Ende einer Ära

Quelle-Kaufhaus: Der allerletzte Feierabend

19.12.2009, 00:00 Uhr
Der letzte Tag im Quelle-Kaufhaus in Nürnberg.

© Hans-Martin Issler Der letzte Tag im Quelle-Kaufhaus in Nürnberg.

Es ist 15.30 Uhr am vergangenen Samstag, noch anderthalb Stunden, bis das Warenhaus an der Fürther Straße in Nürnberg im 50. Jahr seines Bestehens für immer schließt. Endzeit- Stimmung durchweht die erste Etage, wo keine Waren mehr präsentiert werden und die Kleiderständer längst abgebaut sind. Die vier Frauen sind trotzdem da, obwohl sie mangels Ware keine Verkaufsgespräche mehr führen können. Also führen sie ohne Verkauf Gespräche – untereinander.

«Ich habe mit meinen Kollegen mehr Zeit verbracht als mit der eigenen Familie», sagt Gerlinde Bauer, die 17 Jahre bei Quelle arbeitete. «Alles, was heute noch relevant ist, ist das Verabschieden von den Kollegen.» Einige Mitarbeiter hätten es nicht verkraftet, in den letzten Tagen noch zum Dienst anzutreten. «Aber ich will bis zum Schluss bleiben», sagt sie, «damit ich einen Schlussstrich ziehen kann». Die 53-Jährige wirkt gefasst, aber wenn sie von Unterhaltungen mit langjährigen Kollegen und mit treuen Kunden erzählt, dann merkt man, wie nahe ihr der letzte Arbeitstag geht. Wenn die Kunden später das Haus verlassen, dann kommen die Mitarbeiter noch einmal kurz zusammen, um Ade zu sagen. «Telefonnummern und E-Mail-Adressen haben wir schon vor einiger Zeit ausgetauscht. Jetzt gibt es dann nichts mehr zu sagen.» Sie kämpft mit den Tränen.

Nicht nur Mitarbeiter nehmen Abschied, auch Kunden kommen aus persönlichen Gründen noch ein letztes Mal vorbei. Im Erdgeschoss sieht Oliver Otto ungläubig zu, wie der heiße Kampf um die letzten Stücke Modeschmuck gefochten wird. Der 30-Jährige hat bis vor wenigen Wochen in Sichtweite zur Quelle gewohnt. «Für mich war das Haus immer ein Bezugspunkt, ich bin oft vorbeigekommen. Bei meinem Umzug habe ich jetzt festgestellt, wie viele meiner Sachen von Quelle sind – Bücher, Kleidung, Möbel...» Er sei gekommen, um persönlich Abschied zu nehmen – auch von einigen Verkäufern, die er kennt. «Denn die haben keine Schuld daran, dass hier heute dichtgemacht wird.»


«Das Kaufhaus war meine zweite Heimat»

Hubert Pintz haben ganz andere Emotionen hergetrieben. Der 61-Jährige wandelt still durch die Etagen des Kaufhauses. Immer wieder bleibt er stehen, zückt sein Handy und macht Erinnerungsfotos. 38 Jahre war er bei Quelle, am Schluss bei der IT-Tochter Itellium. Mit seinem früheren Arbeitgeber hat der Rentner abgeschlossen. «Das einzig Gute an Quelle war, dass sie mir immer pünktlich mein Gehalt überwiesen haben.» An der Unternehmensführung – mit Ausnahme von Madeleine Schickedanz – lässt er kein gutes Haar, auch am Betriebsrat nicht. «Die waren doch in alle Entscheidungen eingebunden.» Systematisch sei Quelle ausgebeutet worden. Trotzdem will auch er jetzt Abschied nehmen, mehr vom Gebäude als vom Unternehmen. «Das Kaufhaus war meine zweite Heimat», sagt er bewegt. «Heute will ich mir alles noch einmal anschauen – und als letzter Kunde den Laden verlassen.»

