Ein Rat macht sich auf die Suche nach dem Publikum
6.3.2014, 00:00 UhrEs war ein Rundumschlag des Bundestagspräsidenten: Auch bei ARD und ZDF gehe es nur noch um „Quote, Quote und nochmals Quote“, wetterte Horst Lammert. Und angesichts der „grausamen Dominanz der Unterhaltung gegenüber der Information“ stelle sich durchaus die Frage, ob das Rundfunkgebühren-System noch gerechtfertigt ist.
Lammert hatte nicht nur seinem eigenen Unmut Luft gemacht, sondern auch versucht, eine weit verbreitete, diffuse Unzufriedenheit der Zuschauer und Zuhörer mit dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Worte zu gießen. Damit war er weder der Erste noch der Letzte.
Bis heute legendär ist der zorngeladene Auftritt des im letzten Jahr verstorbenen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2008. Und noch immer hallt die Online-Petition für die Absetzung des Moderators Markus Lanz nach: Innerhalb von zwei Wochen hatten von Mitte Januar an 230000 Menschen dafür gestimmt, Lanz nach einer verunglückten Talkshow mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zu schassen. Wobei dann auch noch über einige namhafte Medien gelacht werden durfte, die eine Attacke des „Publikumsrats“ gegen Lanz meldeten.
Offizielle Beschwerde
Ein solches Gremium gibt es zum Beispiel in England, in Deutschland allerdings nicht — was Sabine Schiffer als Leiterin des Erlanger Instituts für Medienverantwortung und die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Horz von der Universität Erfurt ändern wollen. Zusammen gründeten sie die „Initiative Publikumsrat für ARD, ZDF und Deutschlandradio“ und legten wegen des Lanz-Auftritts vor drei Wochen eine offizielle Programmbeschwerde beim ZDF-Fernsehrat ein — was zu den Falschmeldungen über einen bereits bestehenden „Publikumsrat“ führte. Doch „Lanz ist nicht alles“, wie Schiffer sagt.
Der eigentliche Anlass für die Publikumsrats-Initiative war die Einführung des neuen Rundfunkbeitrags im letzten Jahr, der sich nicht mehr nach der Anzahl der Geräte richtet, sondern pauschal pro Haushalt erhoben wird. „Wir sind ausdrücklich für diese Abgabe“, sagen Schiffer und Horz. Im Gegenzug fordern die Medienexpertinnen aber mehr direkte Kontrolle der Sender durch diejenigen, die sie mit ihren Gebühren finanzieren und damit Anspruch auf qualitativ hochwertige Inhalte und unabhängigen Journalismus haben.
Bei einer ersten öffentlichen Diskussionsrunde in Erlangen wurde aber schnell klar, wie schwierig es sein dürfte, einen „Publikumsrat“ als Schnittstelle zwischen Zuschauern und Sendern zu installieren und so für mehr Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sorgen.
Seit Jahrzehnten üben die Kontroll-, Beratungs- und Beschlussfunktion die Rundfunk- und Fernsehräte aus. Die Stellen werden häufig von Berufspolitikern besetzt — eine Tatsache, mit der sich aktuell auch das Bundesverfassungsgericht befasst. Darüber hinaus sind die Sitze für die Vertreter von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“, wie Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden, reserviert.
Migranten, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle oder Atheisten hätten bis heute keine echte Vertretung, wie nicht nur Schiffer und Horz in Erlangen kritisierten, sondern auch der SPD-Landtagsabgeordnete Horst Arnold und Walter Oberst vom medienpolitischen Arbeitskreis der Gewerkschaft ver.di. Wobei hier die Schwierigkeiten schon losgehen. Wer soll auf welcher Grundlage definieren, was eine „gesellschaftlich relevante Gruppe“ ist?
700 Euro pro Sitzung
Arnold fordert deshalb im Zuge einer Diskussion um einen „Publikumsrat“ auch eine breite Debatte über die Besetzung der bisherigen Gremien. Oberst kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass die Rundfunkräte bisher nicht aufgrund ihrer Medienkompetenz ausgewählt würden, die 47 Räte beim Bayerischen Rundfunk beispielsweise 700 Euro monatliche Aufwandsentschädigung und zusätzlich 100 Euro Sitzungsgeld bekämen, es aber im Gegenzug „kein Forum gebe, wo die Rundfunkräte den Beitragszahlern, die sie ja vertreten sollen, Rede und Antwort stehen müssen“.
Ein Publikumsrat könnte hier durchaus etwas bewirken und dafür sorgen, dass die Rundfunkräte „in die Puschen kommen“, so Arnold. Neben der Kontrolle und Evaluierung der Arbeit in den bestehenden Gremien sollte ein Publikumsrat in den Augen der Initiatorinnen aber auch darüber wachen, dass zum Beispiel die riesigen Archive des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden oder auch Zuschauerkritik an der Programmgestaltung nicht nur partiell und nach massiven Beschwerden, sondern stetig in den Senderspitzen diskutiert wird.
Diese Ideen sind nicht ganz neu. In Deutschland gab es bereits 1994 eine achtköpfige Kommission unter Leitung des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst Gottfried Mahrenholz, die für den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zehn Jahre nach Einführung des Privatfernsehens einen ziemlich düsteren „Bericht zur Lage des Fernsehens“ erarbeitete und darin empfahl, einen „Medienrat“ oder eine „Stiftung Medientest“ nach dem Vorbild der Stiftung Warentest aufzubauen. Daraus wurde aber nichts. Die wirkungsvollste Form des Zuschauerprotests blieb seither die Betätigung des roten Knopfs auf der Fernbedienung.
Änderung des Vertrags
Dass für die Installation eines „Publikumsrats“ sehr dicke Bretter zu bohren sind, weiß Schiffer. „Es geht um nichts weniger als die Änderung des Rundfunkstaatsvertrags“, sagt sie. Deshalb wollen sie und Horz in nächster Zeit versuchen, ihr Anliegen in die Parteien zu tragen. Im Herbst soll eine größere Tagung zu dem Thema in Berlin stattfinden. Dort hoffen die Medienexpertinnen auch auf mehr öffentliches Interesse. Zur Veranstaltung in Erlangen kam nur ein Dutzend Interessierter.
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