Im Dienst, wenn die anderen Weihnachten feiern
22.12.2007, 00:00 Uhr
Seit vier Jahren arbeitet Dominik Stockmann im Grand Hotel, das Team ist ihm zur zweiten Familie geworden. «Nein», sagt er und man glaubt es ihm, «ich leide am Heiligen Abend nicht.» Auch seine Familie zu Hause in Deggendorf, seine Eltern und Geschwister, hätten sich daran gewöhnt, dass er in den festlichen Stunden fehlt - weil er einen Beruf hat, der ihm Freude macht. «Er bietet die Möglichkeit, Träume zu verwirklichen. In die Rezepte fließt persönliche Erfahrung ein, man lernt ständig dazu, entwickelt sich weiter und bekommt sofort Rückmeldung von den Gästen. Die seien am Heiligen Abend ganz entspannt. Gemeinsam mit seinen Kollegen wird er so lange für sie da sein, wie Wünsche offen stehen, bis Mitternacht in jedem Fall. Und am 27. Dezember wird er dann selbst Weihnachten feiern, im Hotel, mit seiner zweiten Familie.
Rita Schorner-Held wird am Heiligen Abend für Menschen da sein, die sich einsam fühlen, die traurig sind, mutlos und verzweifelt, die Ängste haben und vielleicht auch Wut. Sie wird zuhören, wenn jemand reden möchte. Und reden, wenn jemand Zuspruch braucht. Von 18 bis 24 Uhr wird sie ihren Dienst tun - und das gerne. Weil sich das Leben nun einmal nicht nach dem Feiertagskalender richtet und Hilfe immer nötig ist, zu jeder Zeit. Seit acht Jahren arbeitet die Sozialpädagogin, 53 Jahre alt, für den Krisendienst Mittelfranken, der in der Hessestraße in Nürnberg seinen Sitz hat. Wer die Nummer 4 24 85 50 wählt, der bekommt Beratung, schnell, unbürokratisch, auf Wunsch anonym - und im Notfall auch einen Hausbesuch.
«Meine Kinder sind schon groß, da ist es nicht so schlimm, am Weihnachtsabend außer Haus zu sein», sagt Rita Schorner-Held. «Wir werden uns vielleicht schon am Nachmittag treffen und gemeinsam feiern.» Bei aller Routine sei es aber doch ein anderes Gefühl als sonst, am Heiligen Abend zu arbeiten. «Man weiß ja, dass dieser Tag für viele Menschen sehr emotional besetzt ist.» Dabei sei es gar nicht so sehr der 24. Dezember, der die Menschen aus der Bahn werfe. «Der Frust kommt oft am ersten oder zweiten Feiertag. Wenn das Fest nicht so verlaufen ist, wie man es sich gewünscht hat, wenn es Streit gegeben hat. Wenn jemand nicht gekommen ist, auf den man sich gefreut hat. Die Erwartungen an diesen Tag sind sehr groß.»
Heinz Petrauschke sitzt am 24. Dezember im Auto. Denn auch zu Weihnachten werden Menschen unterwegs sein, auf Autobahnen und Landstraßen, und manche von ihnen werden eine Panne haben. Manche werden gereizt sein oder traurig. Sie werden fürchten, nicht rechtzeitig nach Hause zu kommen, das Festmahl verpassen, die Christmette, die wertvollen Stunden mit Familie und Freunden. Dann ist Heinz Petrauschke, 53 Jahre alt, nicht nur der fremde Mann vom ADAC-Pannendienst, sondern auch ein Weihnachtsengel. Von Panne zu Panne wird er fahren, acht Stunden lang mindestens, je nach Wetterlage, wird zwischen 150 und 300 Kilometer zurücklegen. Das Radio wird er einschalten, festliche Musik hören. Er mag die Weihnachtsatmosphäre Seine Frau und die beiden Kinder, die schon erwachsen sind, nehmen es ihm nicht übel, dass er gerade zur besten Familienzeit unterwegs ist. «Ich habe sehr viel Freude an meinem Beruf, das wissen sie. Gerade an
Weihnachten. Die Menschen sind so froh, wenn man ihnen hilft.» Heinz Petrauschke arbeitet seit 17 Jahren für den ADAC. Einmal hat er am Weihnachtsabend einer polnischen Familie geholfen, die wegen eines Kurzschlusses liegengeblieben war. «Als ich den Fehler gefunden und behoben habe, sind sie mir um den Hals gefallen. Sie waren so dankbar, dass sie es noch rechtzeitig zu ihrer Familie schaffen.» Es sei schön, sagt er, den Menschen helfen zu können. «Besonders an solchen Tagen.»
