VW Golf 8: Golfen ohne Handicap?
27.11.2019, 22:33 UhrEr läuft und läuft und läuft: Dieser Slogan ist einst für den seligen VW Käfer erfunden worden. Längst trifft er aber auch auf dessen Nachfolger zu. Der golft und golft und golft: Seit 1974 sind 35 Millionen "Gölfe" verkauft worden, alle 40 Sekunden, so rechnet VW stolz vor, geht irgendwo auf dem Erdenrund ein Golf in Kundenhand über.
Jetzt steht die Generation 8 am Start. Und mit Hinblick auf die jahrzehntelange Modellgeschichte vermutet VW-Markenvorstand Ralf Brandstätter, dass so manch potenzieller Käufer "schon auf dem Rücksitz eines Golf groß geworden" ist.
Liebling der Deutschen
Es ist ein starker Status, den der Golf 8 zu verteidigen hat. Der Golf hat stets als das klassenlose Auto schlechthin gegolten, er kleidet die Kassiererin im Supermarkt genauso angemessen wie den Topmanager. Und obwohl der Trend inzwischen in Richtung SUV geht, bleibt der Golf nach wie vor das meistverkaufte Auto Europas und der Liebling der Deutschen sowieso.
Seit nunmehr 45 Jahren bringt VW das Kunststück fertig, seinen Kompakten von Modellwechsel zu Modellwechsel nur behutsam zu verändern, ihn im Vergleich zur Generation 1 aber doch vollendet modernisiert aussehen zu lassen. Auch der Golf 8 bleibt wieder ganz Golf, deshalb wollen wir uns mit der Optik nicht allzu lange aufhalten: Mit 4,28 Metern Länge bietet er nahezu unveränderte Abmessungen auf, seine Karosserie wurde im Windkanal zu einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,275 zurechtgeschliffen, die Front etwas tiefer gezogen und mit schmalen, serienmäßigen LED-Scheinwerfern versehen, die Linienführung zu technoider Klarheit geschärft – das war’s im Wesentlichen.
Große Augen macht der langjährige Golf-Fahrer aber, sobald er sich – was neuerdings auch via Smartphone funktioniert – Zugang zum Innenraum verschafft hat. Dort ist die digitale Moderne ausgebrochen. "Innovision Cockpit" nennt VW das bedeutungsvoll, und tatsächlich hat kein einziges Analoginstrument und kein einziger haptischer Schalter überlebt. Hinter dem Lenkrad sitzt immer ein individuell konfigurierbares 10-Zoll-Display und rechts daneben ein ausstattungsabhängig 8,25 oder ebenfalls 10 Zoll großer Touchscreen. Über ihn sind alle relevanten Informationen und Funktionen abzurufen beziehungsweise anzusteuern – vom (optionalen) Navi über die Assistenzsysteme und Radiosender bis hin zur Klimatisierung. Zuvorkommend vorkonfiguriert bietet das Display auch "Smart Climate"-Pakete wie "Füße wärmen" oder "Freie Sicht" an.
Lernen muss der Golf-Fahrer das Wort "Touchslider": Indem man mit dem Zeigefinger auf ihm hin- und herwischt, werden Lautstärke oder Temperatur verändert. Auch "Bedieninsel" gehört zum neuen Golf-Vokabular. Zwei solcher Flächen finden sich am Armaturenträger – eine links neben dem Lenkrad, sie vereint die Direkttasten für alles, was mit "Licht und Sicht" zu tun hat, die andere, unterhalb des Bildschirms, ist für Parken, Klimatisierung und Assistenzsysteme zuständig.
"Hallo, Volkswagen"
Als weitere Möglichkeit zur Befehlseingabe gibt es die Spracheingabe, die auf den Zuruf "Hallo Volkswagen" aufhorcht. So ganz zufriedenstellend funktioniert das allerdings noch nicht – als wir beispielsweise um "warme Hände" baten, reagierte die Damenstimme mit der ebenso unbefriedigenden wie kontraproduktiven Auskunft, dass "die Kühlung aktiviert" werde.
