Die Weltreise eines Bestsellers aus Nürnberg
04.02.2011, 20:00 Uhr
Vor zwei Jahren machte Mittelschullehrerin Debra Court eine Entdeckung in einer Vorratskammer der Lutherischen Kirche St. Paul in Bonduel, Wisconsin. Die Amerikanerin wollte ihrer Klasse Taufregister zeigen und wühlte deshalb in den dort aufbewahrten alten Büchern und historischen Aufzeichnungen. In der hintersten Ecke stieß sie auf ein großes, schweres, ledergebundenes Buch mit Messingbeschlägen und einem ebensolchen Verschluss. Sie hielt es für irgendein altes Buch und dachte nicht weiter darüber nach.
Dass es sich dabei um eine Nürnberger Kurfürsten-Bibel aus dem Jahr 1670 handelt, kam erst ans Licht, als die Lehrerin dem Pfarrer der Gemeinde, Timothy Shoup, ihren Fund zeigte. Der betrachtete die römischen Ziffern und dachte zunächst, er habe sich vertan, als er aus ihnen die Jahreszahl 1670 herauslas. Immerhin ist die Kirche selbst nicht einmal 150 Jahre alt. Man habe die älteren Gemeindemitglieder gefragt, aber keiner konnte sich daran erinnern, wie die Bibel den Weg in die Kirche gefunden hatte.
Mehrere Medien berichteten über den Fund, sogar im Fernsehen wurde die Nürnberger Bibel gezeigt. Doch während der Fund in den USA für Euphorie sorgt, sieht Christine Sauer, Leiterin der Handschriftenabteilung in der Stadtbibliothek Nürnberg, die Sache deutlich gelassener: „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Nürnberger Bibeln rund um den Globus auftauchen“, sagt sie. Immerhin war die Noris im 17. Jahrhundert immer noch ein Kommunikationszentrum, in dem auch zahlreiche Bücher gedruckt wurden. Dabei war die Bibel „natürlich der Verkaufsschlager schlechthin“, wie Christine Sauer erklärt.
„Den gemeinen Mann vor Ketzerei und Irrlehren schützen“
Die Nürnberger Buchdruckerei Wolfgang Endter druckte die Heilige Schrift in drei verschiedenen Ausgaben. Die größte, kostbarste und am aufwendigsten gestaltete war dabei die Kurfürsten- oder Weimarer Bibel, eine Luxusausgabe im Folioformat. Sie entstand auf Initiative des Herzogs Ernst von Sachsen-Gotha-Altenburg (1601–1675), genannt der Fromme. Ziel sollte es sein, „den gemeinen Mann, der in Künsten und Sprachen nicht erfahren, durch die Glossierung vor Ketzerei und Irrlehren zu schützen“.
Zu diesem Zweck beauftragte Herzog Ernst zwei Jenaer Professoren, die die Heilige Schrift mit vielen Zusätzen versahen: „Anhänge, Register und Vorworte sind enthalten, sogar eine Geschichte der Ketzerei gibt es“, erklärt die Leiterin der Handschriftenabteilung. Zahlreiche aufwendige Illustrationen schmücken die Ausgabe außerdem.
1641 erschien die erste Auflage, im Entstehungsjahr der Fundbibel 1670 wurde bereits die sechste Auflage gedruckt, die letzte erschien 1768, weiß Christine Sauer. Sie war so populär, dass man sie sogar ins Französische und Italienische übersetzte. Die mehrere Kilo schweren Bibeln fanden sich nicht nur in Kirchen wieder, sondern auch in zahlreichen wohlhabenden Haushalten als Hausbibel.
„Oft waren sie mit Familiennotizen versehen, etwa mit Einträgen über die Geburt von Kindern oder den Tod von Familienmitgliedern“, so Sauer. Und sie wurde freilich oft mitgenommen, wenn die Familie in ein anderes Land auswanderte. So verschlug es wohl auch das Exemplar von 1670 nach Wisconsin. Unter der Internetadresse http://www.digitaljournal.com/article/302665 ist im Internet sogar ein Video zu sehen, in dem man einen guten Eindruck vom Zustand der Bibel bekommt. „Das Exemplar scheint relativ unberührt zu sein und einen gut erhaltenen, typischen Nürnberger Einband zu besitzen“, urteilt Christine Sauer.
Trotzdem dürfte es kein Vermögen wert sein: Bei einer Auktion habe eine Endter-Kurfürsten-Bibel aus demselben Jahr 2200 Euro eingebracht. Obwohl bei dieser der Einband – im Gegensatz zu der in Wisconsin gefundenen – beschädigt war, „könnte der Ort von dem Erlös nicht seine Kirche renovieren“, scherzt die Leiterin der Handschriftenabteilung.
Das hat man dort auch gar nicht vor: Vielmehr soll extra für das vermeintlich „seltene Stück“ eine klimatisierte Vitrine angeschafft werden. Bis zum 150. Jubiläum der Kirche in zwei Jahren soll es dort ausgestellt werden, anschließend plant der Pfarrer, es der Bibliothek von St. Louis zu spenden.
Die Stadtbibliothek besitzt selbst drei Kurfürsten-Bibeln, wenn auch keine von 1670. „Wir bekommen Endter-Bibeln häufig von Privatleuten angeboten.“ Die Begeisterung der Amerikaner für die „German Bible“ wird das hoffentlich nicht schmälern.
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