Fahrbericht: VW Golf 8 1.5 TSI
29.7.2020, 10:26 UhrWie er aussieht: Golf bleibt Golf bleibt Golf. Über Jahrzehnte hinweg ist den VW-Designern das Kunststück gelungen, den kompakten Bestseller von Modellwechsel zu Modellwechsel so behutsam zu modernisieren, dass sich die Veränderungen zunächst nur Kennern erschließen, im Rückblick auf die vergangenen Generationen Golf aber umso augenfälliger werden. Daraus resultiert eine Zeitlosigkeit, die dazu führt, dass auch der Besitzer eines Golf IV oder V noch immer gut angezogen ist mit seinem Fahrzeug.
Auch beim neuen Golf VIII hat man auf Wagnisse verzichtet, ist der klassisch-konservativen Linie treu geblieben und hat doch effektive Modernisierungs-Maßnahmen umgesetzt. Mit 4,28 Metern Länge wächst das aktuelle Modell kaum über den Vorgänger hinaus, zeigt sich aber zu neuer Schärfe geschliffen, mit tiefer herabgezogener Frontpartie und einer sportlich-klaren Leuchtengrafik am Heck. Einen Dreitürer gibt es nicht mehr, der Konfigurator weist den Golf VIII ausschließlich als Fünftürer aus.
Wie er eingerichtet ist: Im Unterschied zum Exterieur fegt das Interieur sofort sämtliche Zweifel hinweg, in welcher Generation Golf man da sitzt. Kein einziges Analoginstrument und so gut wie kein konventionelles Bedienelement hat es in die neuen Zeiten geschafft. Das sogenannte "Innovision"-Cockpit sieht toll aus, aufgeräumt und modern, birgt bei der Bedienbarkeit (dazu später mehr) aber nicht nur Vorteile.
Die sorgsame Verarbeitungsqualität und die Haptik der Inneinrichtung liegen auf Top-Niveau, auch wenn sich der Golf bei der Materialauswahl das eine oder andere Hartplastik-Detail leistet, vor allem im Fond. Großartigen Komfort bietet der elektrisch verstellbare "ergoActive"-Fahrersitz, ab "Style"-Ausstattung ist er serienmäßig und besitzt eine Massagefunktion.
Wie er mit sich umgehen lässt: Diesem Kapitel wollen wir uns ausführlicher widmen, denn in digitaler Hinsicht empfiehlt sich der achte Golf als Meister der Moderne. Schon beim Zugang etwa, der neuerdings auch via Smartphone möglich ist. Vor allem aber muss der Fahrer umfänglich das "Touchen und Sliden" erlernen. Das fängt mit den beiden berührungssensitive Bedieninseln an: Über die eine erfolgt der Zugriff auf die Funktionen rund um Licht und Sicht, über die andere auf das, was mit Parken, Klimatisierung, den Fahrmodi und Assistenzsystemen zu tun hat. Die Feineinstellungen sind dann über den ausstattungsabhängig bis zu 10 Zoll großen, fahrerorientierten Touchscreen vorzunehmen.
Lautstärke, Temperatur und sogar die Öffnung des Schiebedachs wiederum lassen sich über (leider unbeleuchtete) "Touchslider" regeln, auf denen man mit dem Zeigefinger hin- und herwischt. Das ist gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber prinzipiell recht gut – sieht man einmal davon ab, dass es schon mal zu ungewollten Nebenwirkungen kommt: Beim Sliden über das Bedienelement des Schiebedachs beispielsweise haben wir uns auf die Notruftaste verirrt. Fortan schauten wir lieber genau hin, wo unser Zeigefinger gerade entlangwischte.
