Ein Stück Kaufhaus-Geschichte geht zu Ende
16.6.2012, 12:00 Uhr„Ich werde nicht in Trauerkleidung kommen“, sagt Schorr. „Man muss realistisch sagen: Der Untergang hat sich abgezeichnet.“ Aber wehmütig stimme ihn der Abschied schon. Die eine oder andere Träne werde wohl fließen im Gespräch mit den Ex-Kollegen. Schorr ist dem heutigen Kaufhof auch als Rentner treu geblieben, jeden Montag saß der Hobby-Fußballschiedsrichter noch im Restaurant des Kaufhauses mit Vertretern von Fußballvereinen zusammen.
Als Kind und Jugendlicher, gibt der 1936 geborene Schorr zu, kannte er den damaligen Schocken gar nicht. Er ist am Maxfeld im Norden aufgewachsen, und die Bahnlinie teilte Nürnberg noch viel stärker als heute. „Ich bin so gut wie nie im Süden der Stadt gewesen.“ In eben jenem industriegeprägten Süden, in dem die Arbeiter lebten, erkannte Unternehmensgründer Salman Schocken aber in den 1920er Jahren wirtschaftliches Potenzial – und damit begann zehn Jahre vor Schorrs Geburt die Geschichte des Konsumtempels am Aufseßplatz.
Bei der Eröffnung des Hauses am 11. Oktober 1926 kam es zu einem beispiellosen Massenauflauf. Über 70000 Menschen wollen das Warenhaus mit seinen billigen Angeboten besichtigen. Indem Schocken auf Erich Mendelsohn als Architekten vertraute, sorgte er für viele heftige Debatten: „Der Schocken war damals das erste moderne Gebäude in Nürnberg“, sagt der Historiker Alexander Schmidt. Statt auf Schnörkel und Ornamente setzte Mendelsohn, ein Vetreter des „Neuen Bauens“, auf klare Linien, funktionelle Formen und große Fenster.
Er wolle damit nicht gegenüber der Sebalduskirche oder den Schönen Brunnen pietätlos sein, rechtfertigte Mendelsohn seine Bauweise – aber zur Aufrichtigkeit gehöre auch, dass die Gegenwart anderer Formen bedürfe. Schmidt verweist in seiner Dissertation über „Kultur in Nürnberg 1918–1933“ darauf, dass der Kunsthistoriker Julius Bier in der Nürnberger Zeitung damals Mendelsohn vor seinen Kritikern verteidigte – und zwar, indem er „die Moderne als zeitgemäße Fortsetzung vergangener Baugesinnung interpretierte“.
Doch ungeachtet solcher Diskussionen erfreute sich das Kaufhaus von Beginn an regen Zuspruchs. Dem Gründer ging es dabei nicht nur um die Maximierung des Gewinns, erklärt Schmidt: „Schocken hatte schon eine Vorstellung von einer modernen, gerechten Welt.“ Die Preise waren niedrig, die Gehälter für die Mitarbeiter lagen über dem Durchschnitt.
Das bewahrte den Geschäftsmann, der jüdischer Herkunft war, nicht vor der Propaganda der Nationalsozialisten. Eine widerliche Karikatur im antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ zeigt Schocken und Oberbürgermeister Hermann Luppe, wie sie sich über dem Grab des kleinen Geschäftsmannes die Hand reichen. „Das Argument war im Grunde schon damals verfehlt“, sagt Schmidt. Freilich habe der eine oder andere Laden in der Südstadt angesichts der neuen Konkurrenz aufgeben müssen; aber andererseits seien durch den Schocken über 400 Arbeitsplätze entstanden. Die Nazis beließen es nicht bei übler Agitation gegen das Warenhaus. Sie schlugen den Kaufhausdirektor zusammen und stellten Posten vor dem Gebäude auf, die Kunden daran hinderten, den Schocken zu betreten.
