Ein Heiliger lässt die Hüllen fallen

15.02.2011, 00:00 Uhr
Ein Heiliger lässt die Hüllen fallen

Still ist’s. Dem Klopfen an der Tür folgt kein „Herein“ und dem Öffnen kein „Hallo“. Konzentrierte Mienen sind über Schreibtische gebeugt. Darüber viel Glas und flutendes Tageslicht. In einem Raum ohne Fenster starrt Oliver Mack in einen Bildschirm – und schreckt hoch.

Woran er hier arbeitet? „Ach, tagesaktuelle Dinge“, sagt der stellvertretende Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung lächelnd und verbirgt das Seufzen darüber nicht völlig. „Anfragen von Wissenschaftlern zur GNM-Sammlung, der Leihverkehr rund um Ausstellungen – man kann Kunstwerke ja nicht einfach mit der Post verschicken; der Erhalt der Sammlung – aufgrund vieler Umbauten ein GNM-Dauerthema“, zählt er auf. „Dabei geht es viel um Prävention, wie Maßnahmen gegen Luftfeuchtigkeit oder Schadstoffe in den Vitrinen. Und wann arbeitet er am Werk? „Die Untersuchung eines Kunstwerks, das Konzept und die eigentliche Restaurierung sind nur ein Teil der Aufgaben eines Restauratoren in einem Forschungsmuseum“, sagt er nachsichtig. „Der Beruf ist furchtbar vielschichtig – das ist auch das Schöne.“

Ein Heiliger lässt die Hüllen fallen

Umgeben ist Mack von enormen Fotoapparaturen: UV- und Zustandsaufnahmen der Kunstwerke entstehen hier während der Restaurierungsarbeit zu Dokumentationszwecken. Am PC steckt der Restaurator bereits mitten in der Arbeit für das seit 2009 laufende, internationale Forschungsprojekt „Der frühe Dürer“. 2012 wird es in einer GNM-Ausstellung gipfeln. „Mein Part ist die kunsttechnische Untersuchung der Gemälde.“

Er steht auf, tritt hinaus in das Licht des großen Werkstattraums und weist auf eine der Staffeleien: „Bei diesem Blumenstrauß beispielsweise offenbart das Röntgenbild, dass einzelne Blüten aus verschiedenen Gemälden ausgeschnitten, zusammengefügt und malerisch verbunden wurden.“ Ein neues Bild, mode- und marktgerecht aus Altem komponiert! „Ein Privatmann wollte wissen, was es mit diesem Bild auf sich hat; Wir haben es ihm als Fälschung abgekauft. Wir haben nicht viele – und vielleicht gibt es mal eine Ausstellung zum Thema ,Fälschungen‘“. Macks Blick gleitet über die zusammengebaute Blütenpracht. „Ich finde meinen Job spannend. Doch es muss keine große Sensation sein, die mich fesselt. Ich kann mich für ganz kleine Dinge begeistern.“

Ob Skulptur und Gemälde, Grafik, Textil, Volkskunde, Möbel, Musikinstrumente, Bücher, Waffen und wissenschaftliche Instrumente, Vor- und Frühgeschichte, Kunsthandwerk – in zehn Werkstätten sind rund 26 Leute wie Oliver Mack fasziniert vom Detail, von der Erhaltung historischer Gegenstände und Kunstwerke. Ihr Chef, Arnulf von Ulmann, würde sich gerade am liebsten täglich acht Stunden mit dem „Heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen“ befassen: „1365 aus Prag, ganz neuer Forschungsbeitrag des Hauses aus der Mittelaltersammlung.“ Ulmanns Augen funkeln.

„Dieses Gerät hier ist ein Technoskop! Mal für die Augen- und Ohren-Chirurgie entwickelt. Da guck’ ich stundenlang durch, bis ich anfange, zu schielen. Dass man als Erster etwas an einem Werk entdeckt, versetzt mich in Begeisterung! Dann schreie ich rum, kommt mal, guckt mal, und eine kleine Forschergruppe kontrolliert dann, ob sie zum selben Ergebnis kommt. Da bin ich Teil eines Forschungsteams, nicht Chef. Chef sein heißt auch nicht qua Amt, der beste Forscher zu sein!“

Ein Laser erfasste an der Heiligen-Skulptur, was nun ein 3-D-Modell im PC zeigt, macht der Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung deutlich und flitzt in sein Büro. Wedelt mit Aufzeichnungen, schlägt Bücher auf und zieht mit den Fingern unsichtbare Linien auf Ausdrucken und Aufzeichnungen, die Tisch und Wände bedecken; dazu entfacht Ulmann WortWirbelstürme über 46 bislang festgestellte Farbschichten, die St. Georg wie Kleider anhaften, davon eine Kreideschicht als Untergrund für Gold und Silberauflagen. Enthusiasmus pur. Und klar ist auch: Vor Ulmanns Augen ist der heilige Georg nackt bis ins Mark.

