Jüdische Vergangenheit unter Spinnweben

5.2.2010, 00:00 Uhr
Jüdische Vergangenheit unter Spinnweben

© KuKuQ/Fengler

Ganz klar, die Villa weckt Emotionen. «Kann man dieses Haus mieten?» Zettel wie dieser hafteten schon öfter am Tor der Blumenstraße 17, erzählt Andrea Dippel. Wenn sie in den vergangenen Monaten Besucher über die vier Etagen führte, schwärmten viele: «Ach, hier würde ich gern wohnen.» Und fast alle seien nach der Besichtigung zur Überzeugung gelangt: Ja, dies wäre ein schönes Museum.

Auch die 40 Jahre alte Kunsthistorikerin sagt, sie habe sich in das Haus verliebt – obwohl es nach der Entkernung momentan schwer ramponiert aussieht. Vor einem Jahr trat die Nürnbergerin, die zuvor die Galerie des Bodenseekreises leitete, im städtischen KunstKulturQuartier (KuKuQ) als Leiterin der Kunstvilla an. Dippel kennt darin jetzt jeden Winkel in- und auswendig. «So etwas gibt es sonst in Nürnberg nicht.»

Mieter braucht diese Villa keine, wohl aber Zuspruch. Der Verleger Bruno Schnell schenkte die sanierungsreife Immobilie 2007 der Stadt Nürnberg, damit sie darin ihre eingelagerte Kunstsammlung «Fränkische Galerie» und andere regionale Kunst der Moderne ausstellen kann. Der neubarocke Bau von 1893/94 ist jedoch ein Sorgenkind. Wegen des Denkmalschutzes wird die Umwandlung diffizil und teuer.

Doch die Stadtspitze rüttelt nicht mehr daran. Am 23. März muss das Projekt noch den Bauausschuss des Stadtrats passieren, dann mit Objektplan und Kostenschätzung. Um die fünf Millionen Euro wird der Umbau kosten. Nach der Feinplanung soll er im Herbst beginnen. 2012 könnte Eröffnung gefeiert werden. Bis dahin müssen viele Probleme gelöst sein: Etat, Werbung, Inventarisierung.

Skeptiker nennen die Villa deshalb ein Danaergeschenk. Heftigere Zeitgenossen – wie der Nürnberger Kunstfreund Manfred Grieb – reden von Geldverschwendung. «Natürlich wäre ein Neubau auf der grünen Wiese billiger», entgegnet KuKuQ-Leiter Matthias Strobel, mittlerweile gerüstet mit allen Argumenten. Doch bei den Umbaukosten für historische Gebäude zu Museen (wie die Villa Stuck in München oder die Kunsthalle Memmingen) stehe die Kunstvilla vergleichsweise gut da. «Sobald man es aufdröselt, versteht man, dass nichts an den Ausgaben Luxus ist.»

Immer wieder muss Strobel auch darauf kontern, dass die Ausstellungsfläche «nur» 450 Quadratmeter betrage und die Blumenstraße eine abgelegene Adresse sei. Da die «Fränkische Galerie» kaum Großformate oder Skulpturen enthalte, sei das Volumen unproblematisch. «Die Villa ist nur psychologisch weit weg. Dass sie nur dreieinhalb Gehminuten vom Künstlerhaus entfernt liegt, wird unsere Kommunikationsaufgabe werden.»

Ein Vorbild aus Frankfurt kommt Strobel und Andrea Dippel zu Hilfe. Dort zeigt am Museumsufer seit dem Jahr 2000 das Museum Giersch regionale Kunstwerke – in einer in Bauweise und Größe mit Nürnberg verwandten Sandsteinvilla. Ihr Architekt ist tatsächlich derselbe wie in der Blumenstraße 17: Heinrich Theodor Schmidt (1843–1904). Der Hesse baute zahlreiche Frankfurter Villen, Schulen, Fabriken und Schlösser. Für Sanierung und Betrieb des Museums Giersch kommt allerdings eine Stiftung auf.

Andrea Dippel hat bei ihrer historischen Spurensuche weitere Motivation für die Villa als Publikumsort gefunden. Sie ist die letzte erhaltene aus einer Reihe jüdischer Villen entlang der Blumenstraße, die am 2. Januar 1945 zerstört wurden. Bauherr der Nummer 17 war Emil Hopf, Sohn eines aus Frankfurt zugewanderten Hopfengroßhändlers. Vergessen ist heute, dass Nürnberg, genauer das großbürgerliche Wohnviertel Marienvorstadt, um 1900 ein bedeutendes Hopfenhandelszentrum war. Die Villa hatte einen üppigen Garten über die Pegnitz hinweg, drinnen Böden mit Sternparkett und Villeroy & Boch-Fliesen, an den Wänden Stuck, Blumen- und Märchenfriese. Hopf war einer der ersten Nürnberger mit Automobil. Fotos aus den 20er Jahren zeigen, wie penibel auch die Folgebesitzer Grünfeld ihr – 1938 «arisiertes» – Firmenanwesen pflegten.

Dieser Charakter, die Atmosphäre des Hauses sind für Dippel ein Trumpf. «Es hat etwas Intimes, Familiäres, ganz anders als cleane Museumsräume von heute.» Mit der Einrichtung und Außengestaltung könne man moderne Kontraste setzen. In Kürze bekommt sie einen neuen Mitarbeiter dazu. Noch in diesem Jahr wollen sie einen Förderverein für die Kunstvilla gründen und an einem Konzept weiterarbeiten, das auch junge Franken hier zur Wiederentdeckung ihrer Kunstgeschichte führt.

Noch ist Andrea Dippels Vision von Spinnweben, Steinhaufen, Mauerrissen und dem Staub der Verwahrlosung verdeckt. Sie weiß: «Es ist eine Herkulesaufgabe.»

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