"Kein infektiöser Abfall verlässt unser Gelände"
11.8.2011, 19:51 UhrIn der Unterwelt herrscht reger Verkehr. Elektrisch angetriebene Züge schnurren fensterlose, graue Gänge entlang. Sie transportieren, was aus der Oberwelt stammt und dort in Plastikboxen und Säcke verfrachtet wurde. Und das ist eine ganze Menge. Wo 6000 Menschen arbeiten, 100000 Patienten im Jahr stationär betreut werden und zahlreiche Besucher kommen, wird massenhaft Abfall produziert: Mehr als 100 verschiedene Sorten fallen täglich im Klinikum Nürnberg an, die getrennt und entsorgt werden müssen. Da ist krankenhausspezifisches Material dabei, aber auch ganz normaler Hausmüll, es sind Küchenabfälle aus den Kantinen darunter, Biomüll, Elektroschrott, Glas, Papier, Straßenkehricht, Plastik, Batterien, Altreifen. 11,4 Tonnen pro Tag kommen zusammen, nicht mit eingerechnet der ganze Schutt und Erdaushub, der auf den Klinikumsbaustellen im Norden und Süden anfällt. Zählt man den auch noch dazu, kommt man auf 39000 Tonnen Müll pro Jahr.
Damit jeder Stoff den Weg nimmt, den er den strengen Vorschriften zufolge nehmen muss, gibt es im Nürnberger Klinikum einen hauptamtlichen Abfallbeauftragten. Er heißt Wolfgang Ankelmann und ist seit 1994 im Amt. Der studierte Maschinenbauingenieur hat einst bei AEG den Öko-Lavamat mitentwickelt, 1985 wurde er zum Umweltbeauftragten der Firma ernannt. Und bis heute nimmt das Thema sehr viel Raum in seinem Leben ein. Ankelmann, dessen Büro sich im Nordklinikum befindet und zur Hygieneabteilung gehört, ist Organisator, Berater, Vermittler und Verpackungsexperte in Sachen Müll – und er ist einer der wenigen seiner Art. Zwar ist es Vorschrift, in Kliniken einen Abfallberater einzusetzen, aber die wenigsten Häuser leisten sich einen Mitarbeiter, der sich ausschließlich um Umweltfragen und Müllentsorgung kümmert. „Es geht um ein wahnsinnig großes Gebiet. Ich weiß gar nicht, wie andere Häuser ohne Hauptamtlichen auskommen“, sagt Wolfgang Ankelmann.
Wer mit Krankenhausabfall zu tun hat, muss sich mit der komplizierten Gesetzeslage auskennen, mit Müllklassifizierungen und Entsorgungsvorschriften. Aber er muss auch in medizinischen Fragen firm sein. Gerade was Infektionsgefahren angeht, hat Wolfgang Ankelmann eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten. „Viele Leute haben eine falsche Vorstellung von der Entsorgung in einem Krankenhaus. Oft müssen Vorurteile und Ängste abgebaut werden.“ Stichwort Ansteckung: „Die wenigsten unserer Patienten sind infektiös“, sagt Ankelmann. „Die größte Ansteckungsgefahr herrscht außerhalb des Klinikums. In der U-Bahn zum Beispiel. Stellen Sie sich vor, da niest jemand, der offene Tuberkulose hat und das nicht weiß.“
Und dennoch, um Krankenhausmüll, sagt Ankelmann, reiße sich niemand. „Dabei verlässt gar kein infektiöser Abfall das Klinikumsgelände. Er wird autoklaviert.“ Das heißt: Mit Hilfe eines thermischen Verfahrens wird er steril gemacht. Danach kann er als Restmüll in der Müllverbrennungsanlage in Schweinau entsorgt werden. 54 Tonnen Material im Jahr sind es, die als infektiöser Abfall dieser Prozedur unterzogen werden. Erst wenn der Müll steril ist, wird er in graue Kunststoffboxen mit Deckel verpackt, abtransportiert und mitsamt Behälter dem Feuer übergeben.
Das Klinikum Nürnberg gehört zu den größten in Europa. In Fragen der Müllentsorgung taugen Lösungen von der Stange nicht. Wolfgang Ankelmann hat ein eigenes System entwickelt. Unter anderem hat er ein spezielles Farbsystem für Abfallbehälter eingeführt. Grau bedeutet Restmüll. Und grau sind auch die Plastikboxen, in denen Kanülen und Spritzen entsorgt werden.
Rote Boxen für den Sondermüll
Die handelsüblichen gelben Behälter für diese Art von Abfällen akzeptiert Wolfgang Ankelmann nicht. „Wir sind das einzige Krankenhaus, das für Spritzen und Kanülen keine gelben Behälter verwendet. Aber Gelb steht eben für etwas anderes, nämlich für den Gelben Sack, für Verpackungsmüll.“
In reißfesten blauen Säcken wird im Klinikum das Papier eingesammelt, rote Boxen sind für Sondermüll wie zum Beispiel Zytostatika bestimmt, Substanzen aus der Chemotherapie. Sie werden von einer Spezialfirma für Gefahrguttransporte abgeholt und nach Baar-Ebenhausen im Landkreis Ingolstadt gebracht. Dort steht Bayerns einzige Verbrennungsanlage für Sondermüll (die NZ berichtete).
Sein eigenes Farbsystem hat für Ankelmann einen weiteren Vorteil. Wenn ihn eine Entsorgungsfirma anruft und sich über einen gelben Kanülenbehälter etwa im Altglas beschwert, dann kann der Nürnberger Abfallexperte ganz sicher sagen: „Von uns stammt dieser Müll nicht.“
Ein Drittel aller Abfälle im Klinikum sind krankenhausspezifischer Art. Auch Körperteile und Organe gehören dazu. Diese müssen, das schreibt die gesetzliche Regelung in Bayern vor, nach Augsburg gebracht werden. Dort steht die zentrale Verbrennungsanlage für Krankenhausmüll. „Aus ethischer Sicht“, sagt Ankelmann, finde ich das völlig falsch.“ Früher wurden Körperteile und Organe aus der Pathologie im Nürnberger Krematorium verbrannt. Doch weil menschliche Körperteile – im Gegensatz zu Tierkörperteilen – dem Abfallrecht unterliegen, müssen sie wie Abfall behandelt werden. Entsprechend dem europäischen Abfallschlüsselverzeichnis haben sie die Abfallschlüsselnummer 180102 bekommen.
Zurück in der Unterwelt: All die Züge, die hier mit Müll unterwegs sind, haben ein Ziel: das Abfallzentrum, eine Halle, in der Container neben Container steht. Wer hineinsehen möchte, muss auf eine Leiter steigen. Alles, was sich hier befindet, ist riesig. Und riesig ist auch der Aufzug, der die Container mit den Abfällen nach oben befördert – 15000 Tonnen kann der Lift bewältigen. Gerade ist ein Fahrzeug vom Abfallwirtschaftsbetrieb Stadt Nürnberg (ASN) in den Hof gekommen, wo der Müll auf Abtransport wartet. Lothar Böhm lädt einen Container mit grauen Plastikboxen auf und bringt sie zur Müllverbrennungsanlage. Es wird nicht die einzige Ladung an diesem Tag bleiben, die er im Klinikum abholt.
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