Von der Kampagne zermürbt, verkaufte Salman Schocken 1938 seinen Betrieb mit Verlust. Die Merkur-Aktiengesellschaft entstand; 1939 wechselte das Haus erstmals seinen Namen. Der Merkur wurde 1943 im Bombenkrieg zerstört, aber nach 1945 rasch wieder aufgebaut. Von der einstigen Mendelsohn’schen Architektur war indes nahezu nichts mehr übrig. Schocken erhielt 1945 51 Prozent des Aktienkapitals von der Merkur AG zurück und half, das Haus wieder zu etablieren; 1953 verkaufte er seine Anteile an Helmut Horten und zog sich aus dem Geschäftsleben zurück.
Der Zahn der Zeit nagte an dem Gebäude
Inzwischen kannte auch der junge Karlheinz Schorr den Schocken. Er erhielt nämlich 1950 von der Merkur AG einen Ausbildungsvertrag als Kaufmannsgehilfe. In seiner Lehrzeit kommt er jedoch nur kurz ins Haus am Aufseßplatz, ansonsten absolviert er sie in der Einkaufszentrale des Konzerns an der Kirschgartenstraße. Nach Stationen in Horten-Filialen in anderen Städten kehrte Schorr 1963 nach Nürnberg zurück und wurde im Merkur Abteilungsleiter zunächst für Damenunterwäsche, später für Baby- und Kinderbekleidung.
„Damals arbeiteten noch 1200 Menschen in dem Haus.“ Ebenfalls 1963 erhielt das Gebäude seine charakteristische wabenförmige Fassade, mit der der Architekt Egon Eiermann die Horten-Filialen in jenen Jahren versah. Schorr erlebte die goldenen sechziger Jahre des Kaufhauses mit der imposanten Freitreppe: „Die Gänge waren schwarz vor Menschen.“
Am 25. September 1975 bekam das Haus den Namen Horten – und am selben Tag wurde der U-Bahnhof Aufseßplatz eröffnet. Die U-Bahn, die die Leute freilich rasch zur Konkurrenz in die Innenstadt beförderte, sieht Schorr als einen Grund für den schleichenden Abstieg. „Auch das Franken-Center hat einen Teil unserer Kunden abgezogen und uns einen Schlag versetzt.“ Das Einkaufszentrum in Langwasser wurde 1969 eröffnet.
Zudem, klagt Schorr, habe Horten über die Jahre viel zu wenig saniert. „Wenn Sie im zweiten Stock an die Decke schauen: Da sieht es aus wie in den 60er Jahren.“ Ab 1983 bemühte sich Schorr als freigestellter Betriebsratsvorsitzender darum, den Konzern von Modernisierungsmaßnahmen zu überzeugen. Vergebens. „Die sagten immer: Was wollen Sie denn mit dem Aufseßplatz?
Da läuft doch das Geschäft.“ Schorr musste zusehen, wie der Zahn der Zeit am Haus nagte, Abteilungen (Möbel, Heimwerker) aufgegeben wurden und sich die Anzahl der Kollegen verringerte. 1986, zum 60. Jubiläum, waren es noch 500. 300 mussten es früher sein (inzwischen: 200), um einen Betriebsrat freistellen zu können. Diese Zahl wurde Ende der 90er unterschritten, und so konnte Schorr in dieser Funktion nicht weitermachen. „Aber die Abteilungsleiterposten waren auch alle besetzt.“ Eigentlich hätte er gerne noch am 1.August 2000 sein 50. Dienstjubiläum gefeiert, aber so nahm der damals 63-Jährige schon im Februar 1999 den Hut.
Er erlebte vom Ruhestand aus, wie im Jahr 2004 – zehn Jahre nach der Übernahme der Horten-Kette durch die Kaufhof AG – noch ein letztes Mal der Name wechselte: Nun hieß der Konsumtempel also „Kaufhof“. Unter dieser Bezeichnung blieben ihm noch acht Jahre. „Ich hoffe aber“, sagte Salman Schocken in seiner Rede zur Eröffnung 1926, „dass unser Haus vielen Menschen nützlich und wert werden wird.“ Eine Hoffnung, die sich erfüllte. Doch am Ende hat der Wandel der Zeit auch vor dem Schocken nicht Halt gemacht.
5 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen