Kampf gegen Vorurteile und Bildungsdünkel
4.3.2011, 16:17 UhrNach dem erfolgreich erreichten Titel nannte sich Berta Kipfmüller konsequenterweise nicht Frau Doktor, sondern Fräulein Doktor. Denn: „Jede Schneegans in Bayern nennt sich Frau Doktor, weil ihr Mann es ist.“
Als Fräulein Doktor 1948 in Pappenheim starb, barg ein Verwandter ihre Prachtbände, eine Goethebüste, ihre „Lebenserinnerungen“ – und vor allem rund 60 Bände Tagebücher von den 1880er Jahren bis 1946. Gut 10000 Seiten in Gabelsberger Kurzschrift. Ihr Urgroßneffe Hans-Peter Kipfmüller machte sich die Mühe, die Aufzeichnungen zu transskribieren. Zusammen mit der Historikerin Nadja Bennewitz (die aus den „Erinnerungen“ las) berichtete er im BZ zum 150. Geburtstag am 28. Februar vom Leben und vom Wirken der illustren Ahne.
Und die waren ganz schön heftig, geprägt vom Zwist aus Ideal und Wirklichkeit. Was nutzen die besten Geistesgaben, wenn sie aus Geschlechts- und Standesdünkel ignoriert werden? Was bringt die Liebe, wenn idiotische Standes- und Berufsreglements eine Ehe verhindern? Was bringt das Ideal der „geistigen Selbstveredelung“ wenn man umgeben ist von Trotteln und Krämerseelen?
Geboren 1861 in Pappenheim als Tochter eines Goldschmieds, hegte Berta von Anfang an einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit: „Unrecht blieb für mich das rote Tuch, das mich aufflammen ließ.“ Von ihrer Konfirmation behielt sie vor allem Herrn Pfarrers Beherzigung „Ihr werdet nach und nach selbstständiger werden.“
Als Berta bei einer Meinungsverschiedenheit mit ihrem Vater den Pfarrer zitierte, trug ihr das fast eine Ohrfeige ein. Apropos Ohrfeige: „Wenn mein Mann mich nicht haut, bin ich ihm gleichgültig.“ Was wie ein Witz klingt, ist das Zitat einer bayerischen Bürgermeistersgattin aus jener Zeit.
Früh zeigte sich ihre pädagogische Begabung, Berta wollte Lehrerin werden. Die Eignungsprüfung allein dauerte drei Tage. Nach der Volksschule trat Berta Kipfmüller eine Stelle als Hilfslehrerin in Eysölden an, wo sie gleich auch noch den Kantor vertreten durfte. Als Tochter aus gutem Hause konnte sie natürlich Klavier spielen. Die Fußarbeit an der Orgel musste sie sich selbst aneignen.
Lehrerinnen sollten unverheiratet bleiben
In Eysölden hatte Berta auch die Liebe ihres Lebens zu einem jungen Offizier. Aber undurchschaubare Reglementarien verboten eine Ehe zwischen Solda und Lehrerin. Zudem herrschte damals die seltsame Vorstellung des Lehrerin-Zölibats. Wenn eine Lehrerin doch heiratete, musste sie ihren Beruf aufgeben. Nicht nur die Liebe zerbrach daran: der Offizier beging Selbstmord. „Jetzt bin ich nur noch Lehrerin, ausschließlich für die Kinder da“, heißt es in ihrem Tagebuch.
Ganz ausschließlich dann doch nicht. 1886 gründete Berta Kipfmüller den Mittelfränkischen Lehrerinnen-Verein, der erste bayerische selbstständige Berufsverein. Sie korrespondierte mit Frauenrechtlerinnen in Deutschland und war die Schlüsselfigur, die die Frauenbewegung auch nach Bayern schwappen ließ. Neben der Gründung weiterer Frauen- und Lehrerinnenvereine war ein weiterer Meilenstein ihre Mitbegründung des Vereins „Frauenwohl“ in Nürnberg anno 1895.
Zudem lernte Berta Kipfmüller im Lauf ihres langen Lebens zehn bis zwölf Sprachen, darunter Russisch, Chinesisch und Sanskrit. Zwei Jahre lang bereitete sie sich selbstständig auf das Studium vor.
Von 1896 – 99 studierte sie in Heidelberg Germanistik, Sanskrit, vergleichende Sprachwissenschaften, Philosophie, Geschichte und Nationalökonomie. In ihrer Doktorarbeit forschte sie dem Werdegang einzelner Worte aus dem Sanskrit über Griechisch, Latein und Althochdeutsch bis ins Hochdeutsche. Doch ein anderer Doktorand kam ihr in diesem Thema zuvor. Alles umsonst! Berta rappelte sich wieder auf und promovierte über das Ifflandsche Lustspiel.
Von 1899 bis 1926 lehrte sie an der Höheren Mädchenschule in Nürnberg und lieferte sich mit dem Direktor heftigste Kämpfe. Merke: Wenn der Direx ins Klassenzimmer kommt, muss die Lehrerin vom Katheder herunter!
Beziehungen zu anderen Frauen machte der Tod zunichte. Merkwürdigerweise war Berta Kipfmüller auch Mitbegründerin des „Richard-Wagner-Verbandes deutscher Frauen“. Wer Wagners Frauenbild kennt („Tristan, treulos Trauter“ – „Isolde, süße Holde“) kann sich darüber nur wundern.
Ruhestand? Nix da! Nach ihrer Pensionierung promovierte unsere Lehrerin 1929 noch zur Doktorin der Rechte, nahm 1938 chinesische Studien in Berlin auf, und lernte gegen Kriegsende für den Fall der Fälle Russisch.
Dafür rückten dann die Amerikaner in Pappenheim ein. Und dort baute Berta Kipfmüller noch 1946, mit 85 Jahren, das Kulturreferat auf. Also: Hut ab!
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