Dauerlauf gegen die Schneemassen

12.12.2010, 19:20 Uhr
Dauerlauf gegen die Schneemassen

© Uwe Niklas

Auf der Kreuzung zur Vollandstraße schiebt er den Schnee zu einem großen Haufen zusammen. Weiter geht es. Die Nacht ist kurz, die Wege sind noch lang. Schon gegen 1 Uhr hatte Dieter Kallert, SÖR-Einsatzleiter vom Dienst in dieser Samstagnacht, entschieden, dass erneut alle 35 Schneepflug-Fahrer seiner Zwölf-Stunden-Schicht ran müssen. In dem hellen, in weiß gehaltenen Leitstellen-Büro an der Großreuthstraße begann der telefonische „Weckdienst“ gegen 1.45 Uhr: „Guten Morgen, da ist der Günni. Kommst a weng rein?! Dir ist bestimmt langweilig im Bett...“

Langeweile hatte Harry Volkmann nicht nach nur dreieinhalb Stunden Schlaf. Doch als er wenig später die Loher Hauptstraße, die Marienbergstraße und die Flughafenstraße abfährt, wirkt er entspannt. Die linke Hand steuert den Lenkrad-Knauf, mit der Rechten richtet der 48-Jährige immer wieder die bald 1,2 Tonnen schwere Pflugschaufel aus oder justiert den automatischen Salzstreuer am Heck des Unimogs: die Salzmenge pro Quadratmeter, die Streubreite — vier Meter auf normalen Straßen, bis zu acht Meter im Kreuzungsbereich.

Zwischen Herrnhütte, Schnepfenreuth und Buchenbühl liegt Volkmanns Revier. 23 Straßenkilometer stehen auf seinem Plan. Mit zwei Fahrbahnen ergeben sich 46 Kilometer Haupt- und Verbindungsstrecken, die SÖR in die Räum-Kategorien eins und zwei eingeordnet hat. Die Fuchsstraße in Buchenbühl gehört als Anwohnerbereich eigentlich in die Kategorie drei. Weil sie eine Steigung hat, auf der Autos leicht ins Rutschen geraten, versucht Volkmann trotzdem immer wieder, mit dem schweren Räumfahrzeug dort durchzukommen.

Nacharbeiten, was vom Schneechaos am Freitag übrig geblieben ist, lautet die Devise. Und den Neuschnee dieser Samstagnacht abräumen. Seit Mitternacht hat dichteres Schneetreiben eingesetzt. Zudem drohen Eisgefahren: Tauwetter ab Samstagvormittag, zunehmender Frost ab Montag. Das Wochenende sollen die Fahrer deshalb dazu nutzen, auch Neben- und Wohnstraßen freizuräumen. Der dicke Schneematsch dort würde sich sonst zum Wochenbeginn in spiegelglatte Bahnen verwandeln.

Für die gut 70 Fahrer und die bald 400 „Handtruppen“, die in zwei Schichten eingesetzt werden, waren die letzten Tage Dauerstress. Die Schneepflüge sind seit Donnerstag früh kaum stehen geblieben. Und die Handtruppen, die mit Pritschenwagen, Kleintraktoren und Schneeschaufeln den Schneemassen entgegentreten, bekommen zu allem Überfluss den Unmut der Bürger ab. Doch trotz grauer Gesichter und dicker Augenringe bleibt der Ton der meisten Kollegen locker.

In der Loher Hauptstraße kracht es plötzlich unter dem Unimog. Harry Volkmann grinst: Die eiserne Pflugschaufel ist von einem Kanaldeckel angelupft worden. „Das ist gar nicht so schlecht, da wird man wieder wach.“ Die wohlige Wärme in der Fahrerkanzel, die Sitzheizung, die elektrisch beheizte Frontscheibe, die immer gleichen Straßenzüge ... da könnte man in der einsamen Nacht mal unaufmerksam werden.

