Genfer Automobilsalon 2019: Die Zeichen stehen auf Strom

6.3.2019, 22:44 Uhr
Genfer Automobilsalon 2019: Die Zeichen stehen auf Strom

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Es sind die ersten Märztage in Genf, und vieles ist wie immer. Der Lac Léman schmückt sich mit seiner Wasserfontäne, aus der Ferne grüßt der Mont Blanc, eine erste Ahnung von Frühling liegt in der noch kühlen Luft, und die Fahrzeuge stauen sich dicht an dicht auf ihrem Weg zum Palais d'Expositions, wo bis zum 17. März die erste Automesse des Jahres stattfindet.

In den Hallen des "Palexpo" ist indes vieles ganz und gar nicht mehr so wie immer. Unübersehbar sind die Zeichen einer neuen Zeit. Das fängt mit dem Ausstellerschwund an: Genf - das ist stets ein Pflichttermin für die Branche gewesen; gern traf man sich, um auf angenehm überschaubarem Terrain das neue Autojahr einzuläuten. Fehlen mochte da keiner. 2019 hat sich das geändert. Ford bleibt dem Salon ebenso fern wie Jaguar Land Rover, Hyundai, Opel oder Volvo. Mit der publikumswirksamen Ankündigung, die Höchstgeschwindigkeit ihrer Modelle ab 2020 auf 180 km/h zu begrenzen, machten die Schweden nur aus der Ferne von sich reden. Ansonsten schickte Volvo lediglich die elektrische Tochter Polestar gen Genf.

Hochamt des PS-Kults

Autoshows verlieren ersichtlich ihre Strahlkraft. Speziell Genf galt noch mehr als andere Messen als ein Hochamt der PS-Leidenschaft, ein Treffpunkt der atemberaubenden Exoten, für die nicht selten gleich vor Ort der Kaufvertrag verfertigt wurde, unterschrieben von hochgradig finanzstarken Herrschaften, deren Privatjets am unmittelbar benachbarten Airport warteten.

Auch 2019 sind sie noch zu besichtigen im Palexpo, die flachen Flundern mit den bis zu vierstelligen PS-Zahlen und den im Extremfall achtstelligen Preisen: Der dem Vernehmen nach für elf Millionen Euro verkaufte "La Voiture Noir" von Bugatti beispielsweise, ein handgefertigtes Unikat mit 1500 PS starkem Achtliter-W16-Kraftwerk unter der Haube. Der Ferrari F8 Tributo, dessen 3,9-l-V8 auch nicht eben schlappe 720 PS leistet. Oder der Lamborghini Aventador SVJ Roadster, den ein V12 mit 770 PS bis auf 350 km/h Topspeed beschleunigt und der 387.007 Euro kostet - plus Steuern.

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Die Stunde der Start-ups

Doch die Hochkaräter erscheinen wie Geschosse von gestern. Denn die Autowelt befindet sich im Wandel, und auch das prägt die Atmosphäre von Genf. Über den Ausstellungsflächen der genannten Messe-Abstinenzler prangen neue Namen, der des russischen Staatskarossen-Herstellers Aurus etwa, aber auch von allerlei Start-ups. e.GO etwa zeigt neben der Sportversion seines Elektro-Zwergs e.GO Life den luxuriösen E-Shuttle e.GO Lux, "Sven" ist ein 2,50 Meter kurzer, komplett vernetzter Winzling für Sharing-Zwecke, und Bicar präsentiert ein einsitziges Leichtfahrzeug mit auswechselbaren Batterien und Solarzellen auf dem Dach.

Mikromobilität ist ein großes Thema in Genf, auch die etablierten Hersteller liefern ihren Beitrag - so wie Seat mit dem Minimó, einem dem Renault Twingo nicht unähnlichen Zweisitzer, der wie das Bicar ein Akkuaustauschsystem vorsieht.

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Stromer in allen Klassen

Alle fahren sie elektrisch, und überhaupt ist elektrisch das neue Normal. Normal deshalb, weil die gezeigten Stromer wie selbstverständlich auf den Ständen stehen und vielfach unmittelbar vor der Markteinführung stehen. Peugeot beispielsweise bietet die Neuauflage seines Kleinwagens 208 vom Start weg auch in einer elektrischen Version an, Kia offeriert den neuen e-Soul und optimiert Niro Hybrid/Plug-in-Hybrid, der chinesische Hersteller Aiways kommt mit einem stromernden SUV namens U5 daher.

Ein besonders sehenwertes Exemplar der Gattung "E" ist der e-Prototype von Honda, der geschickt Retro und Moderne mixt und dessen Serienversion noch im Laufe dieses Jahres vorgestellt wird. Audi präsentiert den Q4 e-tron, ein Ausblick auf ein SUV-Coupé, das als Gegner des kommenden Telsa Model Y tätig werden könnte. Aus dem minivanartigen Seat el-born soll 2020 Serienwirklichkeit werden, Skoda gibt mit dem Vision iV einen Ausblick auf seinen elektrischen Crossover, und Kia zeigt den bildschönen "Imagine" - einen Crossover aus Limousine und SUV mit Portaltüren und 21 fächerförmig angeordneten Mini-Bildschirmen auf dem Armaturenträger.

Selbst Raum-Riesen wie die neuen Generationen des VW Bulli (T6.1)  und der Mercedes V-Klasse (EQV) werden in rein batterieelektrischer Ausprägung auf den Markt kommen.

Groß ist zudem die Zahl der Plug-in-Hybride, von Audi über BMW und Mercedes bis hin zu Alfa Romeo und Jeep werden neue Vertreter auf die Straße geschickt.

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Noch lebt die alte Auto-Welt

Alles elektrisch also? Nicht ganz. Die alte Autowelt lebt schon noch und manifestiert sich in neuen Modellen. Mercedes bringt den facegelifteten GLC und den CLA Shooting-Brake in Stellung, Renault den neuen Clio, Mazda das schicke SUV-Coupé CX-30, Porsche das 911 Cabriolet, Skoda das kleine SUV Kamiq sowie den Rapid-Nachfolger Scala und Seat den Formentor, das erste eigenständige Modell seiner sportlichen Tochter Cupra.

Sollte der Genfer Automobilsalon überleben, dann könnte er ein Hochamt der PS-Leidenschaft bleiben. Denn aus überlebenstaktischen Gründen setzen sich die automobilen Exoten vielfach unter Strom. Der Mark Zero von Anton Piëch (Sohn des ehemaligen VW-Chefs Ferdinand Piëch), der hyperluxuriöse, 1019 PS starke Gran Turismo "Carmen" von Hispano Suiza oder der 1926-PS-Bolide Battista von Pininfarina stellen sicher, dass geldschwere Genf-Besucher auch in Zukunft nicht unverrichteter Dinge in ihre Privatjets steigen müssen.

Ulla Ellmer

 

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