Eintauchen ins Mittelalter

20.05.2008, 00:00 Uhr
Eintauchen ins Mittelalter

© Sippel

es gibt sie ausschließlich beim Bischof in der Kapelle zum Heiligen Georg in der Stadt der Kinder, die seit gestern im Cramer-Klett-Park steht. Der Bischof ist der heimliche Star in der Stadt. «Wir bieten das Heil des Herrn, Hochzeiten und Beerdigungen», erklärt er den Kindern, die ihn etwas skeptisch ansehen. «Wir arbeiten sehr gut mit der Gärtnerei zusammen, sie lockert die Erde und wir können dann ab und an mal ein Kistchen unter die Radieschen schieben.» Ein kleines Mädchen nimmt die Hand ihrer Freundin und allen Mut zusammen. Ihr Opa sei gerade gestorben, ob der Bischof nicht Zeit habe? Überrascht von der Kinderfrage, einigt sich der Geistliche mit der Kleinen auf ein Gebet statt Grab.

Jeden Mittag um 12 Uhr heißt es Arme ausbreiten, dreimal im Kreis drehen, und schon ist man im Mittelalter. Dort spielt vor allem das Handwerk eine große Rolle, erklärt Hans Kern. Eigentlich besuchen er und sein Spielmobil «Spielratz» sonst einzelne Stadtteile. Aber einmal im Jahr werden er und rund 80 Helfer zu Zunftmenschen. «Seit sechs Jahren haben wir das Mittelalter-Motto», sagt er. «Diese Epoche lässt Arbeitsprozesse deutlich werden. Das ist uns wichtig, denn die handwerklichen Fähigkeiten gehen immer mehr verloren. Manche Kinder können heute ja nicht mal mehr eine Schleife binden, weil sie nur Klettverschlüsse kennen.»

Viele Jungen schnippeln die tolle Knolle

An den 46 Attraktionen der Stadt wird gehämmert, gesägt, gemalt, gematscht: Die Kinder können Töpfern, mit Leder basteln, Puppen nähen, Steine für einen Brunnen behauen, Papier herstellen, Burgen bauen, Gärtnern, Buchbinden und Kochen. «Besonders die Jungs sind begeistert vom Schnippeln und Rühren», hat Kern überraschend festgestellt. In diesem Jahr wird das meiste aus der tollen Knolle - der Kartoffel - zubereitet. Allerdings liegt im kulinarischen Bereich die größte Herausforderung für die Organisatoren, denn die Auflagen des Gesundheitsamtes werden von Jahr zu Jahr strenger.

Kultur muss natürlich auch sein. Musiker spielen, Gaukler unterhalten die Bewohner und die Erwachsenen, die in einem «Elterngarten» abgegeben werden müssen - ungestörtes Spielvergnügen wird von den Organisatoren höflichst erbeten. Und wenn es doch mal Streit gibt, laufen die Kleinen nicht zu Mama oder Papa, sondern zur Weisen Frau. In ihrem kleinen Zelt wird der Zoff aus der Welt geschafft. Für die getane Arbeit erhalten die Kinder Lohn in Form von Holztalern, und sie können Karriere machen vom Lehrling bis zum Meister. Die Beförderungen werden am Ende des Tages von Bürgermeisterin Elisabeth Amare verkündet.

Mit ihrem Einkommen können die Bürger gebastelte Waren, Dienstleistungen oder Essen kaufen. Der Handel floriert. Die Schreinerei kann sich vor Aufträgen kaum retten: Schilder für die Zelteingänge werden nochgebraucht, die Schwerter für die Theateraufführung der Kompanie «Facetti» sind auch noch nicht fertig.

An der Bühne warten die Schauspieler unruhig, sie wollen ihre Generalprobe beginnen. Nervosität liegt in der Luft, Kostüme werden zurecht gezupft und - auch das noch! - die Schminke der Prinzessin ist verschmiert. Wie das Stück heißt? Oje, ein Titel fehlt. «Wie wär’s mit ,Die cleveren Ritter auf dem Weg zur Burg?‘», schlägt Regisseurin Manuela Söll vor. Die siebenjährige Tina ist begeistert. Sie spielt einen Hund, ihren Auftritt mit dem Text «Wuff, wuff, wuff» wird sie in der Probe sehr überzeugend rüberbringen.

Schnelle Geschäfte mit alten Lederbeuteln

Am anderen Ende des Geländes können sich die Bühnenkämpfer zu echten Rittern oder Jägern ausbilden lassen. Dort hocken Jungen im Kreis und starren auf einen Haufen Sand. Spuren lesen steht auf dem ritterlichen Stundenplan. Sie lernen, Größe, Gewicht und sogar Stimmungen aus den Fußabdrücken zu lesen. «Und wenn es ein Fliesenboden ist?», fragt ein Kind. Auch dann gebe es Spuren in der Staubschicht, erklärt Erlebnispädagoge Andreas Fuchs. Nach der Pfadfinderkunst geht er mit den Kindern zur Hauptattraktion seines Standes, dem Bogenschießen.

Ehrfürchtig blicken die Jungen auf die Pfeile. «Wenn ihr damit auf jemanden schießt, ist er tot», ermahnt Fuchs zur Vorsicht. Die Regeln sind streng und sie funktionieren. In einer Reihe aufgestellt, darf jeder drei Mal schießen. «Im Wald müsst ihr auf das Wild warten, hier, bis ihr dran seid.» Die Geschäftstüchtigen unter den Nachwuchs-Jägern wissen die Zeit zu nutzen, der zwölfjährige Lars bietet der Kinderschar einen selbstgemachten Lederbeutel an. In der Kinderstadt 2008 ein einmaliges Angebot, weil im letzten Jahr entstanden. Den Beutel wird er nicht los, trifft aber zweimal die Zielscheibe. Wenn er Lust hat, kann er am Nachmittag auf die Pirsch gehen - potenzielles Opfer ist ein Plastikrebhuhn.

Der Bischof, der auch kurz vorbeigeschaut hat, hat indes keine Zeit mehr, erhielt er doch gerade von seinen Botschaftern die Kunde, dass es Probleme mit den Hostien gibt. «So ein Unglück!», ruft er aus, schwingt sich auf ein Holztaxi - das ihn zwei Taler kosten wird - und verschwindet, gezogen und geschoben von den Ministranten, Messdienern und dem Kapellenhausmeister, zwischen den Zelten.

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