Jaguar: Der I-Pace überholt sie alle

30.7.2018, 17:00 Uhr
Jaguar: Der I-Pace überholt sie alle

© Hersteller

Die anderen reden seit Jahren, Jaguar aber hat gehandelt. Zur allgemeinen Überraschung ist es den Briten als erstem Volumenhersteller gelungen, einen veritablen Power-Stromer aus dem Hut zu zaubern. Während Mercedes seine EQ-Studien und VW seine I.D.-Concepts noch von Messe zu Messe schippert, steht der Jaguar I-Pace schon leibhaftig beim Händler.

Der coole Crossover hat aber nicht nur die deutsche Premiumkonkurrenz rechts überholt, sondern auch Tesla. Die Kalifornier ringen noch immer um die Qualifikation zur Massenproduktion, Jaguar hingegen beherrscht das Metier, und zwar auf Premiumebene.

Der I-Pace, sagt Chefentwickler Wolfgang Ziebart, sei mit Abstand das faszinierendste Projekt seiner Laufbahn gewesen. Das will etwas heißen, denn Ziebart (68) hat in seinem Berufsleben schon viel Spannendes geleistet - in seiner Zeit bei BMW war er für den 3er verantwortlich, bei Infineon wiederum arbeitete er am iPhone mit. Im Falle des I-Pace ist für ihn ein Entwicklertraum wahr geworden: Ausgehend vom berühmten weißen Blatt Papier und befreit von allen Zwängen, die große Motoren, Getriebeeinheiten und Abgassysteme bislang auferlegt haben, stellte das Team in geradezu atemberaubenden vier Jahren ein komplett neuartiges Automobil auf eine Elektroplattform. Die große 90-kWh-Lithium-Ionen-Batterie sitzt tief zwischen den Achsen, zwei Elektromotoren mit maximal 400 PS und 680 Newtonmetern Drehmoment finden sich in die Vorder- und Hinterachse integriert, Allradantrieb also.

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Veganes statt Leder

Die große Freiheit des batterieelektrischen Designs machte es möglich, bei 4,68 Metern Außenlänge einen opulent oberklasseverdächtigen Radstand von fast drei Metern zu schaffen, viel Platz also für die Passagiere, von denen der I-Pace bis zu fünf mitnimmt. Auch am Kofferraum (656 bis 1.453 Liter) sollte eine Karriere als Reisefahrzeug nicht scheitern. Die Abwesenheit eines Getriebetunnels schafft Raum für ein weiteres 10,5-Liter-Staufach in der Mittelkonsole, und unter der "Motorhaube" findet sich ein zusätzliches kleines Gepäckabteil. Eingerichtet ist der I-Pace topmodern und premiumlike, mit veganen Materialien als Alternative zu Leder, virtueller Instrumentierung, zwei Touchscreens und kaum physischen Bedienelementen.

Fabelhaftes Fahrverhalten

Aber wie fährt er sich denn nun, der batterieelektrische Premium-Stromer? Die Antwort lautet: Großartig. Was der niedrige Schwerpunkt und die perfekt austarierte 50:50-Gewichtsverteilung schon erwartungsfroh vermuten lassen, bestätigt sich, sobald der I-Pace auf die Straße darf. Unglaublich fahraktiv schnürt der 2,1 Tonnen schwere Jaguar über oberbayerische Landstraßen; der Fahrer freut sich über jede Kurve, rein in die Biegung, raus aus der Biegung, das funktioniert mit behänder Leichtfüßigkeit und gleichzeitig unter voller Körperkontrolle. Auf den Allradantrieb ist Verlass, übrigens auch im Gelände, wo der I-Pace selbst halbmetertiefe Wasserfurten durchwatet. Dass das Fahrwerk eher straff als komfortabel abgestimmt ist, gilt es zu tolerieren. Eine adaptive Luftfederung gibt es, sie ist eine feine Sache, kostet aber fast 1.600 Euro Aufpreis, was in dieser Preisklasse schon einigermaßen erstaunlich ist.

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Aber wow, mit welcher Verve doch die elektrischen Kräfte walten! Wenn das die Zukunft ist, dann her damit. Taste auf "D" gestellt und los geht's, in 4,8 Sekunden erstürmt der I-Pace die Tempo-100-Marke, ein lautloser Temperamentsausbruch, denn den mehrstufigen Soundgenerator lassen wir ausgeschaltet und genießen die geräuschfreie Geschmeidigkeit, mit der dieser Stromer seine eindrucksvolle Fahr-Show abzieht.

