Forscher staunt: "Über die Hälfte hat das Reisen nicht vermisst"

Matthias Niese

Magazin am Wochenende / gute reise

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11.2.2021, 15:11 Uhr
Ulrich Reinhardt ist wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung Zukunftsfragen. 

© BAT-Stiftung Zukunftsfragen. Ulrich Reinhardt ist wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung Zukunftsfragen. 

Es ist eine Studie voller Extreme: Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung GfK befragte im vergangenen Dezember repräsentativ 3000 ausgewählte Deutsche über 18 Jahren nach ihrem Reiseverhalten 2020 und ihren Erwartungen und Wünschen fürs Reisejahr 2021. Eines der Ergebnisse der Tourismusanalyse 2021 überraschte den wissenschaftlichen Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen besonders.

"Mit 51 Prozent hat etwas mehr als die Hälfte das Reisen im vergangenen Jahr gar nicht vermisst, 70 Prozent hielten es sogar für egoistisch, in Zeiten der Corona-Pandemie zu verreisen." Urlaub habe also an Stellenwert eingebüßt, Zwischenmenschliches sei in der Krise wieder wichtiger geworden.

Als Kernergebnisse der Untersuchung kam Folgendes heraus: Nur gut jeder dritte Bundesbürger war 2020 auf einer kürzeren oder längeren Reise, davon war mehr als die Hälfte innerhalb Deutschlands unterwegs. "Da haben wir Werte erreicht, wie wir sie aus den 1970er Jahren kannten", sagt Reinhardt. Österreich verwies im vergangenen Jahr Italien und Spanien auf die Plätze zwei und drei der beliebtesten Auslandsreiseziele, während der Fernreisemarkt einen historischen Einbruch erlitt – er fiel auf den Stand des Jahres 1991 zurück.

Insgesamt nahm die Reisedauer deutlich ab. "Man kann sagen, dass die Haupturlaubsreise sich in jedem Jahrzehnt um zwei Tage verkürzt hat und die Menschen dafür öfter, aber kürzer verreisen", so Reinhardt. Dauerte der Sommerurlaub 1980 im Schnitt noch gut 18 Tage, waren es 2020 nur noch knapp zehn Tage. "Für 2025 rechnen wir mit 11,5 Tagen", nennt Reinhardt ein Datum, zu dem sich die Branche vielleicht wieder von der Pandemie erholt haben könnte.

Urlaubswunsch Nr. 1: Zeit mit Familie und Freunden

Fürs kommende Jahr gehen jedenfalls über drei Viertel der Deutschen weiterhin von anhaltender Unsicherheit bei Reisen aus, daher wird Sicherheit in nächster Zeit das wichtigste Kriterium für Planung und Buchung der kommenden Urlaubsreisen sein. Das drückt sich auch in dem am häufigsten genannten Urlaubswunsch aus: Nicht die exotische Traumreise steht an erster Stelle, sondern häufigere und kürzere Ferien und viel Zeit mit der Familie und engen Freunden.

Ulrich Reinhardt plant für sich und seine Familie schon jetzt den Urlaub 2021: "Die Stornobedingungen sind so kulant, das lohnt sich schon. Ich sehe da Licht am Ende des Tunnels." Die klassische Pauschalreise wird es nicht werden, die sieht er weiterhin in der Krise.


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Wer jetzt plant, plant eher fürs Inland oder das mit dem Auto erreichbare Ausland wie Frankreich, Österreich, Italien. Viele hätten derzeit einfach kein gesichertes Urlaubsbudget und würden abwarten, wie sich ihre wirtschaftliche Situation entwickelt. "Daher wird Last Minute in jedem Fall deutlich mehr nachgefragt", glaubt Reinhardt.

Kein Skiurlaub mehr in dieser Saison, Reisen nicht vor Ostern

Fernreisen brachen 2019 noch alle Rekorde, nach dem Einbruch müssten sie nachhaltiger und somit teurer werden, was die Nachfrage senke. Traumurlaub gebe es dann nicht mehr jedes Jahr. Und obwohl das Internet Informationsquelle Nummer 1 sei, genössen Reisebüros nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss. Auch für sie rechnet Reinhardt mit Erholung.

Auf unsere Frage, ob wir in der Skisaison 2020/21 noch auf Pisten dürfen – ob im In- oder im Ausland – sagt er ganz klar: "Nicht in diesem Frühjahr. Da plant eigentlich niemand mehr damit." Er prophezeit, dass bis Ostern kaum Reisen möglich sind. Reinhardt setzt aber auf Corona-Schutzimpfungen, "die sind zu 100 Prozent der Stein der Weisen". Nur so könne der Sommer ein Reisesommer werden, er nennt sogar einen Inzidenzwert von unter 5 als Messlatte.

Vor Attraktionen wie Freizeitparks oder Museen könnten künftig Temperaturmessungen in der Warteschlange oder Schnelltests vorgenommen werden, die bis dahin preiswert genug sein dürften. Auch viele Länder dürften auf eine Impfpflicht setzen, um sicherzustellen, "dass das Virus nicht wieder hin- und herspringt".

Zusätzlich könnten auch bei der Rückreise an der deutschen Grenze Schnelltests vorgenommen werden. "Vorstellbar ist sogar ein Sicherheitscheck 2.0 an den Flughäfen", so Reinhardt. Also inklusive Fiebermessung oder Schnelltest.

Gerade bisherige B-Reiseziele wie der Thüringer Wald - hier im Vessertal - haben von mehr Touristen profitiert. Sie wären ohne Corona wohl nie in die Winterwunderlandschaft gekommen. Das Skifahren können wir uns wohl eh abschminken, Winterwandern und Rodeln sind aber möglich.

Gerade bisherige B-Reiseziele wie der Thüringer Wald - hier im Vessertal - haben von mehr Touristen profitiert. Sie wären ohne Corona wohl nie in die Winterwunderlandschaft gekommen. Das Skifahren können wir uns wohl eh abschminken, Winterwandern und Rodeln sind aber möglich. © Matthias Niese

Werden die großen, schwer angeschlagenen Reisekonzerne wie TUI die Krise und den Wandel in der Branche überleben? "Ich denke schon. Es wird eine Marktbereinigung geben, aber die machen derzeit vieles richtig."

Hier finden Sie alle Erkenntnisse der Tourismusanalyse 2021.

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