Was ein Franzose 1840 in Nürnberg erlebte

12.9.2008, 00:00 Uhr
Was ein Franzose 1840 in Nürnberg erlebte

«Die Stadt, aus der ich schreibe, ist ein äußerst interessantes und merkwürdiges Studienobjekt. Eine alte freie Reichsstadt mit imposanter Burg und lange Zeit Hauptverkehrsweg zwischen Venedig, Brügge, Gent und Antwerpen. Man kann sich vorstellen, wie sie zu ihrer Glanzzeit gewesen sein muss. Natürlich ist es nicht mehr das Nürnberg vergangener Zeiten, aber es gibt Dinge, die weder die Zeit noch die Wechselfälle des Lebens zerstören können. Die liebenswerte Einfachheit und die Reinheit des Charakters der Einwohner scheinen aus der selben Zeit wie ihre Kirchen zu stammen, der Duft der guten alten Zeit umgibt sie noch immer.

Erlauben Sie mir, Sir, Ihnen diese alte Stadt vorzustellen, wie sie jetzt ist und in der Vergangenheit war. Doch bevor wir sie betreten, wollen wir kurz in Fürth Halt machen, einem Ort der Nürnberg seine Existenz verdankt. Fürth ist äußerst schmutzig und schlecht gebaut, mit Ausnahme eines neuen Bezirks. Die Stadt ist ein Labyrinth aus krummen, engen Straßen und Plätzen, deren Aussehen man nicht beschreiben kann. Die Häuser sind niedrig und armselig. Eines ist allerdings bemerkenswert: Hier leben unwahrscheinlich viele Juden. Kommt man an einem Samstag nach Fürth, hat es den Anschein als setzte sich die gesamte Bevölkerung aus den Kindern Moses zusammen. Wie man mir erzählte, ist jeder dritte Einwohner Jude. In einem Erlass hatte Nürnberg den Israeliten untersagt in der Stadt zu wohnen, ja nicht einmal eine einzige Nacht durften sie in ihren Mauern verbringen. Die «Opfer» dieser Verordnung machten sich auf den Weg nach Fürth, zu jener Zeit ein schäbiges kleines Dorf, und ließen sich

dort nieder.

Mit Eifer und Tatkraft begannen sie hier ihr neues Leben, eröffneten Läden, gründeten Fabriken und allmählich entwickelte sich Fürth zu dem, was es heute (1840) ist: Eine kleine Stadt mit 14 000 Seelen und blühendem Gewerbe. Die jüdische Bevölkerung zahlte es den Nürnbergern nicht heim, sondern erlaubte es jedem Christen, sich in ihrer Mitte anzusiedeln. Beide Städte sind nun mit einer Eisenbahn verbunden und täglich fahren zahlreiche Züge von Fürth nach Nürnberg, besetzt mit Israeliten und ihrer Handelsware. Nürnberg liegt zwischen Main und Donau im lieblichen Garten Franken und der Reisende erspäht die Stadt mit den riesenhaften Türmen und der beherrschenden Burg aus meilenweiter Entfernung, falls der Anblick nicht von den zahlreichen Hügeln verdeckt wird. Mit Ausnahme Prags bietet keine Stadt im Kaiserreich einen imposanteren Anblick und besonders wenn man von Fürth kommt, zeigt sie sich in voller Schönheit.

Vor Jahrhunderten war Nürnberg von ausgedehnten Sandflächen umgeben, die von den Bewohnern in unermüdlicher Arbeit in Obstgärten umgewandelt wurden. Die Stadt erhielt zahlreiche Privilegien, Kaiser residierten hier und Reichstage wurden abgehalten. Die strahlendste Epoche ihrer Geschichte liegt in den Jahren 1480 bis 1530, sie war reicher und blühender als alle anderen Städte des Kaiserreichs, prachtvolle Feste wurden gefeiert, der Handel erstreckte sich über ganz Europa und ein Bürger Nürnbergs zu sein, kam einem Ehrentitel gleich.

