Menschenbilder der Renaissance

17.09.2011, 13:00 Uhr
Menschenbilder der Renaissance

© dapd

Eine Frau zum Verlieben: ebenmäßige Züge, gütige Augen, ein sanftes Lächeln. Heinrich VIII. war entzückt von der Darstellung Anna von Kleves, die Hans Holbein d. J. ihm nach England sandte. Schmachtend nach dem „Anblick ihrer Grazie“ reiste ihr der englische König entgegen – und wurde bitter enttäuscht. „Für Heinrich VIII. sah Anna älter aus, als ihre 24 Jahre erwarten ließen, und Holbeins Gemälde verschwieg die Tatsache, dass ihr Gesicht durch Pocken entstellt war“, schreibt Andreas Tacke im nachgerade unterhaltsam zu lesenden Ausstellungskatalog. Widerwillig und ausschließlich aus politischem Kalkül ging der König die Ehe mit der „flandrischen Stute“ ein. Nach sechs Monaten, am 9. Juli 1540, wurde sie per Gesetz annulliert. Anna behielt ihre Unschuld und – was nicht allen Ehefrauen Heinrichs gelang – ihren Kopf.

Mit Bildern Politik machen

Menschenbilder der Renaissance

© Hypo-Kunsthalle

Das Beispiel zeigt: Auch vor 500 Jahren – und nicht erst im Zeitalter von Internet, Digitalfotografie und elektronischen Bildbearbeitungsprogrammen — war es ratsam, Bildern zu misstrauen. Vor allem den Porträts, denn sie waren wohl so gut wie nie wirklich naturgetreue Wiedergaben, sondern immer ein Stück weit Illusionen und „Erfindungen“ mit einer gewissen Glättung und Idealisierung der Gesichtszüge. Zumindest gilt das für die repräsentativen Konterfeis, die Herrscher und aufstrebende Bürger von sich in Auftrag gaben. Wer zahlt, schafft an und will gut aussehen. Die gerne lebensgroßen Bildnisse der Regierenden wurden an fremde Höfe verschickt, um Ansehen und Erfolg des Herrschers zu demonstrieren. Die meist kleinformatigen Porträts von betuchten Bürgern waren kostbarer Familienbesitz, der zu Hause verwahrt oder an die Verwandtschaft verschenkt wurde.

Bürger gaben dabei gerne vor, mehr zu sein, als wie waren. Das zeigen in der Ausstellung mit ihren insgesamt 164 Menschenbildern aus den großen Museen der Welt einige besonders prägnante Beispiele aus Nürnberg: Der Handwerker Hans Durr ließ sich 1520 von Hans Brosamer entgegen der gesetzlichen Kleiderordnung in Landsknechttracht abbilden. Renommiersucht oder Rollenspiel? Das können auch die (Kunst-)Historiker heute nicht mehr klären. Sebold Schwarz, ein reicher, aber nicht der Oberschicht angehörender Nürnberger, schmückt sich auf dem 1523 ebenfalls von Brosamer gemalten Bild mit golddurchwirkter Haube und Goldstiften am Barett. Nur sein Mantel wirkt so, als habe der Maler ihn hingeschludert. Dabei liegt es an der Qualität des Stoffes: Minderwertiger Marderbauchpelz weist Schwarz trotz der güldenen Attribute als das aus, was er war: ein Angehöriger niedrigerer Schichten.

Bleiben wir in Nürnberg: Von Albrecht Dürer, der mit seinem frühen Bildnis des Vaters 1490 eines der ersten deutschen Renaissance-Porträts schuf, sind herausragende Bildtafeln versammelt. In München ist die beeindruckende Darstellung des Vaters von 1497 zu sehen, flankiert von der „Jungen Venezianerin“ (1505) und der schönen Elsbeth Tucher (1499): Ein Gipfeltreffen herausragender Dürer-Werke. Grafiken des Meisters sind dabei, aber auch zahlreiche weitere seiner berühmten Gemälde zum Beispiel von Michael Wolgemut, Jakob Fugger, Kaiser Maximilian I. oder dem Nürnberger Patrizier Jakob Muffel.

Gelungene Inszenierung

Menschenbilder der Renaissance

© Hypo-Kunsthalle

Die Ausstellung zeigt in einer wunderbaren Inszenierung auf dunkelblauen, roten oder tiefgrünen Wänden, die teilweise mit Brokatstoffen in derselben Farbe bespannt sind, wie die Künstler um das Bild des Menschen gerungen haben. Darum, die Personen auch psychologisch zu durchdringen und gleichzeitig ihre Stellung herauszuheben. Die Galerie der Köpfe wirkt keineswegs gleichförmig, sondern ist spannend und abwechslungsreich. Wie im echten Leben treten einem manche wie die von Lucas Cranach dem Jüngeren 1565 gemalte Anna von Dänemark als Kurfürstin von Sachsen recht sympathisch entgegen. Der von Vater Cranach 1534 porträtierten Prinzessin Maria von Sachsen mit dem herablassenden Blick möchte man dagegen lieber nicht begegnen.

Die fiese Visage des Mörders

Die autonomen Porträts entwickeln sich in Deutschland ab etwa 1460 mit ziemlicher Geschwindigkeit. Das zeigt in der Ausstellung der Sprung von den mitunter etwas deformiert und vollkommen unnatürlich wirkenden Bildnissen der Vor-DürerZeit zu den herausragenden Tafeln, die im frühen 16. Jahrhundert entstehen: Menschen aus Fleisch und Blut. Was das typisch Deutsche an den Porträts ist? „Das Streben nach Wahrhaftigkeit und der Mut, das tatsächliche Aussehen der Menschen zu zeigen“, meint Kurator Karl Schütz.

Tatsächlich trifft man immer wieder auf Schielende, zum Beispiel in Friedrich Herlins Darstellung von Jakob Fuchshart mit seiner Familie, deren einer Sprössling einen unübersehbaren Augenfehler hat. Innerlich und äußerlich hässlich: Dieses Bild wird – wohl zu Recht — von Hans von Berstatt mit seiner fiesen Visage vermittelt. Der 22-Jährige erstach im Mai 1540 in Mainz eine Fünfjährige, verging sich am Leichnam und zerstückelte ihn in 15 Teile. Der Mörder wurde gefasst, verurteilt und hingerichtet und von einem unbekannten Künstler wie auf einem Fahndungsplakat als Holzschnitt verewigt.

In Berlin sorgt gerade die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ für Schlagzeilen und Warteschlangen. Dass München jetzt ein ähnliches Thema mit hochkarätigen Leihgaben aufgreift – hier die Gesichter der Renaissance nördlich, dort südlich der Alpen –, ist Zufall. „Man spricht sich da nicht ab“, bestätigt Hypo-Kunsthallen-Chefin Christiane Lange und hofft auf einen ähnlichen Besucheransturm wie in der Hauptstadt. Verdient hätte ihn diese Ausnahme-Ausstellung.

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