„Wir stellen bei so einem Projekt nicht nur die aufgebrachten Schichten, sondern auch die Arbeitsgänge nach“, erläutert er. Am Ende erhält man so im Grunde eine Arbeitsanleitung für die Bemalung. Was den Zustand gekaufter Objekte betrifft, fühlt man sich im GNM gegenüber Museen in München oder Berlin benachteiligt. „An den Werken hier muss wesentlich mehr gemacht werden“, so Ulmann. Bei der Gestaltung der neuen Sammlung „Renaissance, Barock und Aufklärung“ war die Abteilung voll eingebunden. „Dennoch hätten wir mehr Zeit gebraucht, um mehr Objekte durchzurestaurieren“, offenbart der Chef.

Ein Heiliger lässt die Hüllen fallen

Vorbei an acht Glasschränken voller bunter Gläschen mit Pulvern, Pigmenten und Essenzen, Muster von Marmorarten oder Platten, die zwar wie Holz aussehen, aber gemalt sind, geht es in die Abteilung Kunsthandwerk. Annika Dix arbeitet hier an Mörsern, die bald für den GNM-Bestandskatalog mittelalterlicher Bronzen fotografiert werden. „Wie neu sollen sie nicht aussehen“, erklärt sie. „Je mehr geputzt wird, desto mehr Materialabtrag findet statt.“ Vorsichtig entfernt sie Kupfer-Korrosionsprodukte und Putzmittelreste mit Stäbchen aus Elfenbein oder Holz, bindet sie mit Ethanol und trägt sie mit Watte ab. Hier erhalten auch kostbare Glasfenster, die bildreich den Handel Nürnberg-Venedig thematisieren, neue Rahmungen. „Da tausche ich dann den Lötkolben mit dem Schraubenzieher“, sagt Annika Dix schmunzelnd. Klingt nach einem fragilen Wechselspiel zwischen Kraft und Fingerspitzengefühl.

Lisa Eckstein streift indes einen Ärmel aus stofffreiem Material über den Unterarm, nimmt eine sogenannte Thron-Madonna kritisch in den Blick und macht sich mit einem Skalpell über ihren Nacken her. Vorsichtig. Millimeter für Millimeter versucht sie, Übermalungen abzunehmen. „Wir versuchen, die Figur auf die Erstfassung zurückzuführen.“

Bislang überzieht die Skulptur ein farbiger Flickenteppich. Was wird mit dem fehlenden Arm des Kindes? „Wie weit wir mit Kittungen und Retuschen gehen, muss noch diskutiert werden“, informiert Lisa Eckstein. Das „Wieder-schön-machen“ sei im musealen Bereich nicht gängig: „Die Historizität soll sichtbar bleiben. So auch Rußspuren im Holz, fehlende Finger, Arme... Gemälde wurden nicht nach Moden überarbeitet, Skulpturen schon. So hat man oft zehn verschiedene Überfassungen! Bevor man das Skalpell in die Hand nimmt, fließt ziemlich viel Zeit in die Untersuchung der Schichten. Denn: Was weg ist, ist weg.“ Sie zuckt mit den Schultern. Arnulf von Ulmann zeigt an ihr vorbei: „Und was machen wir mit dieser Hand?“ Sie lächelt. „So geht’s dann los!“ Ulmann grinst.

„Früher wurden über diese Punkte stundenlang diskutiert. Konsens ist inzwischen der Versuch, dem Besucher eine vermeintlich intakte Figur anzubieten, die auf Anhieb zu verstehen ist und ihn in Bann ziehen kann.“ Ulmann atmet tief durch. „Noch hat jedes Land eine andere Richtung. Es gibt Moden – auch in der Restaurierung.“
 

Verwandte Themen


Keine Kommentare