Mit der Entdeckung des Seeweges um das Kap der Guten Hoffnung begann der langsame Niedergang des Handels von Venedig zu den Städten der Niederlande; Bürger und Patrizier haderten miteinander und der Dreißigjährige Krieg (1618-1648), in dem König Gustav Adolph der Stadt schwer zusetzte, beendete den Wohlstand. Die Stadt Nürnberg lag sozusagen in den letzten Zügen, als sie 1806 zum Königreich Bayern kam und bereitwillig ihre althergebrachten Privilegien, die meist nur noch dem Namen nach existierten, abgab. Sie wurde eine Stadt wie jede andere innerhalb der neuen Monarchie.

Seit dieser Zeit hat sich die Stadt wiederbelebt und hoffte, einen Teil des früheren Glanzes zurückzuerobern. Während der letzten 20 Jahre (1820-1840) stieg die Bevölkerung von 34 000 auf 46 000, der Wert der Häuser verdoppelte sich und der Handel lebte auf. Jährlich werden fast 500 000 Doppelzentner Waren innerhalb Deutschlands, nach Österreich und in die Schweiz versendet. Mit bewundernswerter Schnelligkeit und gut gefederten Waggons werden die Waren auf der Ebene zwischen Nürnberg und Fürth befördert. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt wie es auf den Straßen im Süden Deutschlands zugeht, in den abscheulichen Postkutschen von Latour-Taxis mit ihrem langsamen Tempo und dem unbarmherzigen Rütteln.

Die Vororte Nürnbergs sind Dörfer mit Gasthäusern und Gärten. Wenn man sie passiert hat, sieht man bald eine Ziehbrücke an deren Ende ein massiver Turm steht, hier ist das Eingangstor zur Stadt. Man geht durch ein langes, düsteres Gewölbe und steht plötzlich in einem fast unentwirrbarem Labyrinth von Gässchen. Wer nie zuvor einen Fuß in eine dieser alten Städte gesetzt hat, ist erst mal erschlagen von dem eigenartigen und einzigartigen Anblick der gotischen Häuser die nebeneinander stehen ohne Rücksicht auf Gleichmaß und Ordnung, ein jedes verschieden vom Nachbarhaus in Größe, Form und Farbe. Die Häuser in Nürnberg sind in allen möglichen Farben gestrichen, grün, gelb, rot, blau, in allen Farben des Regenbogens.

In diesen gekrümmten Straßen, die trotz allem breit und luftig sind, befinden sich die elenden Behausungen der Handwerker zusammen mit den Häusern der Edlen, doch scheint das niemanden zu stören. Jeder Bürger hat sich sein Haus gebaut, wo und wie es ihm gefiel und ich beglückwünsche ihn, dass er das konnte und durfte. So sieht ein Haus in Nürnberg aus: Auf einem hohen, spitzen, roten Ziegeldach erhebt sich ein Türmchen mit einer altmodischen Wetterfahne, Tür und Fenster sind mit Figuren und Flachreliefs geschmückt, im ersten Stock wölbt sich ein Fenster im Halbkreis oder Winkel nach außen (was nach innen den Wohnraum vergrößert) und über der Türe sind die Familienwappen angebracht, in Metall oder Stein graviert. Zwischen den Fenstern sind Nischen mit Büsten der Familienoberhäupter. Bei Größe und Lage der Fenster gibt es keine Symmetrie, sie entsprangen wohl alleine der Laune des Erbauers!

Endlich hält die Kutsche vor dem Hotel: Der Herr Kellner (O-Ton des Briefschreibers) der von einer im Haus läutenden Glocke über meine Ankunft informiert wurde, taucht mit der Mütze in der Hand auf, öffnet die Kutsche und bietet seine Dienste an. Das ist kein Gasthofbesitzer wie in den modernen Hotels von Paris oder anderen französischen Städten. Sein Anzug, sein Gesichtsausdruck, seine Haltung und das Lächeln, alles an und um ihn erinnert an die gute alte Zeit. Er ist ein Typ, der in Frankreich ausgestorben ist, den man vielleicht noch in kleinen Orten im Elsaß, oder in Gasthöfen in Straßburg und Colmar antrifft.