Forchheimer Straße. Ein privater Winterdienstler hält Volkmann gegen 3.50 Uhr an. Das leichte Gerät des Mannes ist mit den Schneemassen überfordert. Ob der schwere Unimog den riesigen Haufen am Ende des Garagenhofes in die Wiese schieben könnte? Der 48-Jährige schiebt und winkt freundlich ab, als der „Kollege“ mit einem Geldschein wedelt: „Wenn wir uns mal sehen, gibst a Tässla Kaffee aus.“ Gegenseitige Unterstützung ist Ehrensache.

Vor allem wenn es um die „Handräumer“ geht, die Überwege und Verkehrsinseln in mühevoller Muskelarbeit freischaufeln müssen. Zwar werden sie bis zu zwei Stunden nach den Schneepflügen in den Kampf geschickt. Trotzdem kommt Volkmann an manchen Überwegen erst nach dem Handräumer vorbei — und schiebt die Fußgängerschneise wieder zu. Also achtet er auf den Kollegen draußen, spricht auch mal die Reihenfolge der Straßenzüge mit ihm ab.

Überhaupt: „Man muss reden mit den Leuten“, sagt der 48-Jährige, während der Pflug von der Dorffeld- in die Loher Hauptstraße rechts abbiegt. Am Rande dieser 120-Grad-Kurve türmt Volkmann gerne den Schnee von der Fahrbahn auf. Nachts um vier hielt ihn kürzlich eine Anwohnerin auf und beschwerte sich. Volkmann stieg aus und erklärte der Frau, dass solche Haufen in der weiten Kurve weniger ärgerlich sind, als wenn er die weiße Pracht zurück auf die engen Bürgersteige schieben müsste.

Nervig ist manchmal der Papierkram. Tagesberichte, Streukladden — jeder Streckenabschnitt, den der Pflug zurücklegt, muss minutiös dokumentiert werden. Das braucht SÖR als Nachweis, wenn es zu winterlichen Verkehrsunfällen kommt.

Und dann die Autofahrer. Trotz dichten Schneegestöbers haben es einige Zeitgenossen im Berufsverkehr immer eilig, müssen sich unbedingt noch vor den Schneepflug quetschen. Andere „kennen die Breite ihres Autos nicht“, erzählt Volkmann mit einem freundlichen Lächeln. Vor allem in der Kalchreuther Straße wird das zum Problem.

Dieser Asphaltweg mitten durch den Wald ist kaum breiter als die Pflugschaufel und eigentlich als Forststraße konzipiert. Doch im allmorgendlichen Wettrennen zwischen 5.30 und 8 Uhr nutzen immer mehr Bewohner aus Kalchreuth bzw. Heroldsberg diesen Schleichweg Richtung Arbeitsplatz. Die Wassergräben zu beiden Seiten lassen Volkmann keine Möglichkeit auszuweichen. Also stoppt der 48-Jährige seinen Unimog und lässt den Gegenverkehr fließen. Bisweilen bleibt schon mal ein allzu forscher Fahrer an der gut drei Meter breiten Pflugschaufel hängen.

Kein Geschäft für nervenschwache Zeitgenossen also, wie Volkmann vom ersten Tag an klar wurde. Vor 15 Jahren kam er zum Winterdienst wie die berühmte Jungfrau zum Kind. Einer der festen Pflug-Fahrer war, damals noch beim Tiefbauamt, ausgefallen. Er wurde als Ersatz einbestellt, weil er die Fahrzeuge von der Sommerarbeit her kannte. „Der Knopf ist dafür, der dort drüben hierfür“, sagte ein Kollege — und Volkmann wurde in den Winter hinausgeschickt. „Die Routeneinweisung hab ich dann über Funk bekommen“, erinnert sich der 48-Jährige mit einem Grinsen.

Die Uhrzeiger marschieren auf sechs zu. Der Schnee ist in Schneeregen übergegangen. Wegen der Blitzeis-Gefahr hat Volkmann mehr Salz gestreut als sonst. Auf dem Rückweg durch die Kalchreuther Straße ist der Vier-Kubikmeter-Container hinter der Fahrerkanzel leer. Also zurück an die Großreuther Straße, am Salzdepot (es fasst 1800 Tonnen) nachladen, schnell eine Tasse Kaffee schlürfen. Und schon geht es wieder hinaus ins Morgengrauen.

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