Fahrbericht: Tesla Model 3 AWD Long Range
10.3.2020, 14:30 UhrWie es aussieht: Das Tesla Model 3 ist eine elegante Mittelklasse-Limousine, die sich mit 4,69 Metern Länge in der Größenordnung einer Mercedes C-Klasse, eines Audi A4 oder eines 3er BMW bewegt. Gerade beim Elektroauto bietet die Karosserieform der Limousine Vorteile gegenüber der eines SUVs, wie es andere Hersteller (Audi e-tron, Jaguar I-Pace) für ihre ersten elektrischen Gehversuche gewählt haben: Die Aerodynamik ist ungleich besser. Das Model 3 gleitet nahezu völlig geglättet durch den Wind, mit geschlossener Front (einen Kühlergrill braucht es schließlich nicht) und versenkten Türgriffen.
Wie es eingerichtet ist: Einsteigen und staunen. Wo üblicherweise Instrumente, Bildschirme, Taster oder zumindest irgendwelche Dreh-Drück-Steller sitzen, ist im Model 3 – nichts. Nur ein Bildschirm, mittig auf dem installiert, was in anderen Autos „Armaturenträger“ heißt. Den Touchscreen als "großformatig" zu bezeichnen, wäre noch untertrieben: 15 Zoll (oder 38 Zentimetern) misst er, ein digitaler Riese. Zum Vergleich: Ein iPad ist 11 bzw. 12,9 Zoll groß. Über diesen Bildschirm lässt sich so gut wie alles steuern, dazu aber später mehr.
Ungemein clean, ungemein reduziert und deshalb ungemein modern wirkt das Interieur. So toll die Innenarchitektur in ihrem Minimalismus auch aussieht: Die Verarbeitungsqualität, das muss man bei aller Sympathie konstatieren, ist noch deutlich von der eines Audi, BMW oder Mercedes entfernt.
Wie es mit sich umgehen lässt: Wer Tesla fährt, muss vieles neu erlernen. Schon das Entriegeln des Fahrzeugs funktioniert anders als anderswo: Per Chipkarte, die an die B-Säule gehalten wird. Oder, das kennt man inzwischen schon eher, per Smartphone-App. Und wer wieder aussteigen möchte, tippt zum Öffnen der Türen einen kleinen Knopf an der Türinnenseite an.
Die zentrale Schaltstelle aber ist der Touchscreen. Ein spektakuläres Teil, nicht nur der enormen Größe, sondern auch der gestochen scharfen Bildschirmdarstellung wegen.
Bis auf die erwähnten Türöffner sowie die Lenkstockhebel für Gangwahl und Blinker und die beiden kleinen Rändelräder am Volant (das ansonsten ungefähr so schlicht wirkt wie das eines Golf I) wird alles, einfach alles über diesen Bildschirm geregelt: Nicht nur Infotainment inklusive Navi- und Audiofunktionen. Sondern sogar das Öffnen des Handschuhfachs sowie des Kofferraums. Und die Lüftung ebenso – der Zeigefinger lenkt auf der entsprechenden Bildschirmdarstellung die Luftströme in die gewünschte Richtung. Wow.
Zudem eröffnet der Screen ein ganzes Unterhaltungs-Universum, das – beispielsweise – die Wartezeit beim Stromladen verkürzt: Internet (das Model 3 ist permanent online), Netflix, Spotify oder Arcade-Videogames sind nur einige der Angebote. Und wer es gern behaglich mag, entfacht auf dem Bildschirm ein virtuelles, prasselndes Kaminfeuer und lauscht dem passend dazu eingespielten Soundtrack.
Unerwartet schnell haben wir uns an die Systematik gewöhnt, was für deren logischen Aufbau spricht. Dennoch meinen wir, dass es Tesla in mancherlei Hinsicht übertrieben hat: Selbst die Intervallschaltung der Scheibenwischer oder das Einstellen der Außenspiegel erfolgt über ein Untermenü – das ist nicht nur kompliziert, sondern der Ablenkungsgefahr wegen auch problematisch. Und dass die Geschwindigkeit auf dem Touchscreen und nicht direkt im Blickfeld angezeigt wird hat zur Folge, dass der Fahrer die Augen zumindest minimal nach rechts richten muss.
In digitaler Hinsicht genießt Tesla ein hohes Image. Dabei kann das Model 3 vieles noch nicht, was anderswo längst selbstverständlich ist: Ein Head-Up-Display gibt es ebensowenig wie kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung oder die Anbindung des Smartphones via Apple CarPlay oder Android Auto. Das Telefon kann nicht einmal induktiv geladen werden – hier muss der Kunde Zubehör erwerben, das dann an einen der USB-Anschlüsse angestöpselt wird.
