"Diese Technik verzeiht einfach keine Fehler"

23.3.2011, 08:00 Uhr

„Ich war im Allgäu, im Ostallgäu. Mit meiner dreijährigen Tochter. Wir haben Freunde besucht. Waren viel draußen. Wie die meisten Leute an diesem schönen Wochenende. Später gab es ein Gewitter.“

Tschernobyl, die Reaktorkatastrophe, die Wolke, die nach Westen zog. Barbara Geier-Häckh denkt nicht gerne daran. „Was dürfen wir essen? Wie hoch darf die Milch belastet sein, damit wir sie bedenkenlos unseren Kindern geben dürfen? Können wir raus? Dürfen die Kleinen im Sandkasten spielen?“ Die Verunsicherung war riesig, politische Aussagen diffus und kontrovers und das Ausmaß der Katastrophe nicht einzuschätzen.

Sie hatten kleine Kinder und große Angst: Aus ihrer Hilflosigkeit heraus haben sich Barbara Geier-Häckh und rund 25 andere Frauen zur Initiative „Mütter gegen Atomkraft“ in Nürnberg zusammengeschlossen. 25 Jahre ist das nun her. Zwischenzeitlich wurden sie belächelt. „Was, euch gibt’s noch?“ Jetzt lächelt niemand mehr. Seit der Laufzeitverlängerung und erst recht seit Fukushima hat sich die ermüdete Anti-Atomkraft-Bewegung wieder in Bewegung gesetzt. Und starken Zulauf bekommen – vor allem von der jüngeren, im Internet gut vernetzten Generation.

Damals lag das Internet noch in der Zukunft – gut vernetzt mit anderen Initiativen waren die „Mütter gegen Atomkraft“ aber auch offline. Zuerst, sagt Geier-Häckh, ging es darum, an glaubwürdige Informationen zu kommen. Denn Politiker verstärkten die Verunsicherung nur. Die Mütter haben sich unabhängige Messergebnisse besorgt und sie veröffentlicht. Haben sich selbst ein Messgerät beschafft und die Sandkästen überprüft. Haben zu Spenden aufgerufen. Und sich informiert: Wie funktioniert Atomkraft? Kann ein solcher Unfall auch im nur 90 Kilometer entfernten Grafenrheinfeld passieren? Und wie sicher sind deutsche Atomkraftwerke?

© Roland Fengler

Ein Jahr nach Tschernobyl hieß das Ziel der Initiative: Aufklärung der Öffentlichkeit. Atomkraft, so die Devise, ist teuer, gefährlich – und ersetzbar. Ob bei Demonstrationen oder an Informationsständen in der Innenstadt, die „Mütter gegen Atomkraft“ waren aktiv dabei. Seit Jahren macht sich die Initiative nun für erneuerbare Energien stark, ist Mitbegründerin des Nürnberger Energiewendebündnisses.

Es sei toll, dass wieder so viele Leute auf die Straße gehen, sagt auch Kristin Mühlenhardt-Jentz von den „Müttern gegen Atomkraft“. Entscheidend sei aber, ob die Leute ihren Widerstand auf Dauer aufrechterhalten. „Wir dürfen nicht mehr locker lassen“, stimmt ihr Barbara Geier-Häckh zu. Sonst schaltet die Regierung, und das ist ihre Angst, „die Dinger“ wieder an. Sie glaubt wie so viele nicht daran, dass die schwarz-gelbe Kehrtwende die Wahlen lange überleben wird. „Vielleicht wird ein Uralt-AKW wie Isar I geopfert“, sagt die 57-Jährige. Sie fürchtet die Macht und den Einfluss der vier Energieriesen. Doch wie einflussreich das Verhalten des Verbrauchers sein kann, bewies nicht zuletzt die Weigerung der Autofahrer, E10 zu tanken.

„Was mich aber so richtig wütend macht, ist die wahnsinnige Arroganz, mit der die Regierung die vielen Demonstranten ignoriert. Die Menschen wollen die Atomenergie nicht.“ Dabei sind es sie und unzählige Nachfolgegenerationen, die sich als Steuerzahler um das Problem der Atommüllentsorgung kümmern müssen. „Diese Technik verzeiht keine Fehler. Diese Technik schaltet die Menschheit aus.“ Der Nürnberger Kreis der „Mütter gegen Atomkraft“ ist kleiner geworden. Sieben engagieren sich noch aktiv, bayernweit hat die Initiative rund 1000 Mitglieder. Barbara Geier-Häckhs Tochter ist schon lange erwachsen. Und selbst Atomkraftgegnerin – „wenn auch nicht so aktiv wie ich“.

Am 12. März, einen Tag nach Fukushima, fuhr Barbara Geier-Häckh zusammen mit anderen Aktivisten im Bus nach Stuttgart. Um gegen den Reaktor Neckarwestheim zu demonstrieren. Als die Organisatoren die Fahrt planten, war die Welt in Japan noch in Ordnung. Seit 24 Jahren führen die „Mütter gegen Atomkraft“ zum Tschernobyl-Jahrestag eine Mahnwache durch. Das Motto in diesem Jahr lautet: „Wer sich des Vergangenen nicht erinnert, ist dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben.“

 

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