Immer im Kreis herum auf der Suche nach der inneren Leere
9.10.2009, 00:00 UhrInnerhalb der interkulturellen Wochen geben die Derwische aus Nürnberg einen Einblick in den sogenannten Sema-Tanz und klären über seine religiösen Hintergründe auf. Der Tanz wird bis heute von dem türkischen Mevlevi-Orden praktiziert und ist in der islamischen Glaubensgemeinschaft der Sufisten verwurzelt. «Sufismus ist eigentlich nichts anderes als Mystik – die mystische Seite des Islam», erklärt Scheich Süleyman Wolf Bahn im vollbesetzten Saal. Der Sufismus bemühe sich, die Wahrheit hinter dem Greifbaren zu erfahren. Einerseits sei er vernunftorientiert, andererseits verfolge er eine besonders innige Liebe zum Schöpfer und zu seinen Geschöpfen.
Die sufistische Praxis der Derwische geht ins 13. Jahrhundert zurück als der persische Dichter und Mystiker Mevlana Rumi den Mevlevi-Orden gründete. Als Mittel zur Trance ist der Drehtanz weitaus älter, aber Mevlana Rumi kultivierte ihn und er verknüpfte ihn mit dem Sufismus. «Der sufistische Weg ist ein Weg der Reinigung. Der Mensch soll sich leer machen von seinen weltlichen Bindungen», erläutert Scheich Süleyman salbungsvoll wie ein Priester. «Der Mensch soll hohl werden wie eine Flöte, so dass der Allmächtige auf ihm spielen kann.»
Der Drehtanz ist ein Mittel, um diese innere Leere und Offenheit zu erreichen. Die Derwische drehen sich betend in Trance und sie finden auf diese Weise einen Zugang zu Gott. Sie drehen sich nach links um ihr Herz – der Weg des Sufismus ist der Weg ums Herz und der tanzende Derwisch will Gott in seinem Herzen aufspüren. Zudem haben die Derwische während ihren Drehungen die Hände geöffnet. Die Rechte weist nach oben, um Gottes Gaben zu empfangen. Die linke Hand zeigt nach unten, sie gibt das Empfangene wieder ab. Ein Derwisch soll durchlässig sein und nichts für sich behalten, das veranschaulicht Süleyman: «Derwisch heißt übersetzt «Türschwelle». Er soll nicht innerhalb des Hauses und nicht außerhalb sein, sondern dazwischen.»
Ein Derwisch tanzt nicht nur auf den gemeinsamen Treffen, sondern auch zu Hause. Mindestens 18 Umdrehungen sollte er am Tag tun. Wie lange so ein Tanz dauert, das ist abhängig von der persönlichen Verfassung des Derwischs. «Wenn es einem gelingt, sich völlig hinzugeben, dann kann er das stundenlang», versichert Süleyman. Durch die Ekstase, in die ein Derwisch in Folge seines Drehtanzes eintaucht, gebe er die Selbstkontrolle in eine andere Dimension ab.
Auf die berechtigte Frage einer Zuschauerin, ob das Drehen nicht Schwindel auslöst, erwidert Scheich Süleyman: «Das Schwindelgefühl hört irgendwann auf. Der Schwindel ist ein Zeichen des Äußeren. Wenn das Bewusstsein das Innen und Außen nicht mehr wahrnimmt, dann tritt auch kein Schwindel ein!»
Als die Derwische mit ihren Drehungen aufhören, bleiben sie tatsächlich kerzengerade stehen. Mit überkreuzten Armen verneigen sie sich, Scheich Süleyman spricht ein Gebet und die Derwische marschieren anschließend aus dem Saal.
Das Publikum nimmt die Darbietung unterschiedlich auf. Einige Zuschauer haben nach einer halben Stunde bereits den Saal verlassen. Viele sind dagegen fasziniert: Ein türkischer Familienvater bedankt sich ausdrücklich bei Scheich Süleymann dafür, dass er den Drehtanz in Nürnberg kennenlernen konnte.
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