. . denn in der Herberge war noch Platz für sie . . .
22.12.2016, 17:04 UhrAtomingenieur würde er gerne werden, sagte der junge Mann aus dem Iran. Als er damit irritierte Blicke erntete, fügte er schnell hinzu: Nein, nein, natürlich nicht, um Bomben zu bauen, sondern Kraftwerke!
Und dann war er seinerseits ziemlich irritiert, als man ihm sagte: Vergiss es, Deutschland steigt aus der Atomenergie aus. Als Ingenieur für Kernenergie kommst du hier nicht weit.
Das Beispiel zeigt zweierlei: „Wir hatten fähige und hochmotivierte Leute hier, die sehr an einer fundierten Ausbildung interessiert sind“, sagt Prof. Lutz Galiläer von der Evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN). „Aber von Deutschland hatten sie absolut keine Ahnung.“
Zusammen mit dem Projektmitarbeiter Markus Bünemann hat Galiläer in diesem Wintersemester an der EVHN einen Orientierungskurs für geflüchtete Menschen veranstaltet. Das Ziel: Flüchtlinge, die in ihren Ursprungsländern bereits studiert oder eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, zu informieren, wie Hochschule, Bildung und Berufsausbildung in Deutschland funktionieren.
Dafür wurde zuvor ein eigenes Curriculum erarbeitet. „Einiges von dem, was wir da eingebaut haben, wird an unserer Hochschule sowieso gelehrt“, sagt Galiläer. Themen wie Migration, Integration oder Sozialgesetzgebung gehören zum Standardprogramm im Studiengang Soziale Arbeit.
„Die Kursteilnehmer wurden uns von Betreuern in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften vermittelt“, erklärt Galiläer. Es kamen 14 Männer aus den Ländern Iran, Irak, Syrien und Äthiopien sowie eine Frau aus Kenia. Unterrichtssprache war offiziell Deutsch, in der Praxis auch mal Englisch – sowie oft genug Arabisch, wenn sich die Flüchtlinge gegenseitig erklärten, was einige verstanden hatten und andere nicht. Auf dem Stundenplan standen Themen wie rechtliche Voraussetzungen, Berufe, Tätigkeitsfelder, Arbeitsmarkt, Finanzierung und nicht zuletzt: Verhalten im Alltag. Denn die erwähnte Ahnungslosigkeit über Deutschland hat ihren guten Grund: „Flüchtlinge sind keine Erasmus-Studenten, die sich monatelang auf das Leben in ihrem Gastgeberland vorbereiten“, sagt Galiläer, „es sind überwiegend Menschen, die Hals über Kopf ihre Heimat verlassen haben.“
Entsprechend wenig haben viele von ihnen dabei, wenn sie hier ankommen. Geburtsurkunden, Schulzeugnisse, Hochschulbescheinigungen – das alles muss oft mühsam nachträglich beschafft werden, falls überhaupt möglich. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Wir hatten auch einen dabei, der hatte alle Unterlagen fein säuberlich in einer Dropbox hinterlegt“, berichtet Bünemann.
Ein weiterer Knackpunkt: Themen wie Gleichstellung oder Frauenförderung. „Sowas ist im Kulturkreis der meisten Flüchtlinge, auch der gebildeten, völlig unbekannt“, sagt Galiläer. „Da haben wir denen was absolut Neues erzählt.“
Auch zum Begriff „Studium“ gab es einige Verwirrung: „In einigen Ländern heißt Studium auch das, was bei uns eine berufliche Ausbildung ist“, erklärt Bünemann. „Aber für manche unserer Teilnehmer ist das genau das Richtige, was sie gesucht haben.“
Vier Wochen lang dauerte das Programm, viereinhalb Stunden am Tag, beziehungsweise insgesamt 90 Unterrichtseinheiten, wie Bünemann ausgerechnet hat. Eine Lehre für die Dozenten lautet: „Das war eindeutig zu viel Stoff“, sagt Bünemann, „das nächste Mal machen wir etwas weniger, um die Leute nicht zu überfordern.“
Denn nächste Male wird es geben. Bereits am 9. Januar startet ein neuer Kurs, zwei weitere sollen im kommenden Sommersemester folgen. Und dabei werden die Verantwortlichen noch ein wichtiges Detail berücksichtigen: „Freitagnachmittags war der Kurs immer so seltsam leer“, erzählt Bünemann. „Viele waren gar nicht da, und die, die da waren, haben komisch rumgedruckst.“
Der einfache Grund: Fast alle Kursteilnehmer sind Moslems, und die gehen freitags zum Beten in die Moschee. „Eigentlich ist das völlig klar“, sagt Galiläer, „aber daran hatten wir in der Vorbereitung überhaupt nicht gedacht.“
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