Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

20.9.2010, 14:29 Uhr
Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

© Harald Sippel

spindeldürr, aber mit beachtlicher Oberweite und Kindchengesicht, dazu mit Zubehör: Brathähnchen, Kuchen, Torte und Kloschüssel en miniature, alles zusammen im pinkfarbenen Karton. Die „Bulimie-Babsi“ gibt es nicht im Spielzeugladen, sondern nur in Galerien und bei ihrer Schöpferin Bettina Graber in Vorra. Ihr zur Seite stehen eine Handwerker-Babsi und eine übergewichtige Babsi samt Zubehör. Ist das nun Kunst? Provokation? Gedankenanstoß?

Kunst ohne Handwerk?

Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

Bettina Graber, Jahrgang 1976, absolvierte nach der Schule eine Ausbildung im Keramik-Handwerk und brachte es darin zur Meisterin. Fünf Jahre nahm das in Anspruch. Danach studierte sie an der Akademie der Bildenden Künste, erst in München, dann in Nürnberg. Nochmal sechs Jahre. „So eine Kombination wollte ich von Anfang an“, erklärt Bettina Graber. „Ich wollte Künstlerin werden, aber auch ein Handwerk beherrschen. Dass es dann Keramik wird, das hat sich so ergeben“. Also das Handwerk als finanzielle Absicherung? „Hätte ich ein Handwerk um der Sicherheit willen gewählt, dann hätte ich gleich Klempner gelernt“, erklärt Bettina. „Auf jeden Fall ist es gut, wenn man eine handwerkliche Grundlage an die Akademie mitbringt.“

Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

Gerade modelliert sie eine Marienfigur aus Ton. Zwei Madonnen mit barockem Faltenwurf und süßlicher Miene zieren als Leihgaben ihren Arbeitstisch. Bettina Graber bezeichnet diese offenherzig als Nippes. „Die benutze ich für die Proportionen und den Gestus“, erklärt sie frank und frei. Ja, aber warum kopiert sie dann Nippes? „Das Kunstwerk ist ja noch nicht fertig“, gibt die Meisterin Bescheid. „Die Marienfigur steht nachher auf einem Düsenjäger.“

Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

Wer mit Ton, Porzellan und Keramik arbeitet, gerät schnell in den Verdacht, nicht Kunst, sondern Kunstgewerbe zu fabrizieren. „Ich hatte an der Akademie befürchtet, schnell in die Kunsthandwerk-Ecke gestellt zu werden“, erzählt Graber. „Wobei die Übergänge vom Handwerk zur Kunst fließend sind. Beim Handwerk zählt die Technik, nicht der Inhalt oder das Konzept. Der Keramiker fragt sich: Was mache ich mit der Keramik? Ich hingegen frage mich: Was habe ich für ein Thema? Und welches Material bietet sich dafür an? Textil, Holz, Kunststoff oder Keramik?“

Nun appelliert Kunsthandwerk aus Keramik gerade mit seinen niedlich-süßlichen Aspekten an die kitschempfänglichen Zonen im kollektiven Unbewussten. Glatte, schimmernde Oberflächen, irisierende Farben – das bedient die Sehnsucht nach der Heilen Welt. „Wir wollen uns alle eine Heile Welt schaffen – und das klappt angesichts des Zustands der Welt nicht“, seufzt Bettina Graber. Eben diesen Zwiespalt aus Sehnsucht und Diskrepanz lotet die Künstlerin mit ihrer Arbeit aus. Zum Beispiel mit einem Leopard-Panzer aus schimmerndem Porzellan. „Weiß ist die Farbe der Unschuld“ lautet sein Titel.

Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

Eine Spieluhr klimpert „Yesterday“ von den Beatles. Oben drauf rotiert aber keine Ballerina, sondern eine Miniatur-Rakete aus Porzellan. „Wir sind alle vom Krieg geprägt“, erklärt Bettina, „und dass wir so lange Frieden haben, ist für uns ein Glück, keine Selbstverständlichkeit.“

Kitsch und Koons

Auf die Spitze getriebener Kitsch als Kunst – Jeff Koons hat es mit seinen magenumwälzenden Porzellanfiguren von Michael Jackson und dessen Affen „Bubbles“ vorgemacht. „Ich glaube nicht, dass der Koons seine Figuren selbst geformt und gebrannt hat“, zweifelt die Keramikmeisterin, „der hat vielleicht den Entwurf gezeichnet und die Glasur gemalt.“

Die eigenwillige Künstlerin Bettina Graber

Grabers ästhetische Wurzeln reichen zurück in die Barockkirchen ihrer unterfränkischen Heimat rund um Würzburg. Ekstasen exaltierter Heiliger aus Stuck, die mit Marterwerkzeugen winken, hatte sie von Kindheit an vor Augen. Solche Eindrücke setzt sie nun um in ein „Mausileum“, einen barocken Kenotaph für all die malträtierten Mäuse, die ihre Katze anschleppt: Auf einem Goldkissen ruht ein Nagetier aus Porzellan auf dem Rücken, über ihm wölbt sich ein Rundzelt-Baldachin, der sich als Klorollen-Häkeldeckchen entpuppt.

Noch garstiger: das „Tamponreliquiar“, ein echter Tampon mit roter Farbe auf Samt, umgeben von Glas- und Perlen-Applikationen, wie man sie bei Votivgaben in der katholischen Volkskunst findet. „Einerseits verherrlicht die Kirche Jungfräulichkeit und damit Reinheit, andererseits fließt alle vier Wochen Menstruationsblut“, wundert sich die Künstlerin. „Ekliges Zeug ist meine Sache nicht. Bloß: Aus dem, was wir als eklig empfinden, entsteht Leben“.