Wer liest denn heute noch Karl May?
26.03.2012, 19:26 Uhr
Mal gucken: Jack London, Paul Maar ... aber wo ist May? Im zweiten Stock des Thalia, Abteilung Kinder- und Jugendbuch, steht kein Werk des berüchtigten Sachsen. Buchhändlerin Angela Loos, zuständig für die Jugendabteilung, bedauert: „Karl May wird ziemlich selten nachgefragt. Und wenn, dann sind es von all den vielen Büchern doch nur dieselben Werke: nämlich Winnetou I bis III, Old Surehand und der Schatz im Silbersee. Und Kinder oder Jugendliche kommen gar nicht. Die verlangen nach den ,Fünf Freunden‘ und den ,Drei Fragezeichen‘. Wenn schon Karl May, dann verlangen ältere Herren und Damen danach, die bestellen dann für ihre Enkelkinder.“
Ein Blick in den Bestellcomputer. Dort kursieren Neuerscheinungen wie „Winnetou und Old Shatterhand“ oder „Karl May. Ein Lesebuch“, offenbar für Einsteiger. „Winnetou und Old Shatterhand“ gibt sich als Kurzfassung der May’schen Erzählungen zu erkennen. Da hat man offenbar einige schwülstige oder nicht mehr ganz zeitgemäße Passagen gestrichen.
Und wie steht es mit Angela Loos’ May-Lektüre? „Als kleines Mädchen habe ich vielleicht zwei oder drei Bände gelesen. Dafür hatte ich aber etliche Hörkassetten, die habe ich alle rauf und runter gehört.“
Ein Blick in die Buchhandlung Jakob. Auch hier alles mögliche in der Kinder-und Jugendabteilung. Gerade wollen wir uns abwenden, da fällt unser Blick in eine versteckte Ecke, eingekeilt zwischen Schaufenster und Raumtrenner. Da steht ein Regal mit drei Reihen der klassischen May-Ausgabe. 69 Bände füllen das Regal, zudem zwei frisch erschienene Biographien, sowie je ein Buch über Indianer und den Wilden Westen.
Die Geschäftsführerin Cornelia Schmidt kann sich über mangelnde Nachfrage nicht beklagen: „Bei uns fragen regelmäßig Kunden nach Karl May, aber das sind ältere Leute, die entweder für ihre Enkel bestellen oder aber für sich selbst. Dann haben wir noch einen Arno-Schmidt-Fan, der verlangt auch nach Karl May.“ Arno Schmidt wusste May sehr zu schätzen und hatte einst eine Studie über May veröffentlicht.

Offenbar genießt Karl May nur unter den jung gebliebenen älteren Lesern seine Verehrung. Ein Indiz hierfür: „Der Karl-May-Verlag hat bei einigen Bänden auf die neue Rechtschreibung umgestellt, und das mögen manche Fans gar nicht“, beobachtet Cornelia Schmidt.
Und was bevorzugt Cornelia Schmidt? „Also ich habe immer Kara Ben Nemsi dem Winnetou und Shatterhand den Vorzug gegeben. Die Orientalen und auch ,Die Pyramide des Sonnengottes‘ waren mir einfach exotischer als Indianer. Die Indianer fand ich einfach nicht so prickelnd.“
Nicht zu unterschätzen: Die Rahmenbedingungen des Lesevergnügens. „Damals in den sechziger Jahren galt Karl May als Bubenlektüre, das war nichts für Mädchen. Ich habe darum meinem Bruder seine May-Bücher stibitzt und nachts heimlich unter der Bettdecke gelesen. Das war spannend!“
Man kann Karl May auch ausleihen. In der Stadtbibliothek herrscht rege Nachfrage: „Vor kurzem hatte ich im Regal unter May nachgeschaut und rund die Hälfte unserer Bücher war ausgeliehen“, freut sich Susanne Stang. Doch jugendliche May-Leser hat die Bibliothekarsassistentin in ihrer ganzen 35-jährigen Tätigkeit noch nicht beobachtet: „Die May-Leser sind allesamt erwachsene Herren ab 50 Jahren. Frauen habe ich auch noch nie gesehen.“
Ein solcher älterer Leser ist der altgediente Jurist und Eulensammler Gerhart Honig (77). „Als Schüler hatte ich mir die Bücher von Freunden ausgeliehen, bis ich alle abgehakt hatte. 1982, zum 70. Todestag Mays, erlosch das Copyright, und ein Wiener Verlag gab Karl May als Taschenbuch heraus. Da hatte ich ihn zum zweiten Mal gelesen. Als Rentner lese ich ihn nun zum dritten Mal durch. Und erst jetzt fallen mir Formulierungen auf, über die ich mich vorher nie gewundert hatte. Formulierungen wie ,schnellen‘, oder ,einen Pudel schießen‘ oder ,nun ich hier bin‘. Ganz eigentümliche Sachen sind das.“
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