für den von Kieser bevorzugten Historismus anführen, den er sowohl bei Wohngebäuden als auch - noch stärker sogar - bei seinen Kirchenbauten favorisierte.
Unter Architekten und anderen Baufachleuten entbrannte in diesem Zusammenhang um 1890 eine Diskussion über den «Nürnberger Stil“: War es möglich, durch den Rückgriff auf die Nürnberger Form der deutschen Renaissance (die gotische und Renaissance-Elemente verquickte) den Maßstäben der historischen Altstadt und gleichzeitig den Bedürfnissen der neuen Zeit gerecht zu werden?
Um den Historismus beim Kirchenbau zu verfechten, begründete Kieser 1884 den Verein für kirchliche Kunst in der Evangelischen Kirche Bayerns mit, dem u. a. Geistliche, Künstler, Kunsthandwerker, Architekten und Ingenieure angehörten. Sie alle sahen ihre Aufgabe darin, beim Neubau protestantischer Kirchen dafür zu sorgen, dass an geschichtlich entwickelte, christliche Baustile angeknüpft wurde. Im Prinzip ließen sie nur Romanik und Gotik gelten und traten folglich für den neuromanischen und neugotischen Stil ein.
Erste Kirche in der Ramsau
Seine erste Kirche baute Hans Kieser nicht in Nürnberg, sondern in der Steiermark: in der Ramsau bei Schladming, unterhalb des mächtigen Dachstein-Massivs. Diese Kirche unterscheidet sich schon von weitem durch ihre für einen vergleichsweise kleinen Ort beeindruckenden Dimensionen von den meisten anderen Kirchen in den Alpen.
Die Ramsau war schon seit dem 16. Jahrhundert evangelisch. Ganz offiziell durften sich evangelische Gemeinden aber erst nach dem «Toleranzpatent“ von Kaiser Josef II. im Jahr 1781 gründen; die Ramsauer schafften diesen Schritt 1782. Allerdings: So tolerant, dass er auch protestantische Gotteshäuser zuließ, war der Kaiser denn doch wieder nicht. Erst unter Franz Josef I. und seinem «Protestantenpatent“ von 1861 galt die Evangelische Kirche in Österreich als gleichberechtigt.
Hans Kieser entwarf einen neuromanischen Kirchenbau mit klassischem Kreuzgrundriss für die Ramsau, mit einem Längsschiff von 39 Metern und einem Querschiff von 24,5 Metern. Unter dem 42 Meter hohen Turm wurden neun Meter lange Holzpfeiler in das lockere Schwemmland getrieben, um dem Bau Standfestigkeit zu sichern - alles in allem sehr aufwändige Fundamentierungsarbeiten, die natürlich die Baukosten in die Höhe trieben. Die besonders harten Steine aus der Kramllahn in der Ramsau wurden im Winter mühselig auf Ochsenschlitten zur Baustelle transportiert. Als Maurer und Steinmetze engagierte man damals schon «Gastarbeiter“ aus Italien, die von Frühjahr bis Herbst mit dem Kirchbau Beschäftigung fanden und über den Winter jeweils in ihre Heimat zurückkehrten. Es sollte schließlich sieben Jahre dauern, bis der 750 Sitzplätze fassende Bau fertig war.
Noch heute erinnert eine Tafel neben dem Eingang der Ramsauer Kirche an den aus Nürnberg stammenden Architekten Kieser. Das haben die Nürnberger bei der Christuskirche nicht für nötig befunden. Ute Wolf
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