Im zweiten Obergeschoss bei den Haushaltsgeräten steht Petra Thiel und lächelt. Eine Stunde vor Ladenschluss interessieren sich kaum noch Kunden für Waschmaschinen und Kühlschränke. Wer dennoch fragt, wird von der 38-Jährigen freundlich begrüßt, beraten und verabschiedet. «Ich bringe das Ganze hier sauber zu Ende», sagt sie. Fünf Tage vor Weihnachten den Arbeitsplatz zu verlieren, sei bitter. «Aber ich hatte in den vergangenen Wochen auch nicht die Zeit, mir über das Fest große Gedanken zu machen. Das kommt jetzt erst noch.» Gefeiert werde trotzdem, sagt Thiel. Schließlich könne sie nun endlich zur Ruhe kommen und anfangen, die Geschehnisse zu verarbeiten.

«903 an 204 bitte.» Die typischen Kaufhaus-Durchsagen haben mehr Echo am letzten Tag: Wo keine Ware steht, wo keine Kunden sind, wird kaum Schall geschluckt. Nur im Parterre gehen die Ansagen unter. «Eine halbe Stunde noch», sagt ein Verkäufer zur Kollegin. Wo früher Drogerie-Waren standen, werden jetzt die allerletzten Schmuck-Restposten verkauft – oder besser gesagt: verramscht, vertickt, verhökert. Für drei Euro und weniger geht all das weg, was nicht einfach eingesteckt wird. «Die klauen heute wie die Raben», sagt eine Verkäuferin fassungslos. Manche Frauen würden sich zig Armbänder umhängen, mehrere Herren-Ringe an die Finger stecken und Ketten klammheimlich in den Taschen verschwinden lassen. «Die sagen dann einfach, das wäre von daheim. Total dreist.»

Je näher der Ladenschluss rückt, umso aufgeregter werden die Käufer. Es wird gerafft und geschubst und gefeilscht. Manche Kassierer verlassen ihren Posten, um sich völlig auf die Überwachung der sogenannten Kundschaft zu konzentrieren. Ein Mitarbeiter zückt seine Digitalkamera und macht ein Bild von der tobenden Horde. «Das glaubt mir sonst keiner.» Kurz vor fünf. «Der Verkauf ist beendet», ruft Lothar Schlosser. Doch die Kunden lassen sich nicht beirren. Der Leiter der Konfektionsabteilung hält kurz inne und blickt um sich. Er sieht, wie die Leute noch die letzten Reste der traurigen Warensammlung auf der Suche nach Brauchbarem durchwühlen. Er schüttelt den Kopf, atmet tief durch und ruft lauter als vorhin: «Feierabend. Schluss.»

Als die Kundschaft das Schlachtfeld verlässt, schrauben einige Verkäuferinnen Piccolo-Sektflaschen auf und stoßen an. «Das ist geschichtsträchtig, was hier passiert», sagt ein Kollege zum anderen. Während letzte Erinnerungsfotos geschossen werden, rückt Geschäftsführer Frank-Peter Grätz mit dem Hauptschlüssel an. Hubert Pintz, wie geplant der letzte Kunde, schlüpft noch schnell mit seiner eben erstandenen Packung Biber-Bettwäsche für 1,50 Euro («Die brauche ich gar nicht») zur Tür hinaus. Dann wird abgesperrt.

Kurz darauf – wieder drinnen – resümiert Grätz im Gespräch mit der NZ sehr emotional den «fremdgesteuerten Absturz der Quelle». Die Angestellten haben sich in die Kantine zurückgezogen, die Rolltreppen sind aus. Es ist ganz still. «Ich gehe jetzt hoch zu den Mitarbeitern, aber ich weiß gar nicht, was ich ihnen noch groß sagen soll.» Dann dreht sich der Mann, der bis vor 27 Minuten Geschäftsführer des Kaufhauses war, weg und vergießt leise einige Tränen. Jetzt ist endgültig Ladenschluss.

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