Beim ersten Mal ist er ein bisschen traurig gewesen. Arbeiten, wenn bei den anderen Bescherung ist, das war ein seltsames Gefühl. «Aber die Fahrgäste waren so nett und freundlich», sagt Christoph Wallnöfer. «Das hat mich getröstet.» Vor 16 Jahren hat er bei der VAG seinen Traumberuf angetreten: Straßenbahnfahrer. Seit 2006 ist er Mitarbeiter im Servicedienst und ein seltsames Gefühlt hat er längst nicht mehr, wenn er am Heiligen Abend arbeiten muss. Diesmal schon gar nicht. «Ich habe eine gute Schicht erwischt, von 18 bis 1 Uhr.» Er wird mit seiner kleinen Tochter in die Kirche gehen und danach mit ihr Bescherung feiern. Dann wird er seinen Dienst antreten. Er wird in den U-Bahnhöfen Kontrollgänge machen, Menschen helfen, die mit der Rolltreppe nicht klar kommen, Fragen beantworten, Gegenstände von den Gleisen holen, die jemand versehentlich hat fallen lassen. Er wird Betrunkene aufwecken und im Notfall einen Kollegen am Steuer
ablösen. Eine stille Nacht wird er nicht haben. «Weihnachten», sagt der 37-Jährige, «ist für viele junge Leute Partyzeit.»
Vor Jahren hat an der Endhaltestelle der Linie 8 plötzlich Weihnachtsgebäck auf seinem Fahrerpult gelegen. «Ich wusste nicht, von wem es stammte und habe Danke in den Wagen gerufen. Da hat sich die Spenderin zu erkennen gegeben.» Eine nette Geste, an die er sich gerne erinnert. Auch deshalb mag Christoph Wallnöfer mag seinen Beruf, weil er Kontakt zu Menschen hat - und weil er ihn sinnvoll findet: «Die Menschen haben ein Recht auf Mobilität.»
Vielleicht wird Petra Lieser einem kleinen Christkind auf die Welt helfen. Einem Jungen oder einem Mädchen. Vielleicht wird sie den ersten Schrei eines neuen Menschleins hören, das künftig am Heiligen Abend Geburtstag feiern wird. Seit elf Jahren ist Petra Lieser Hebamme. Sie arbeitet freiberuflich für das Hebammenhaus in Schniegling. Weihnachtsdienst ist für die 41-Jährige Routine, 24-Stunden-Bereitschaft ebenso. Die Kinder richten sich nun einmal nicht nach dem Terminkalender der Großen.
In diesem Jahr ist Petra Lieser für eine Kollegin eingesprungen, die selbst Nachwuchs hat. Sie hat das gerne getan. «Weil ich ihr damit eine Freude machen konnte. Nun kann sie ganz entspannt mit ihrer Familie feiern.» Feiern wird natürlich auch sie selbst. Sie wird es sich gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten zu Hause gemütlich machen. Bis irgendwann vielleicht der Ruf kommt, dass ein Baby auf dem Weg in die Welt ist.
Keine der Schwangeren, die Petra Lieser betreut, hat am 24. Dezember ihren errechneten Geburtstermin. Aber im Januar sind es ganz viele. Da kann es durchaus passieren, dass ein Kind früher kommt - an Weihnachten schon. Für die Eltern, sagt Petra Lieser, spiele es kaum eine Rolle, ob es der Heilige Abend ist. Die sind ganz und gar mit der Geburt beschäftigt. Tag und Uhrzeit sind nicht so wichtig.» Fünf oder sechs Christkinder, ganz genau kann sie sich nicht erinnern, hat sie schon im Arm gehalten. Eines der Kinder heißt wie sie selbst. «Aber das ist wohl eher Zufall. Petra ist ja kein ausgefallener Name.»
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