NZ-Interview mit Club-Historiker Bernd Siegler
13.5.2010, 00:00 UhrNZ: Herr Siegler, werden Sie die Relegation mit der Leidenschaft des Fans oder der sachlichen Nüchternheit des Historikers verfolgen?
Siegler: Man ist erstaunlicherweise immer noch sehr emotional dabei. Mich ärgert es dann im Nachhinein immer, wie einem doch – auch bei einem normalen Spiel – so eine Niederlage ein Stück weit das Wochenende verleiden kann. Auch wenn man aus der Distanz heraus versucht, das Geschehen aufs Papier zu bannen, ist man doch immer mit dem Herzen dabei.
NZ: Unabhängig davon, ob es der Club nochmals schafft: Es ist ihm seit 1994 nicht mehr gelungen, sich dauerhaft in der Liga zu etablieren. Woran liegt das?
Siegler: Ganz erklären kann ich mir das auch nicht. Dass die Pokalsiegermannschaft abgestiegen ist, ist mir bis heute unbegreiflich. Außer, dass man den Fehler gemacht hat, so eine Null als Trainer zu verpflichten wie den Herrn von Heesen. Aber wenn ich zurückdenke an den Angriff mit Mintal, Vittek, Saenko – wann hatten wir jemals einen solchen Sturm? Aber auch die Abstiegsmannschaften von 1994 oder 1999 waren sehr, sehr gute Mannschaften. Heuer könnte man es sich eher erklären. Es ist eine sehr junge Mannschaft, die eher durch Zufall aufgestiegen ist. Es war klar, dass sie Schwierigkeiten bekommt.
NZ: Welcher Abstieg war denn der Schlimmste?
Siegler: Als Kind war der 69er Abstieg schlimm, da gab es Tränen vor dem Radio. Beim berühmten Abstieg von 1999 weilte ich auf Elba, im festen Vertrauen, dass nichts mehr passieren kann bei drei Punkten und fünf Toren Vorsprung. Und dann hab’ ich mit meinem Vater telefoniert und mitbekommen, dass der Club wegen des 5:1 von Frankfurt gegen Kaiserslautern noch absteigen musste. Das war unfassbar. Man konnte auch nicht mehr eingreifen aus der Ferne. Gut, im Stadion kann man auch nicht eingreifen.
NZ: Beim Stichwort Eingreifen: Wünschen Sie sich manchmal, von der Rolle des Chronisten in die des Trainers zu schlüpfen?
Siegler: Gott bewahre. Die Qualitäten hab’ ich nicht. Meine eigene fußballerische Laufbahn war auch nicht sehr überzeugend, ich habe 25 Jahre in der Freizeitmannschaft gespielt und dieses Jahr aufgehört.
NZ: Denken Sie, dass die Fans dem Club die Abstiege irgendwann mal dauerhaft übel nehmen?
Siegler: Das glaube ich nicht. Im Wort »Leidenschaft« steckt »Leiden« drin. Das Mitleiden gehört dazu. Ich glaube auch, es ist Quatsch, wenn man sagt, dass die Spieler nicht wollen. Es geht ja auch um deren eigene Existenz.
NZ: Ihr Forschungsschwerpunkt beim Club liegt zwischen 1930 und 1963. Viele sagen, damals spielten noch echte Nürnberger für den Verein, die sich mehr einsetzten als die heutige Generation. Diese romantische Sicht teilen Sie demnach nicht?
Siegler: In der Jubiläumssaison 1949/50, als der Club zu seinem 50-jährigen Bestehen eigentlich ganz oben mitspielen wollte, sind die Nürnberger auch teilweise in Abstiegsnot herumgekrebst und mit Ach und Krach Achter geworden in der Oberliga Süd (damals die höchste Spielklasse, Anm. d. Red.). Es gibt immer Aufs und Abs, die gehören zum Fußball dazu. Natürlich ist es für eine Mannschaft schön, wenn viele Spieler aus der eigenen Jugend da sind. Aber ich glaube, auch Leihspieler und die sogenannten Söldner wollen Erfolg haben. Verlieren ist für keinen Spieler schön, egal ob er aus Nürnberg, Köln oder Griechenland stammt.
NZ: Sie haben in Ihrem Buch »Legenden« Club-Größen aus vergangenen Zeiten vorgestellt. Wen von den alten Recken würden Sie sich für die Relegationsspiele zurückwünschen?
Siegler: Unser derzeitiges Problem ist der Angriff. Deshalb wünsche ich mir die stürmischen Helden zurück. Schorsch Friedel hat in den 30er Jahren immer in den wichtigen Spielen Tore gemacht. Dazu Seppl Schmitt aus den 20ern und natürlich Dieter Eckstein, der in den 80ern und 90ern für den Club stürmte. Dann schießt jeder von den dreien ein Tor und wir gewinnen 3:0. Das ist auch mein Tipp.
NZ: Aber selbst wenn es schiefgeht – Sie werden nächste Saison auch wieder dabei sein, oder?
Siegler: Ja, und auch die übernächste und über-übernächste. Man ist mit dem Club sozialisiert worden und fiebert mit. Und wenn man dann auch noch Bücher darüber schreiben kann, ist das eine geniale Mischung. Fragen: Marco Puschner
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