Die Familie Fürth
19.9.2009, 00:00 UhrDas stimmt auch irgendwie. Denn in den Bauten des «Solo»-Konzerns, wie er am Ende hieß und wo in den besten Zeiten bis zu 400 Millionen Schachteln mit Zündhölzern die Bänder und Maschinen verließen, arbeiteten einmal bis zu 2000 Frauen und Männer; Anfang des Jahres wurde er endgültig «abgewickelt», die Produktion eingestellt.
Nach 169 Jahren endete so kläglich und leise eine europäische Erfolgsstory, die ohne den Namen «Fürth» so nicht hätte geschrieben werden können.
Bernhard Fürth muss man genauer sagen. Denn dieser Mann hatte 1839 die Firma gegründet. Er war der Spross einer Kaufmannsfamilie, die irgendwann zwischen 1700 und 1800 (exakt lässt sich das heute nicht mehr eruieren) aus der mittelfränkischen Stadt nach Böhmen kam. Anhänglichkeit an die Heimat oder ganz profane bürokratische Vorschriften, denen sich Juden damals beugen mussten, identifizierten die Exilanten fortan mit ihrem verlassenen Geburtsort.
Dabei nannten sie sich nicht etwa «Fürther» (wie man es etwa vergleichsweise vom Namen Berolzheimer oder Frankfurter kennt), sondern kurz und knapp Fürth. Das Wappen der Stadt, das Kleeblatt, war zudem – in manchen Exlibris etwa – eine weitere sinnlich-treue Verbindung bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Bernhard Fürth also war im eher trüben Schüttenhofen ein Licht aufgegangen: Die noch junge Erfindung der entzündbaren Hölzchen perfektionierte er und stellte sie schon bald mit importierten modernsten Maschinen massenhaft her. Binnen weniger Jahre wurde die «Zündwaren-Fabrik Bernhard Fürth» zum führenden Markenhersteller weltweit.
Heute kann man nur noch im Stadtmuseum von Susice diesem Glanz nachspüren. Unzählige bunte Zündholzschachteln sind in den Vitrinen zu bestaunen mit Motiven, die beweisen, wie weit die Reisen dieser kleinen nützlichen Alltagshelfer damals gegangen sind. Landestypische Illustrationen zieren die Holzkästchen mit Szenen und in Trachten gekleideten Menschen aus China, Indien und Amerika. Fremde Schriftzeichen sind aufgedruckt, aber immer sticht etwas hervor: der Namenszug «B. Fürth» mit dem Zusatz «Schüttenhofen» oder später «Vienna».
Zwar blieb der böhmische, zum K.u.K.-Reich gehörende Ort Hauptsitz der Firma und Mittelpunkt der Dynastie Fürth, man hatte aber natürlich beizeiten, schon aus gesellschaftlichen Gründen, seine Fühler zur Residenzstadt Wien ausgestreckt. Schüttenhofen aber war um die Jahrhundertwende fest in Fürther Hand. Gleich gegenüber der Fabrik stand (und steht) die prächtige «Villa Fürth»; überall stieß man auf den Namen, nicht zuletzt, weil sich die Familie sozial engagierte, für Kindergärten und günstige Arbeiterwohnungen sorgte. Unterstützt wurde großzügig die örtliche jüdische Gemeinde, die ohnehin zahlenmäßig von den vielen Fürths angeführt wurde. Auf dem kleinen Friedhof, auf dessen Grabsteinen man heute noch den Namen Fürth oft entziffern kann, wurden lange Zeit auch die Familienmitglieder beerdigt, die in irgendeinem anderen Winkel Europas gestorben waren.
Denn die Fürths schwärmten aus und vermehrten sich. Im benachbarten Strakonice schon gab es einen anderen Zweig, der sich – Exotisches war en vogue zu jener Zeit – der Produktion von orientalischen Kopfbedeckungen, sogenannten «Fezen» widmete. In Prag tauchten sie auf und wurden, zurückgehend auf die Schüttenhofener oder Strakonitzer Linie, in den Meldelisten als Händler, Reisende oder Fabrikanten geführt – und natürlich in Wien. Sie machten politische Karrieren, wurden geehrt («Otto von Fürth» taucht da als Reichstagsabgeordneter auf), waren wirtschaftlich erfolgreich und gehörten zu den oberen Wenigen.