400 Kilometer im wahren Leben

Bei 200 km/h bereitet die Elektronik dem Vorwärtsdrang ein Ende, zu schnell würde sonst die Reichweite schmelzen. 480 Kilometer gibt Jaguar gemäß WLTP an, eine eher optimistische Sicht der Dinge, im wirklichen Leben bringt man es eher auf Werte um 400 Kilometer, was definitiv aber auch schon eine Menge ist. Reichweitenkiller sind neben starker Leistungsanforderung auch elektrische Verbraucher wie die Klimaanlage; wir fuhren den I-Pace an einem superheißen Sommertag und stellten fest, dass starkes Herunterkühlen via A/C den prognostizierten Aktionsradius gleich mal von 412 auf 380 Kilometer eindampfte. Damit war es aber auch gut, weder in der Stadt noch auf der Landstraße oder bei (gemäßigter) Autobahnfahrt ließ sich der Jaguar dann noch unbotmäßig viel an Kilometer-Reserve rauben.

Das hat auch mit seiner Fähigkeit zum Rekuperieren zu tun, die auf Stufe "hoch" sogenanntes "One-Pedal-Driving" ermöglicht, der Wagen hält also an, ohne dass das Bremspedal bemüht werden muss. Nervig ist allerdings, dass die Umstellung von einer auf die andere Rekuperationsstufe gleich mehrere Klicks durchs Infotainment erfordert, das - wenn wir schon beim Meckern sind - sowieso etwas intuitiver und reaktionsschneller arbeiten dürfte.

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Lange Ladezeit

Wer die Lebenspartnerschaft mit dem I-Pace eingeht, sollte sich für zuhause eine Wallbox gönnen, an der er mit 7kW laden kann. Dann ist die große 90-kWh-Batterie zumindest über Nacht wieder voll, nach zehn Stunden zu 80 und nach 12,9 Stunden zu 100 Prozent. An der ganz normalen Haushaltssteckdose mit Schuko-Stecker kann das Ladeprozedere schon mal 40 Stunden in Anspruch nehmen. Wesentlich zügiger geht's an der öffentlichen Ladestation mit Gleichstrom, mit 50 kW sind 85 Minuten und mit 100 kW 40 Minuten (jeweils 80 Prozent) einzukalkulieren. Als Stromverbrauch nannte uns der Bordcomputer übrigens 23,4 kW/h pro 100 km.

Strom-Abo für 46 Euro

Jaguar bietet seinen Kunden ein Strom-Abo in Kooperation mit "Plugsurfing" an, gegen eine Monatsgebühr von 46 Euro kann der Wagen dann an europaweit 70.000 Stationen andocken, wobei die erste halbe Stunde für Gleichstrom-"Tanken" kostenlos ist und die erste Stunde für Wechselstrom-Zapfen.

Ein Massenprodukt wird der I-Pace nicht werden, dazu ist er mit 77.850 Euro zu teuer. Andererseits: Wer bei Mercedes oder BMW nach einem großen Premium-SUV sucht, wird selbst für ein konventionelles Modell schon eine Menge Geld los. Ganz einfach ist es indes nicht, an ein Exemplar des Elektro-Jaguars heranzukommen: Für dieses Jahr ist er in Deutschland bereits ausverkauft - blind bestellt, noch bevor überhaupt eine elektrische Testfahrt möglich war.

Ulla Ellmer

Lesen Sie auch: "Ein Jaguar ist das ideale Elektrofahrzeug" - I-Pace-Chefentwickler Wolfgang Ziebart im Gespräch mit nordbayern.de

Jaguar I-Pace in Kürze:

Wann er kommt: Bereits bestellbar, für dieses Jahr aber ausverkauft

Wen er ins Visier nimmt: Tesla Model X, den zum Jahresende erwarteten Audi e-tron quattro

Was ihn antreibt: Zwei Elektromotoren mit 400 PS

Was er kostet: Ab 77.850 Euro

Was noch folgt: Möglicherweise eine Sportversion (I-Pace R-Sport)

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