Morde in Nürnberg:Von Racheakten, Drogen und Wettmafia

3.11.2012, 10:33 Uhr
Morde in Nürnberg:Von Racheakten, Drogen und Wettmafia

© Roland Fengler

Ihm bot sich ein Bild, das sein Beruf als Polizeireporter der Nürnberger Zeitung immer wieder mit sich brachte: Beamte der Mordkommission sicherten Spuren. Hinter ihnen, in der Parkbucht an der Einmündung Liegnitzer- und Schreiberhauer Straße, stand ein weißer Mercedes-Lieferwagen mit blauer Aufschrift. Darin hatte ein Passant Enver Simsek gefunden, der 38-jährige Türke lag in seinem Blut.

Rätseln über das Mordmotiv

Am nächsten Tag titelte Karl A. Nikol seinen Bericht über den Angriff: „Blumenhändler mit acht Kugeln niedergestreckt“. Er vermutete als Motiv einen privaten Racheakt, schloss jedoch ebenso wie die Polizei einen Raubmord oder einen „Krieg zwischen konkurrierenden Blumenhändlern“ aus.

Dass Simsek, den auch eine Notoperation im Südklinikum nicht mehr hatte retten können, nur der Anfang einer beispiellosen Mordserie war, ahnte er nicht. „Es gab zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis darauf, dass Rechtsextreme dahinter steckten“, erinnert sich Karl A. Nikol. 37 Jahre lang war er Polizeireporter bei der Nürnberger Zeitung. 2007 schied er aus, über das Motiv der mysteriösen Morde rätselnd.

Bis 2011, als am 4. November die Rechtsextremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem Wohnwagen gefunden wurden, tappte die Polizei im Dunkeln – und mit ihr die Nürnberger Zeitung, ebenso wie alle anderen Medien, die auf Angaben der Polizei vertraut hatten.

Als man am 13.Juni 2001 Abdurrahim Özüdogru in seiner Änderungsschneiderei in der Gyulaerstraße fand – hingerichtet mit Kopfschüssen – tippte der Autor noch auf einen Streit beim Autoverkauf. Zeugen hatten nämlich Tage zuvor eine laute Auseinandersetzung gehört, als der 49-Jährige seinen grauen Mercedes verkaufen wollte. 5000 Mark Belohnung sollte derjenige erhalten, der Hinweise zur Aufklärung gibt.

Morde in Nürnberg:Von Racheakten, Drogen und Wettmafia

Vier Jahre später sind schon drei weitere Morde geschehen, als die NSU abermals Nürnberg als Tatort wählt. Diesmal stirbt Ismail Yazar in seinem Imbissstand in der Scharrerstraße. Fortan sind die Verbrechen an ausländischen Kleinunternehmern als „Döner-Morde“ bekannt. „Dabei war das eigentlich nur ein Arbeitstitel“, erinnert sich der damalige Polizeireporter Nikol.

Ein einprägsamer Begriff, der das Umfeld der Todesopfer grob beschreibt – die Medien, in ihrer Berichterstattung auch auf verdichtende Wörter angewiesen, da mangels Platz die Historie selten dargestellt werden kann, nahmen den Titel bereitwillig auf. Dies geschieht zurzeit ebenfalls bei den Beiträgen zur „Lotto-Oma“, die als Inhaberin eines Lottoladens Opfer eines Raubmords wurde.

Seitdem feststand, dass in allen Städten die gleiche Waffe tötete – eine Ceska mit dem Kaliber 7,65 – mehrten sich die Spekulationen. Die Männer hätten Kontakte zu türkischen Drogenhändlern in den Niederlanden gehabt, organisierte Kriminalität sei im Spiel. „Der Spiegel“ mutmaßte, die Ermordeten könnten von der Mafia als säumige Wettschuldner hingerichtet worden sein.

Oder ein umherziehender und wahllos schießender „Sniper“ habe die Menschen auf dem Gewissen. Doch „ein Sniper schießt auf seine Opfer aus großer Entfernung“, wiegelte Wolfgang Geier, der damalige Leiter der Sonderkommission „Bosporus“, im Interview mit der Nürnberger Zeitung am 14. April 2006 ab.

Morde in Nürnberg:Von Racheakten, Drogen und Wettmafia

Da in Nürnberg die meisten der Morde geschahen, gab auch Polizei-Prominenz wie Alexander Horn hier Pressekonferenzen. Der bekannte „Profiler“ aus München bewertet das Täterverhalten und zieht daraus Rückschlüsse. „Hier wird sehr wenig Täterverhalten gezeigt, das macht den Fall sehr schwierig“, zitiert ihn unsere Zeitung am 19. August 2006. „Normalerweise haben wir sexuell motivierte Tötungsdelikte.

Eine sexuelle Motivation scheidet hier aus, auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich diese Mordserie von anderen“, zeigte sich Horn im Interview etwas ratlos. Dennoch konzentrierten sich die Ermittlungen auf seinen Ratschlag hin auf einen ausländerhassenden Einzeltäter aus dem Nürnberger Raum.

Bei Ismail Yazar, dem letzten Opfer in Nürnberg, waren von Zeugen zuletzt zwei auffällig schlanke Radfahrer gesehen worden, die sich ähnelten – Mundlos und Böhnhardt. Damals verschwanden sie spurlos. „Schaffen es die Mörder, die perfekten Morde zu begehen?“, fragte Nikol in einem Kommentar 2006. Antwort: Nein. Aber fast.
 

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