Genau da liegt freilich das Problem: So cool das neue Cockpit auch aussieht - die konsequente Digitalisierung zwingt den Fahrer mitunter dazu, den Blick von der Straße ab- und der Instrumentierung zuzuwenden, beispielsweise, um sich der Regulierung der Klimaautomatik zu widmen. In puncto Sicherheit ist das nicht unbedingt ein Gewinn. Und überhaupt haben wir unsere Zweifel, ob der erfahrungsgemäß eher konservativen Golf-Klientel die neue Bediensystematik behagt, denn unkomplizierter ist sie nicht geworden.
Dabei lässt sich die Menüführung des Infotainments eigentlich wunderbar intuitiv handhaben, die Bildschirmdarstellung fällt so gestochen scharf aus, als würde man – Stichwort Rückfahrkamera - in einen Rückspiegel blicken und das optionale Head-up-Display ist ganz hervorragend geraten.
Zunehmend verlegten wir uns darauf, dem Golf unsere Wünsche verbal vorzutragen (Beispiel: "Hallo Volkswagen, ich möchte warme Füße"), was weitgehend prima funktioniert. Aufgeschreckt haben uns indes gelegentliche optische und akustische Warnmeldungen, wonach Systeme wie der Notbremsassistent nur eingeschränkt verfügbar seien - was sich schlussendlich aber als falscher Alarm herausgestellt hat.
Gelinden Unmut erzeugten auch die Lüftungsdüsen, die keine Rädchen zur Regulierung der Luftmenge mehr besitzen und sich nur in der Richtung verstellen lassen.
Und sonst? Über "Car2X" kann sich der Golf mit anderen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur vernetzen und dann beispielsweise vor Gefahrensituationen wie Stauenden oder querenden Notarztwagen warnen.
Wie viel Platz er hat: Für einen Kompakten viel. Auch die rückwärtigen Passagiere genießen langstreckentauglichen Sitzkomfort mit viel Kopf-, Ellbogen- und Schulterfreiheit. Der Kofferraum – 381 bis 1237 Liter – bietet mehr Volumen als der vieler Konkurrenten, ist ladefreundlich ausgeformt und über die niedrige Ladekante kräfteschonend zugänglich.
Was ihn antreibt: Ein turbobeatmeter 1,5-l-Benziner mit 110 kW/150 PS, ausgestattet mit Ottopartikelfilter und temporärer Zylinderabschaltung (ACT), die im Teillastbetrieb zwei der vier „Töpfe“ stilllegt. Von diesem zum Wohle der Effizienz erfolgenden Vorgang bemerkt der Fahrer nichts, nur ein Hinweis im Kombiinstrument informiert ihn entsprechend.
Der Vierzylinder erweist sich als feine Antriebsquelle, laufruhig und kultiviert agiert er, flott bringt er den Golf in Fahrt und versorgt ihn auch bei niedrigen Drehzahlen souverän mit Kraft, macht ihn somit zum angenehmen Partner für entspanntes Fahren.
Der Sprint von 0 auf 100 km/h erfolgt in 8,5 Sekunden, die Topspeed beträgt 224 km/h.
Bestnoten verdient die Sechsgangschaltung; sauber, leicht und präzise erfolgen die Gangwechsel.
Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe DSG ist für den 1.5 TSI nicht zu haben, es bleibt dem mit einem 48-Volt-Mildhybridsystem arbeitenden 1.5 eTSI vorbehalten.
Wie er sich fährt: Großartig. Nahezu perfekt hält der Golf die Balance zwischen dynamisch auf der einen und komfortabel auf der anderen Seite. Die Fahrsicherheit ist über jeden Zweifel erhaben, narrensicher und neutral durcheilt der Wolfsburger mäandernde Strecken, dirigiert von einer vorzüglichen Lenkung. Störstellen wie Gullideckel oder Asphaltflicken werden ebenso sanft wie sensibel absorbiert.
Aufgefallen ist uns allerdings, dass auch bei geschlossenem Panoramadach verhaltene Windgeräusche durchs Cockpit säuseln.