Wie viel Platz es hat: Das fünfsitzige Model 3 vermittelt ein sehr gutes Raumgefühl, nicht zuletzt bedingt durch den praktisch durchgehend verglasten Dachhimmel. Zusätzlich zum Heck- Kofferraum gibt es einen zweiten unter der Fronthaube, insgesamt tun sich 542 Liter Stauraum auf, erweiterbar durch die umklappbaren Rücksitzlehnen. Und die vielen Ablagen im Innenraum nehmen auch das große Gebinde Mineralwasser auf.
Erfahrung am Rande: Als wir mehrfach und zunehmend ungehalten versuchten, das Ablagefach in der Mittelkonsole zu schließen, empfahl uns der Tesla via Touchscreen, doch bitte langsam vorzugehen. Tatsächlich, so hat es dann doch geklappt.
Nicht selbstverständlich bei Elektroautos: Auch eine Anhängerkupplung lässt sich ordern (1060 Euro), die Anhängelast beträgt 910 Kilogramm.
Was es antreibt: Das Model 3 AWD Long Range arbeitet mit zwei Elektromotoren, die insgesamt eine stattliche Systemleistung von 340 kW/462 PS erbringen. Ein Motor sitzt an der Vorder-, der andere an der Hinterachse, dadurch ergibt sich Allradantrieb. Als Energiespeicher dient ein Lithium-Ionen-Akku mit 75 kWh Kapazität.
Wie weit es kommt: Die erste Glanzdisziplin des Model 3. Ihre Modellbezeichnung "Long Range" – Langstrecke - trägt die Limousine völlig zu Recht. Schon das Datenblatt verheißt 560 Kilometer Reichweite. Aber auch in der Praxis standen bei vollem Akku knapp 500 Kilometer im Instrumentendisplay, bei einigermaßen selbstbeherrschter Fahrweise erweist sich das als völlig realistische Perspektive. Das ist durchaus enorm, zumal wir mit dem Tesla 3 unter winterlichen Bedingungen unterwegs waren. Selbst beim Reisen mit Autobahn-Richtgeschwindigkeit 130 sind noch rund 400 Kilometer zu schaffen. Bei frühlingshafter Wärme dürfte da noch einmal mehr drin sein. So sieht Langstreckentauglichkeit mit einem Elektroauto aus.
Was es verbraucht: Hier zahlt sich die aerodynamische Karosserieform der Limousine aus. Trotz seines verhältnismäßig hohen Gewichts (1,8 Tonnen) ist das allradgetrieben Long-Range-Modell erstaunlich sparsam unterwegs. Auf unserer Sparrunde ermittelten wir 15,4 kWh/100 km, im Schnitt – bei, wie erwähnt, winterlichen Temperaturen – 20,1 kWh. Das ist ein sehr guter Wert.
Wie es lädt: Die Leistung beim Laden ist der nächste Grund, weshalb der Alltag derzeit mit keinem anderen Elektroauto so gut funktioniert. Der Reihe nach: Das Laden mit Wechselstrom – also an Wallboxen oder üblichen Ladestationen - beherrscht das Model 3 nur mit 11 kW, die Kapazität von 22 kW-Säulen nutzt es also nicht voll aus. Rein rechnerisch nimmt das Stromfassen mit 11 kW knapp sieben Stunden in Anspruch. Gleichstrom-Schnellladen geht aber mit bis zu 250 kW, ältere Modell lassen sich mit Software-Update "over the air" entsprechend fit machen. Im Idealfall wäre das Model 3 also binnen einer guten halben Stunde wieder aufgeladen.
Bei der Ladeinfrastruktur hat Tesla nach wie vor einen großen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz mit ihrem noch nicht so engmaschig aufgestellten Ionity-Schnellladenetz. Die markentypischen Supercharger finden sich zahlreich entlang der Autobahnen, teilweise stehen gleich 16 Ladesäulen bereit. Das Stromfassen selbst geht denkbar unkompliziert vonstatten: Nach dem Andocken wird das Auto automatisch identifiziert, der Ladevorgang gestartet und die "getankte" Strommenge (33 Cent pro kWh) abgerechnet. Ergänzend zu seinen Superchargern gibt es an vielen touristischen Hotspots (Hotels beispielsweise, aber auch Liftstationen, Tourismusämtern oder Häfen) sogenannte "Destination Charger", an denen Teslas mit 11 kW Strom beziehen können.
Reichweitenängste kommen so niemals auf, Langstreckenfahrten lassen sich geradezu sensationell gut abspulen.
Neben den Tesla-spezifischen Ladestationen können übrigens auch alle anderen benutzt werden.