Als ich mich nun zum erstenmal vom Hotel durch die Straßen treiben ließ, landete ich auf dem Marktplatz. Es war gerade Markttag und mir bot sich eine äußerst belebte und pittoreske Szene. Was könnte vergnüglicher sein als jene Leute vom Land und ihre Frauen, mit den pausbäckigen, freundlichen und offenen Gesichtern. In der Menge, die um die Stände wogte, entdeckte ich manch köstliches, weibliches Kostüm: Die Bauernmädchen aus der Umgebung sind besonders anziehend mit ihren zierlichen Hauben und breiten Bändern, die im Wind flattern, ihren langen Röcken und eleganten Korsagen. Die Tracht der Dienstmädchen in der Stadt ist nicht so originell, doch ebenfalls hübsch.

Neben den festen Läden gibt es zahlreiche kleine, tragbare Stände, die am Abend wieder entfernt werden. Frauen halten darin ihre Waren feil, Obst, Gemüse und Lebensmittel. Diese Frauen fallen durch ihre riesigen, runden, flachen Strohhüte auf, die gleichzeitig Hüte, Regen- und Sonnenschirme sind. Ihre Waren transportieren sie in sehr großen Gefäßen aus geflochtenem Stroh oder Weidenkörben, die in ihrer Form antiken Urnen ähneln und auf dem Rücken getragen werden.

Der Marktplatz ist schön und von gotischen Häusern umgeben, davor steht die gotische Kirche St. Mary (Frauenkirche), die wegen ihrer Uhr berühmt ist. Die «Uhr von Nürnberg», dieses mechanische Meisterwerk, geht nicht mehr und die guten Nürnberger müssen nun auf die sieben Kurfürsten verzichten, die zu jeder vollen Stunde Kaiser Karl IV. umrunden. Hinter St. Mary’s kann man das Geburtshaus von Hans Sachs, dem ersten Meistersinger und berühmtesten Poeten seiner Zeit, sehen. Seine 6000 Werke bestehen aus Tragödien, Komödien, Episoden, Fabeln, mythologischen, biblischen und historischen Geschichten. Seine Schriften sind neckisch und ernst, wunderlich und ungekünstelt.

In einer Ecke des Marktes steht ein prächtiger Brunnen aus dem Jahr 1361, ein gemeinsames Werk von Friedrich Rupprecht und Sebald Schonhofer. Er besteht aus einer 60 Fuß hohen Pyramide (ca. 20 Meter), geschmückt von unten bis oben mit Statuen und Skulpturen. Ohne Zweifel eines der Wunder des Mittelalters. Wir verlassen den Marktplatz und begeben uns zu einer der ältesten gotischen Kirche, St. Sebald. Bevor wir den herrlichen Chor betreten, bewundern wir den doppelten Portico im byzantinischen Stil, dann steigen wir in das Gewölbe der St. Peterskapelle hinab. Dort kann man das Grab des Conrad von Neumarkt sehen, Stifter des Katharinenklosters.

In der Sebalduskirche gibt es zwei Skulpturen in perfektem Zustand, «das letzte Gericht» und «die Passion», beides Werke von Adam Krafft dem man nachsagt, dass Stein in seinen Händen geschmeidig wie Wachs wird. Das schönste Ornament in dieser Kirche ist das Grab ihres Patrons, ein Werk des Erzgießers Peter Vischer und seiner fünf Söhne, die von 1506 bis 1519 daran arbeiteten.

An den Wänden hängen Gemälde von Dürer, Kreutzfelder, Ermels, Marian und Culenbach. Sanftes Licht fällt durch die prächtigen Fenster, im 16. Jahrhundert gemalt von Hirschvogel, Krumberger und Culmbach. Das bemerkenswerteste Fenster ist das Markgrafenfenster. Es zeigt Markgraf Friedrich von Brandenburg, seine Frau Sophia und ihre acht Kinder. Von dieser Markgräfin Sophia stammen die jetzigen Mitglieder der preußischen Königsfamilie ab.» (Teil zwei folgt) Übersetzung: Ursula Tannert

Keine Kommentare