Endlich bekommt der Golf jetzt ein echtes Head-up-Display, das seine Botschaften direkt in die Windschutzscheibe projiziert. Und dass der Kompakte jetzt stets mit dem Internet verbunden ist, bedeutet für den Kunden auch, dass er bei der Konfiguration eine neue Gelassenheit walten lassen kann. Viele Features wie Alexa, Navi, Sprachsteuerung und sogar der "Travel Assist" (teilautomatisiertes Fahren bis 210 km/h) werden sich künftig nämlich auch noch nachträglich erwerben und dann "over the air" aufspielen lassen.
Zudem kann der Fahrer seine personalisierten Einstellungen in der Cloud abspeichern und sie beispielsweise direkt auf einen Golf-8-Mietwagen übertragen.
Ebenfalls eher zukunftsrelevant ist die Fähigkeit des Golf, "Car2X"-Kommunikation zu betreiben. Das bedeutet, dass er sich mit anderen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur vernetzt und dann – beispielsweise - rechtzeitig vor Gefahrensituationen wie Stau-Enden oder querenden Notarztwagen warnt. Um die entsprechenden Möglichkeiten auszuschöpfen, muss die Car2X-Infrastruktur freilich erst noch weiter ausgebaut werden.
Ratlos im Cockpit?
Es mag sein, dass vor allem die Non-Digital-Natives zunächst etwas ratlos im neuen Golf-Cockpit sitzen. Zur Beruhigung sei ihnen gesagt: Der Umgang mit dem "Innovision Cockpit" ist keine Hexerei, man erlernt ihn schnell. Die Menüführung erweist sich als klar aufgebaut und schnell durchschaut, häufig weisen auch farbige Bilder den rechten Weg.
So viel und so umfangreich zu den digitalen Fähigkeiten. Vor allem aber soll er ja fahren, der Golf. Hierzu nutzt er die gewohnt umfangreiche Vielzahl an Antriebsquellen: Benziner und Diesel zwischen 66 kW/90 PS und 221 kW/300 PS, Erdgas (TGI, 96 kW/130 PS) und insgesamt fünf Hybride, von denen zwei zur Gattung Plug-in (GTE) gehören und drei Mildhybride (eTSI) sind.
Berührungsängste in Sachen Diesel sind inzwischen unbegründet, die beiden Zweiliter-Vierzylinder-TDIs mit 85 kW/115 PS und 110 kW/150 PS betreiben mit einem sogenannten Twindosing-SCR-System Luftreinhaltung, es soll die NOx-Emissionen im Vergleich zu den Vorgängermotoren um bis zu 80 Prozent reduzieren.
Nicht alle Motoren sind allerdings bereits zum Verkaufsstart im Dezember verfügbar. Den Anfang machen neben den beiden Dieseln der 1.5 TSI mit 96 kW/130 PS und 110 kW/150 PS sowie dessen gleich starke Ausbaustufe zum 1.5 eTSI.
Während die noch für 2019 vorgesehenen Antriebe die Abgasnorm Euro 6d-Temp erfüllen, tun die im nächsten Jahr Nachgeschobenen Euro 6d Genüge, wie Produktmanager Petar Danilovic sagt. Darunter die Einliter-Dreizylinder-Basisbenziner mit 66 kW/90 PS und 81 kW/110 PS, zudem zwei weitere eTSI mit 81 kW/110 PS und 96 kW/130 PS sowie die beiden Plug-in-Hybride mit einer Systemleistung von 150 kW/204 bzw. 180 kW/245 PS.
Und natürlich werden wieder die dezidiert sportlichen GTI-, GTI-TCR-, GTD- und R-Modelle das Programm komplettieren. Nur ein rein elektrischer Golf E ist nicht mehr vorgesehen, dessen Rolle übernimmt bekanntlich im nächsten Jahr der ID.3
Auf ersten Probefahrten konnten wir uns mit dem 150 PS starken 1.5 eTSI bekanntmachen, dem VW ein ausgeprägtes Spartalent zuschreibt. Die in einer 48-Volt-Batterie unterm Beifahrersitz gespeicherte Energie treibt hier einen Riemen-Startergenerator an - ein System, das dem Golf 8 das Segeln mit abgeschaltetem Motor ermöglicht. Indem der der Startergenerator als kleiner Elektromotor das Antriebsdrehmoment erhöht, wird er zudem als Booster tätig wird und sorgt somit für mehr munteren Drive. Wie bei allen eTSI-Mildhybriden verwaltet serienmäßig ein neues Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe die Gänge, das über einen nurmehr sehr minimalistischen Wählhebel bedient wird.