Ein Julius Fürth kaufte sich 1895 das bereits bestehende «Sanatorium Eder» in der Josefstädter Schmidgasse und es gelang ihm, das Haus zu «einem der ersten Sanatorien für Chirurgie, Gynäkologie und Geburten», wie es noch in einer Anzeige in Lehmanns Adressverzeichnis von 1938 heißt, zu machen. Das Sanatorium Fürth war für die Frauen des jüdischen Mittel- und Großbürgertums die Geburtsklinik ihrer Wahl, so kam etwa der spätere Opernkenner Marcel Prawy im Sanatorium Fürth zur Welt. Julius Fürth verstarb 1923 und vererbte das Haus an seinen Sohn Lothar, der es mit wechselndem Erfolg bis ins Frühjahr 1938, als in Österreich die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, führte.
Und da begann sein Leidensweg der Entrechtung, Beraubung und Erniedrigung, der ihn schließlich in den Tod führte.
Am 2. April 1938 wurde er von einem wütenden Mob gezwungen, zusammen mit seiner Frau vor dem Sanatorium in einer der zynisch «Reibpartie» genannten Hetzjagden das Straßenpflaster zu waschen. Wenige Tage später nahm sich das Ehepaar das Leben.
Wer heute vor dem stattlichen Eckgebäude hinter dem Wiener Rathaus steht, kann es lesen. In das Pflaster ist eine kleine goldene Platte, einer dieser «Stolpersteine» eingelassen, die in vielen Städten auf das Schicksal der Juden aufmerksam machen sollen: «Zum Gedenken an Susanne und Lothar Fürth. Stellvertretend für alle, die durch Erniedrigungen und Verzweiflung in den Selbstmord getrieben wurden.»
Lothar und Susanne Fürth waren nicht die einzigen Opfer der Nazis. Zahlreiche Familienmitglieder starben in Konzentrationslagern, wenige konnten fliehen. Eines von ihnen war Vera Fürth, die als kleines Mädchen mit ihren Eltern nach Schweden kam. Dort traf sie später Bruno Kreisky. Sie heiratete ihn und wurde Österreichs «First Lady» . . . Zudem gibt es Verbindungen der Fürths zu den Rothschilds, aber auch ganz bodenständige und «normale» Nachkommen leben heute noch: in Stockholm ein Thomas Fürth, der sich intensiv der Ahnenforschung, in diesem Fall also der «Mischpochologie», verschrieben hat, und in Prag zum Beispiel Stefan Templ, ein Ur-Ur-Ur-Urenkel von Bernhard Fürth.
Und wer mit dem Autor und Architekturkritiker Templ in Prag über die Familie Fürth spricht, der kommt irgendwie zwangsläufig auch auf den Namen Kafka. Zwar hatte der Schriftsteller in seiner Eigenschaft als Angestellter der Arbeiter-Unfallversicherung nichts direkt mit der Zündholzfabrik Fürth zu tun («Sein Rayon war mehr Nordböhmen,» meint Biograf Klaus Wagenbach), und dennoch: Kafkas Tante Anna hatte einen Zündholzfabrikanten namens Adler aus Schüttenhofen geheiratet, dessen kleine Fabrik von den Fürths aufgekauft wurde. Als Witwe lebte Anna dann in Strakonitz, dem Ort, aus dem Kafkas Vater kam, und wo sich Franz gelegentlich aufhielt.
«Aber natürlich», sagt Stefan Templ, «gibt es da auch etwas ganz Konkretes zwischen meiner Familie und dem Franz, eine wirkliche Beziehung. Und die geht wiederum über meine Großmutter und meinen Großonkel, Emil Utitz, der ein Schulkollege von Kafka war auf dem deutschen Gymnasium in Prag, der dann die Erinnerungen an Kafka niedergeschrieben hat. Und meine Großtante, Ottilie Utitz, geborene Schwarzkopf, hat mir immer nur diesen Satz erzählt: «Es ist für mich so unvorstellbar, aber der Kafka Franzl, der war ja so ein furchtbar schüchterner Mensch und ist immer so eingezogen herumgelaufen – und heute ist der Kafka Franzl ein Dichter wie der Goethe und der Dante».
Der «Kafka Franzl» übrigens schrieb Anfang Februar 1918 einen Brief an seinen Freund Felix Weltsch. Und der beginnt mit den Worten: «Lieber Felix, besten Dank Dir, und Fürth natürlich auch.»
Kafka meinte den ihm lieb gewordenen Walter Fürth (1896 – 1946), ein Unikum und schriftstellerisch dilettierenden Bohemien aus dem Umfeld des literarischen Prager Kreises, zu dem auch Franz Werfel oder Max Brod gehörten. Ob dieser Walter nun aus der Schüttenhofener oder der Strakonitzer Mischpoche abstammt, lässt sich heute nicht mehr exakt feststellen. Ein Fürther, pardon: ein Fürth aus Böhmen aber war er auf jeden Fall.
Am 27. September ab 12.05 Uhr ist im Bayerischen Rundfunk, Bayern 2, eine Sendung des Autors über die Familie Fürth zu hören.