Ein schwarzer Montag für Nürnberg

13.12.2005, 00:00 Uhr
Ein schwarzer Montag für Nürnberg

© -

„Nein.“ „Nicht jetzt.“ „Tut mir leid, aber . . . “ — Sprachlosigkeit beherrscht die AEGMitarbeiter, reden will keiner. Am frühen Nachmittag wird dem Bangen, aber auch dem Hoffen ein Ende gesetzt: Die Produktion von AEG-Hausgeräten macht Ende 2007 dicht.

Electrolux-Chef Hans Straberg hatte den unter anderem für das Europa-Geschäft zuständigen Vorstand Johan Bygge in die Höhle des Löwen geschickt, um die Hiobsbotschaften verkünden zu lassen. Gemeinsam mit dem Produktionsvorstand von AEG, Horst Winkler, teilt er das Aus mit. Die Mitarbeiter quittieren dies mit Buh-Rufen und dem Werfen von Pappdeckeln und Mützen. Binnen fünf Minuten schlagen sie das Management in die Flucht. Dann verlassen auch sie die Hallen. Schweigend.

Ihre Sprache finden sie wenig später wieder. Und ihre Wut. Der verleiht Jürgen Wechsler, Vize-Chef der IG Metall Nürnberg, Ausdruck: „Der Konzernvorstand wollte den Standort schon immer killen“, brüllt er unter stürmischem Beifall in sein Mikrofon. Bygge will er am liebsten gar nicht erst ins Werk lassen: „Der soll sich verpissen.“

Es fallen auch moderate Töne. Da ist von „intelligentem Arbeitskampf“, „Restchancen“ und „. . . die Hoffnung nicht aufgeben“ die Rede. Da wird Solidarität bekundet, werden Grußworte übermittelt. Wirtschaftsreferent Roland Fleck steht auf der vor dem Werkstor aufgebauten Bühne, wie auch DGB-Chef Fritz Schösser und natürlich Betriebsratschef Harald Dix. „Schwedische Eisblockentscheidung“, nennt Fleck die Schließung.

„Der Betriebsrat ist von der Belegschaft ausgebuht worden, als er sein Sparkonzept vorgestellt hat: Lohnverzicht für Arbeitsplätze“, gibt der AEG-Betriebsratschef die noch recht präsente Situation wieder. „Das Angebot war kein Fehler, aber Electrolux kriegt den Hals nicht voll“, sagt Dix unaufgeregt. „Bei den gewünschten Einsparungen der Schweden von 48 Millionen Euro jährlich müssten wir um mehr als die Hälfte der Lohnsumme kürzen. Damit würden die Mitarbeiter weniger bekommen als die Kollegen von Randstad Zeitarbeit mit sechs Euro pro Stunde.“

Bedenken, Dinge beim Namen zu nennen, hat schon längst keiner mehr. Was sollen schon für Konsequenzen drohen? Entlassung vielleicht?

„Da hat man so viele Jahre gearbeitet, war nie krank, und jetzt schicken sie uns weg“, sagt der 40-jährige Artur Gadjive. Was die Zukunft bringt? „Arbeitsamt“, sagt ein 35-Jähriger knapp. Und Josefine Hempe, 55 Jahre alt, seit 34 Jahren bei AEG, hat nur noch eine Hoffnung: „Dass ich bis zuletzt im Werk bleiben darf und dann mit einer Abfindung einigermaßen versorgt werde. Eine andere Möglichkeit besteht in meinem Alter nicht mehr.“

Für Gabriele Holters, die bei der ausgelagerten AEG-Tochter ProCom für die Gebrauchsanweisungen zuständig ist, und für Roland Siedentopf aus der Grundlagenentwicklung ist klar: „Das ist eine rein politische Entscheidung.“ Sie sind vor allem sauer, dass das Management der Konzernmutter Electrolux die klaren Worte so lange hinausgezögert hat. „Die wollten sich das Weihnachtsgeschäft nicht kaputtmachen.“ Der Hoffnung, dass der Prozess umkehrbar ist, weil die künftig zum Teil aus Polen kommenden Geräte fehlerhaft sein könnten, geben sich beide nicht hin. „Die Qualität stimmt. Leider.“

Da ist sich Betriebsratschef Dix nicht so sicher. Drei Jahre ist es etwa her, dass der Kunde Quelle von den Italienern - denen auch ein Teil der AEG-Produktion zugeschlagen wird - einen Großauftrag über 100 000 Waschmaschinen nach Nürnberg verlagerte. Die Qualität war mangelhaft. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Dix. Für die Fortsetzung des Arbeitskampfes ruft er eine neue Losung aus: „Wir kämpfen für das AEG-Hausgerätewerk. Hans Straberg muss weg!“

Bei allen Kampfmaßnahmen - von dem von einer Hand voll Mitarbeitern angekündigten Hungerstreik will Gewerkschaftsvize Wechsler nichts wissen: „Ohne Mampf kein Kampf.“

Unter all die Frustration, Resignation und Wut, die an dem für die AEG-Mitarbeiter und für Nürnberg schwarzen Montag vorherrschten, mischen sich dennoch auch andere Gefühle. Mitleid für den Leiter des Nürnberger AEG-Werkes, Dieter Lange. „Er sah richtig mitgenommen aus. Schließlich hat auch er sich für den Standort engagiert“, berichtet Holters.

Und auch Freude gibt es. Über die Polizei. Die riegelt spontan die Fürther Straße ab, um den AEG-Mitarbeitern einen Protestmarsch zu ermöglichen. Lautstark machen sie dabei auf ihre Misere aufmerksam. Wenn das AEG-Hausgerätewerk in Nürnberg nach 83 Jahren schon untergeht, dann wenigstens nicht sang- und klanglos.

Keine Kommentare