In der Praxis erweist sich der eTSI als agiler Antrieb, der den Golf schnell in Fahrt bringt, ihn zügig beschleunigt (0 auf 100 in 8,5 Sekunden, Spitze 224 km/h) und auch mit Zwischenspurts in Gestalt schneller Überholmanöver keinerlei Mühe hat. Wann spritsparendes Segeln angebracht ist, weiß die Technik, via Digitalanzeige empfiehlt sie dann, den Fuß vom Gas zu nehmen.
Werksangaben zum Verbrauch gibt es noch nicht. Nach verhaltener Fahrt über portugiesische Landsträßchen und tempobeschränkte Autobahnen nannte uns der Bordcomputer 5,8 l/100 km, ambitioniertere Leistungsabforderung wird mit Werten um sieben Liter pro 100 km quittiert. Um valide Aussagen machen zu können, wird es einer ausführlicheren Erprobung bedürfen.
Ansonsten bleibt der Golf auch fahrtechnisch Golf, und das ist eine gute Nachricht. Leichtfüßig und fahrdynamisch benimmt er sich, dank der direkten Lenkung ist er präzise auf Kurs zu halten, über Misslichkeiten im Straßenbelag geht er noch gelassener als bislang hinweg, und das DSG-Doppelkupplungsgetriebe gehört zum Besten seiner Art.
Kein Sportsvan und kein Cabrio
Als Fünftürer wird der Golf nicht lange alleine bleiben. Im Herbst nächsten Jahres folgt der Kombi "Variant", auch ein robuster "Alltrack" ist wiederum vorgesehen. "Nicht geplant", sagt Ralf Brandstetter, sei indes eine Neuauflage des vor allem von älteren Kunden geschätzten "Sportsvan". Und auch mit einem Cabriolet wird es nichts, hier springt im nächsten Jahr die luftige Variante des Crossovers T-Roc in die Bresche.
Zum Thema Preis lässt VW bislang leider nur wissen, dass der Basis-Golf "knapp unter 20.000 Euro" kosten wird. Potenziellen Kunden, die unter den Ausstattungslinien "Golf", "Life", "Stye" und "R-Line" sowie unter zahlreichen Assistenzsystemen wählen können, hilft das nur bedingt weiter. Als Schnäppchen dürfte sich der Golf 8 freilich kaum andienen, anzunehmen ist, dass der Preis sein einziges Handicap wird.
Unser Fazit: Der Generationenwechsel zum Golf 8 ist VW rundum gelungen. In seiner klaren Sachlichkeit sieht der Neue topmodern aus und bleibt doch ganz Golf, die Digital-Kompetenz befindet sich auf allerneuestem Stand, die Motorenpalette lässt es nicht an elektrifizierten Möglichkeiten fehlen. Auch wenn man in Wolfsburg medial eher die elektrische Zeitenwende propagiert: Ein Ende der Golf-Karriere ist nicht in Sicht, "natürlich nicht", sagt Ralf Brandstätter und setzt gefühlte fünf Ausrufezeichen dahinter. Auch eine Generation Golf 9 wird es also noch geben, mindestens. Es golft und golft und golft auch weiterhin.
Ulla Ellmer
VW Golf 8 in Kürze:
Wann er kommt: Vorverkauf ab 5. Dezember, Auslieferung der ersten Modelle noch vor Weihnachten
Wen er ins Visier nimmt: Ford Focus, Opel Astra, Mazda 3, Peugeot 308, Hyundai i30, Kia Ceed etc.
Was ihn antreibt: Benziner zwischen 66 kW/90 PS und 110 kW/150 PS, Diesel mit 96 kW/130 PS und 110 kW/150 PS
Was er kostet: Basismodell unter 20.000 Euro. Exakte Preise noch nicht bekannt.
Was noch kommt: Im nächsten Jahr die Basis-Benziner, weitere Mildhybride, zwei Plug-in-Hybride, Erdgas-Antrieb TGI. GTI-, GTD- und R-Modelle. Kombi „Variant“, robuster Golf „Alltrack“
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