Unterstützung leistet ein nahezu lückenlos aufgestelltes Team an Fahrassistenten. Serienmäßig arbeiten Müdigkeitserkennung und Notbremsassistent zu, ab "Style" auch der "Travel Assist" mit Spurhalteassistent und Emergency-Assist, der den Golf automatisch zum Stillstand bringt, wenn eine Reaktion des Fahrers ausbleibt. Gegen Aufpreis lassen sich unter anderem die tadellos funktionierende Verkehrszeichenerkennung oder ein Parklenk- und Spurwechselassistent ordern, Querverkehrswarner inbegriffen.
Toll bei Nacht: Die LED-Matrix-Scheinwerfer des IQ-Lichts.
Was er verbraucht: Was die Tankrechnung betrifft, macht der Golf 1.5 TSI nicht arm. Den Normverbrauch von 5,0 bis 4,8 l/100 km haben wir zwar nicht erreicht, blieben bei dezidiert maßvollem Fahrverhalten – 5,2 l/100 km – aber nicht weit davon entfernt. Im Schnitt notierten wir 6,0 l/100 km.
Was er bietet: Die 1.5-TSI-Motorisierung ist nicht in Verbindung mit der Basisausstattung erhältlich, der Einstieg erfolgt auf "Life"-Level. Zur Serienausstattung gehören dann unter anderem das Digital-Cockpit, Climatronic, Radio "Composition", Ambientebeleuchtung, schlüsselloses Startsystem, Müdigkeitserkennung, Notbremsassistent, Car2X und Aluräder.
Die "Style"-Ausstattung unseres Testwagens beinhaltet neben dem erwähnten ergoActive-Fahrersitz beispielsweise Drei-Zonen-Klimaautomatik, Einparkhilfe, die automatische Distanzregelung und das Fahrassistenzpaket "Travel Assist".
Überlegenswerte Extras sind das Matrix-Licht (inklusive des umfangreichen Licht-und-Sichtpakets 2057 Euro), das Head-up-Display (682 Euro), das Top-Multimediasystem "Discover Pro" inklusive Navi (1862 Euro) und die adaptive Fahrwerksregelung mit Fahrprofilauswahl (1019 Euro).
Was er kostet: Ab 27.031 Euro, als "Style" ab 29.249 Euro. VW wirbt derzeit damit, seinen Kunden die aktuelle Mehrwertsteuer in Höhe von 16 Prozent zu "schenken".
Was wir meinen: Auch in neuer Generation ist der Golf wieder ein fabelhaftes Auto geworden, ein Alleskönner, der sowohl auf der Kurz- wie auf der Langstrecke überzeugt. Das ganz auf Digitalisierung ausgerichtete Cockpit sieht toll aus, auch die digitalen Fähigkeiten an sich beeindrucken - weisen hinsichtlich der Bedienbarkeit aber noch Verbesserungsbedarf auf.
Ulla Ellmer
VW Golf 1.5 TSI ACT: Die Daten
Hubraum 1498 ccm, Zylinder 4, Leistung 110 kW/150, max. Drehmoment 250 Nm bei 1500 - 3500/min, Spitze 224 km/h, Beschleunigung 0 auf 100 km/h in 8,5 sec, Normverbrauch innerorts 6,3 – 6,2, außerorts 4,1 – 3,9, kombiniert 5,0 – 4,8 l S/100 km, Testverbrauch 6,0 l S/100 km, CO2-Emission 114 - 109 g/km, Schadstoffklasse Euro 6d-Temp, Energie-Effizienzklasse B-A, Länge 4,28 m, Breite 1,79 m ohne, 2,07 m mit Außenspiegeln, Höhe 1,49 m, Kofferraum 381 bis 1237 l, Kraftstoff-Tank 50 l, Leergewicht 1331 kg, zulässiges Gesamtgewicht 1830 kg, Anhängelast 1500/1700 kg (gebremst), 660 kg (ungebremst). Manuelle 6-G-Schaltung, Frontantrieb. Versicherungs-Typklassen 13 (KH), 20 (VK), 20 (TK). Preis ab 27.031 Euro.