Das Navi listet allerdings nur die Supercharger auf. Wer eine andere Ladestation sucht, muss diese mit Hilfe des großen Screens googeln und sich dann entweder über Google Maps ans Ziel führen lassen oder die entsprechende Adresse ins Navi eintippen.
Auch mittels Rekuperation, also der Umwandlung von Bewegungsenergie in elektrischen Strom, lässt sich der Akku speisen. Beim Model 3 sind zwei Rekuperationsstufen einzustellen, in der höheren verzögert der Wagen so stark, dass das Bremspedal beinahe überflüssig wird (One-Pedal-Driving).
Wie es sich fährt: Einen Startknopf gibt es nicht, einmal entriegelt, ist das Model 3 sofort betriebsbereit. Die blitzschnelle Beschleunigung (0 bis 100 km/h in 4,6 sec, Spitze 233 km/h) sowie das ungemein kraftvolle und dabei flüsterleise Vorankommen sind eine echte Schau. Ansonsten aber tut sich ein doch spürbarer Abstand zur deutschen Premium-Konkurrenz auf: Über Kopfsteinpflaster, Gullideckel oder Straßenbahnschienen rattert das Model 3 eher hart unkomfortabel hinweg, erst bei höherem Tempo – etwa auf der Autobahn – stellt sich eine gewisse Beruhigung ein. Wir wagen zu behaupten, dass man das Fahrzeug bei Mercedes, Audi oder BMW so nicht vom Hof hätte fahren lassen. Auch die weichen, gefühllosen Bremsen können nicht überzeugen.
Viel ist schon die Rede gewesen von Teslas Autopiloten. Er arbeitet mit einem Radarsensor und insgesamt acht Kameras rundum. Mit Hilfe der serienmäßigen Basisversion kann das Model 3 unter anderem selbstständig einparken, den Abstand zu vorausfahrenden Autos halten (und dabei lenken) sowie die Spur wechseln bzw. überholen. Das System mit erweiterten Funktionen kostet 6300 Euro Aufpreis und war in unserem Testwagen nicht verbaut.
Was es bietet: Serienmäßig unter anderem die Standardfarbe "Pearl White", 12-fach verstellbare Vordersitze, Sitzheizung vorne/hinten, ein Audiosystem, für ein Jahr volle Internet-Konnektivität inklusive Internet-Streaming für Musik und Medien, das große Glasdach, elektrisch einklappbare, beheizte Seitenspiegel sowie den Standard-Autopiloten mit den erwähnten Funktionen.
Was es kostet: Ab 53.790 Euro. Wer jetzt bestellt, bekommt das Fahrzeug nach Tesla-Angaben voraussichtlich im Mai. Alternativ gibt es die günstigere, heckgetriebene Variante "Standard Plus" mit 225 kW/306 PS, 53-kWh-Akku und einer WLTP-Reichweite von 409 Kilometern ab 43.990 Euro. Oder das "Performance"-Modell mit 355 kW/483 PS, 73-kWh-Batterie und 530 Kilometer Reichweite ab 59.990 Euro.
Was wir meinen: Beim Tesla Model 3 gilt es das Gesamtpaket zu betrachten – nicht nur das Auto also, sondern auch die vorbildliche Ladeinfrastruktur, die gerade Langstreckenfahrten so unkompliziert gestaltet, wie es derzeit mit keinem anderen Elektroauto möglich ist. Vom futuristisch-minimalistischen Bedienkonzept und den tollen Fahrleistungen geht eine große Faszination aus. Verarbeitungsqualität, Fahrverhalten und teilweise auch die Assistenzsysteme können jedoch nicht mit der deutschen Premiumkonkurrenz mithalten.
Ulla Ellmer
Die Daten des Tesla Model 3 AWD Long Range
Leistung 340 kW/462 PS, Batterietyp Lithium-Ionen, Kapazität 75 kWh, Ladeleistung Wechselstrom/AC mit 11 kW, Gleichstrom/DC mit bis zu 250 kW, Normverbrauch 16 kWh pro 100 km, Testverbrauch 20,1 kWh/100 km, Reichweite Norm 560 km, Reichweite Test 496 km, CO2-Emission 0 g/km, Höchstgeschwindigkeit 233 km/h, Beschleunigung 0 auf 100 km/h in 4,6 sec, Länge 4,69 m, Breite 1,85 m, Höhe 1,44 m, Gepäckraum komplett 542 l, Leergewicht 1847 kg, Zuladung 418 kg, Anhängelast 910 kg. Allradantrieb. Versicherungs-Typklassen20 (KH), 27 (VK), 28 (TK). Preis ab 53.790 Euro.