Wie entstehen Hände und Füße?

02.08.2010, 00:00 Uhr
Wie entstehen Hände und Füße?

© Mathias Orgeldinger

Professor Manfred Frasch vom Lehrstuhl für Entwicklungsbiologie der Universität Erlangen-Nürnberg hat Fragen beantwortet, die sich Generationen von Biologen seit Charles Darwin immer wieder gestellt haben. Welche genetischen Mechanismen sind nötig, damit die Gliedmaßen eines Säugetieres zu Flügeln, Flossen oder Händen werden? „Die Embryonen von Mensch und Delfin sind in einem frühen Stadium für Laien nicht zu unterscheiden“, erklärt Frasch. Beide haben zwei Arm- und zwei Beinknospen, die wie kleine Knubbel aussehen. Im weiteren Verlauf der Embryonalentwicklung werden beim Delfin die zwei Beinknospen resorbiert, während sich die Armknospen zu den Flippern entwickeln. Das ist deshalb erstaunlich, weil Delfine von vierfüßigen Landsäugetieren abstammen. Gelegentlich erinnert sich die Natur noch an ihre Historie: 2006 wurde in Japan ein Delfin entdeckt, der zwei zusätzliche „Beinflossen“ hatte. Solche Atavismen gibt es bei allen Tiergruppen, sie gelten als klassische Belege für die Evolution.

Evolution beschreibt die Veränderlichkeit der Arten. Der britische Zoologe Sir Richard Owen (1804–1892) war dem Phänomen schon auf der Spur, als er 1848 ein Buch über die Bedeutung von Gliedmaßen herausgab. Darin verweist er auf die Ähnlichkeit der Knochen in den Extremitäten von Reptilien, Vögeln und Säugern. Da er sich aus religiösen Gründen jedoch nicht vorstellen konnte, dass Arten veränderlich sind, blieb diese „Entdeckung“ seinem Zeitgenossen Darwin vorbehalten. In der Folge suchten die Forscher nach fossilen Übergangsformen, die den Wechsel von einer Tiergruppe zur nächsten belegen. Besonders spannend ist das Zeitalter des Devon vor 415 bis 360 Millionen Jahren, da die Fische am Ende dieser Epoche „an Land“ gingen.

Wie entstehen Hände und Füße?

© Mathias Orgeldinger

Vor einigen Jahren entdeckte man in der kanadischen Arktis eine weitere fossile Übergangsform, den bis zu zwei Meter langen amphibienähnlichen Fleischflosser Tiktaalik. „Er konnte Liegestützen aus dem Wasser heraus machen“, scherzt Frasch. Der Entwicklungsbiologe hat sich viel Zeit genommen, um seine Zuhörer langsam und allgemeinverständlich an das schwierige Gebiet der Molekulargenetik heranzuführen. Nachdem er das große Ganze skizziert hatte, stellte er neue, wegweisende Experimente vor. So ist es mit Hilfe von Färbemethoden gelungen, die Aktivität von drei Genen in der embryonalen Gliedmaßenknospe nachzuweisen, die für das Wachstum von Knochen, Gelenken und Sehnen verantwortlich sind.

Ein weiteres Gen D sorgt dafür, dass das Gewebe zwischen den Fingern abstirbt, wodurch erst die charakteristische fünfstrahlige Hand entsteht. Um nun die Flügel einer Fledermaus oder die Schwimmfüße einer Ente zu erzeugen, ist ein weiteres Gen notwendig, das die Aktivität von Gen D hemmt. Wie so oft arbeitet die Natur mit einfachen Mechanismen. Durch künstliche Aktivierung von Gen Tbx5 in der Beinknospe ist es den Forschern gelungen, einen Hühnerembryo ohne Füße, dafür aber mit vier Flügeln zu erzeugen.

Auch in der Natur kommen gelegentlich Missbildungen vor, wie z.B. die Vielfingerigkeit, auch Polydaktylie genannt. Im 19. Jahrhundert, so Frasch, gab es im Jemen eine Menschengruppe, deren Mitglieder je sieben Finger und Zehen hatten. Säuglinge mit fünf Fingern galten als Hinweis auf einen Seitensprung. Was mit diesen Kindern geschah, sei nicht bekannt.

„Hand und Fuß“ im Naturkundehaus läuft noch bis 31. Oktober.