Ortsgemeinschaft im Schutz des «Guten Hirten»
19.07.2008, 00:00 Uhr
Nein, ein Dorf wie aus dem Bilderbuch ist Boxdorf nicht. Es hat keine schöne alte Kirche zu bieten wie etwa das benachbarte Kraftshof, auch kein Schloss wie Neunhof. Und die Bauernhöfe entlang der Steinacher Straße werden auch immer weniger. Mal reißt jemand ein Haus weg, mal eine Scheune. «Man geht durch den Ort, und es fehlt schon wieder ein Trumm», sinniert Konrad Drechsler. Der Fünfzigjährige ist einer von den Landwirten, die noch übrig geblieben sind in Boxdorf. Seine Familie lebt in der vierten Generation auf dem Hof, und Konrad Drechsler verdient seine Brötchen nach wie vor als Vollerwerbs-Gemüsebauer.
Er ist Boxdorfer mit Leib und Seele. Kein Wunder bei den Vorfahren: Der Vater - Georg (Schorsch) Drechsler - Mundartdichter, der Großvater - Friedrich Drechsler - Bürgermeister in Boxdorf von 1934 bis 1954. Da bringt sich selbstverständlich auch der Enkel voll in die Ortsgemeinschaft ein: Kärwabursch’ war er früher und aktiv bei der Feuerwehr. Seit Jahren engagiert er sich im Bauern- und Gemüseerzeugerverband, und als sein «Oberhobby» bezeichnet er die Tätigkeit im Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde «Zum Guten Hirten». Der Kirchenbau mit dem charakteristischen dünnen, spitzen, aluminiumverkleideten Turm wurde vor genau 40 Jahren geweiht. Die Boxdorfer feiern also an diesem Wochenende eine «runde» Kirchweih.
Auch wenn man es am Ortsbild nicht mehr erkennt: «Bogschdorf», wie die waschechten Einwohner sagen, ist bereits über 700 Jahre alt. Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde es 1293. Bisher hat niemand genau herausfinden können, woher der Name kommt - vermutlich hat er etwas mit «Bock» zu tun, keinesfalls aber mit «Boxen». Die Einwohner sind friedfertige Menschen.
Boxdorf ist auf Lehm gebaut. Die Ton- und Lehmvorkommen im Erdboden führten dazu, dass neben der Landwirtschaft auch die Industrie schon früh eine Rolle spielte. Ziegeleien entstanden. Die Gebrüder Kirschbaum bauten am heutigen Festplatz ihr Ziegelwerk auf. Reste davon stehen noch, die Ziegelöfen mit den Schlöten wurden jedoch gesprengt. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg kamen weitere Industriebetriebe hinzu, z. B. die Gießerei Ardie (das spätere Metallwerk Boxdorf an der ErichOllenhauer-Straße, wo heute die Firma Postler Kleingewinne für Losbuden herstellt). Vor allem in den 1960er Jahren siedelten sich an der Bundesstraße 4 und in der Schmalau immer mehr Industrie- und Gewerbebetriebe an.
Diese Entwicklung zog auch neue Einwohner an. Vor 1939 zählte die Gemeinde gerade einmal 765 Einwohner, inzwischen sind es rund 2700. Der Ort wuchs erst nach dem Krieg bis zur Bundesstraße hin. Flüchtlinge und Heimatvertriebene kamen, und seit 1950 entstanden mehrere Wohngebiete, wie die Waldsiedlung mit Gemeindehäusern am Weiher, die «Heilbronner»-, die «Sankt-Josephs»- und die «EIWO-Bau»-Siedlung.
In den letzten Jahren wurde die Boxdorfer Hauptstraße mit Wohnhäusern dichter zugebaut, zum Teil haben sie die alten Bauernhäuser ersetzt. Die Erben vieler Bauern haben mit der Landwirtschaft nichts mehr am Hut und sind vor allem daran interessiert, ihren Grundbesitz zu vermarkten. Es gibt längst keine Dorfwirtschaft mehr, auch keinen Metzger. Und kein Lebensmittelgeschäft. Ein Missstand, den viele Boxdorfer - vor allem die älteren - seit Jahren beklagen, der aber bald ein Ende haben soll: Auf dem Gelände der ehemaligen Möbel-Muster-Zentrale (MMZ) direkt an der B 4 wird ein Fachmarkt-Zentrum mit Supermarkt, Metzgerei, Bäckerei, Drogerie entstehen.
Der größte Einschnitt in der Geschichte Boxdorfs war im Jahr 1972 zu verzeichnen: Die bis dahin eigenständige, zum Landkreis Fürth gehörende Gemeinde wurde im Zuge der Gebietsreform ein Vorort von Nürnberg. «Meine Mutter hat damals fast einen Herzkasper gekriegt», erinnert sich Konrad Drechsler. Aber die aufgebrachten Gemüter beruhigten sich schnell wieder. Dem damaligen Bürgermeister Alfred Rohrmüller gelang es, einen klugen Eingemeindungsvertrag auszuhandeln.
Größter Aufreger der jüngsten Vergangenheit war für viele Boxdorfer die «Dauerbaustelle Hauptstraße» - und wird es wohl bald wieder sein, denn die Kanalsanierung und die Arbeiten der Infra sind noch nicht abgeschlossen. Das wird den Verkehrsfluss durch die Hauptstraße weiter behindern. Der Verkehr habe über die Jahrzehnte ständig zugenommen, klagt Konrad Drechsler: «Es ist die Hölle. Viele fahren vom Gewerbegebiet Braunsbach zur Autobahn durch den Ort, vor allem der Güterverkehr.»
Für eine gewisse Belebung des Vorortes hat auch Klaus Kobjoll mit seinem «Schindlerhof» gesorgt. Das noble Land- und Tagungshotel im historischen Gemäuer, liebevoll restauriert und ausgebaut, lockt noch mehr Autoverkehr an. Trotz Tiefgarage reichen die Parkplätze nach wie vor nicht aus, und Gäste wie Lieferverkehr belasten die schmale Ortsdurchgangsstraße zusätzlich. Andererseits machen der gute Ruf des Hotels und die ungebrochene Innovationsbereitschaft der Kobjolls Boxdorf auch über die Region hinaus bekannt. Und eine Reihe von Boxdorfern verdanken ihren Arbeitsplatz dem «Schindlerhof».
Eine ganz andere Berühmtheit erlangte der Vorort im Norden des Nürnberger Stadtgebiets in letzter Zeit durch «Die Autoschrauber»: Mike Löwel und seine Jungs polieren bei «Big Block Production» in der Lichtenfelser Straße aufsehenerregende Oldtimer auf und haben sich auf das Tunen der Straßenkreuzer spezialisiert. Mehrere private Fernsehsender machten mit «Mike’s Garage» Mike und seine Mannschaft deutschlandweit in bestimmten Publikumskreisen zu Stars. Mag es mancher Alt-Boxdorfer kritisch beäugen, mancher belächeln.
Fragt man, was an Boxdorf besonders positiv auffällt, lautet die Antwort stets: das rege Vereinsleben. ASC Boxdorf, Chorverein Eintracht, Liedertafel, Obst- und Gartenbauverein, Kleintierzüchter, Freiwillige Feuerwehr oder der Schützenverein «Gut Schuss» - sie sorgen dafür, dass im Ort ein gewisser Bürgersinn, ein Gemeinschaftsgefühl fortlebt, das heute nicht mehr selbstverständlich ist.
Das hat sich auch wieder gezeigt, als vor kurzem der ASC Boxdorf in Eigenleistung mit der Sanierung der dringend renovierungsbedürftigen Turnhalle begann. In deren Keller standen seit über 40 Jahren den Vereinen wie auch den Ortsvereinen von CSU und SPD Räume zur Verfügung. Nun ging die Angst um, dass sie diese künftig nicht mehr nutzen dürften, wenn der ASC die Sanierung übernimmt. «Aber man hat sich zusammengesetzt und eine Lösung gefunden. Alle können in der Turnhalle bleiben», freut sich Kerstin Böhm. Die CSU-Stadträtin und Ortsvorsitzende der CSU Boxdorf ist zufrieden mit der Entwicklung, die der Stadtteil nimmt: Viele junge Familien ziehen dorthin. Immer neue Baugebiete werden ausgewiesen, zuletzt entstanden an der Erich-Ollenhauer-Straße großzügige Wohnungen im «Sonnengarten». Und alle, die in der Straße «Zum Himmelreich» wohnen, haben sowieso schon das Paradies auf Erden. Ute Wolf
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