Erinnerungen sind der Schlüssel zu mehr Zeit

23.4.2019, 17:25 Uhr
Erinnerungen sind der Schlüssel zu mehr Zeit

Jetzt ist schon wieder Frühling, dabei war doch gerade erst Weihnachten – ach, wie rasend schnell die Zeit vergeht! Wer kennt diesen Gedanken nicht?

Der damit verbundene Spruch ging dem Regensburger Wissenschaftler Ferdinand Kosak seit seiner Kindheit auf die Nerven: "Mich hat das schon immer gestört, dass die Leute ständig darüber klagten, wie schnell die Zeit vergeht."

Bis heute will Kosak "dieses Gejammere nicht akzeptieren". Und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Regensburger Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie (Leiter: Prof. Christof Kuhbandner) hat er inzwischen die Möglichkeit, der Sache psychologisch auf den Grund zu gehen.

Denn ganz abgesehen von der rein philosophischen Betrachtung, ob es "die Zeit" wirklich gibt – sie ist eine physikalische Größe, die sich in klar definierte Abschnitte zerlegen lässt: Ein Jahr entspricht einem Umlauf der Erde um die Sonne, ein Tag einer Drehung der Erde um ihre eigene Achse. Eine Stunde ist der 24. Teil eines Tages, eine Minute der 60. Teil einer Stunde. Und so weiter.

Und doch kommt es uns manchmal vor, als verginge die Zeit quälend langsam. Und noch öfter scheint sie davonzurasen. "Diese Täuschung ist ein kulturelles Mem", sagt Kosak, also ein Bewusstseinszustand, der sich – wie sein biologisches Pendant, das Gen – in der Gesellschaft vervielfältigt und verbreitet.

"Ich glaube, dass man sich oft nicht bewusst ist, was alles in einer bestimmten Zeitspanne passiert ist. Wenn man sich das bewusst macht, merkt man erst, dass die Zeit gar nicht so schnell verrinnt, wie man denkt", sagt Kosak.

Diese These haben er und seine Kollegen in einer Online-Studie wissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis: Der Mensch kann selbst erheblichen Einfluss darauf nehmen, wie lange sich eine vergangene Zeitspanne anfühlt. Der Schlüssel zu "mehr" Zeit ist Erinnerung.

Insgesamt nahmen 379 Personen an der Studie teil. Dabei handelte es sich zum Teil um Studierende – denen die Uni Regensburg für solche Mitarbeit Credit Points fürs Studium gutschreibt.

Für die Studie wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Beide Gruppen bekamen die gleichen zwei Aufgaben, nur in anderer Reihenfolge. Für die erste Gruppe hieß es: Beurteile zunächst, wie schnell für dich die Zeit in den letzten fünf Jahren vergangen ist. Danach rufe dir selbst erlebte Ereignisse aus dieser Zeit in Erinnerung.

In der zweiten Gruppe sollten die Teilnehmer zuerst in Erinnerungen schwelgen und anschließend einschätzen, in welcher Geschwindigkeit die Zeitspanne von fünf Jahren für sie vergangen ist. Dabei stellten die Wissenschaftler fest: Personen aus der zweiten Gruppe empfanden die vergangene Zeitspanne als kürzer als die Probanden aus der ersten Gruppe.

Genauer gesagt: "Personen, die zuerst mindestens vier autobiografische Erinnerungen aus den letzten fünf Jahren abriefen, schätzten diese fünf Jahre im Mittel als langsamer vergangen ein, als diejenigen Studienteilnehmer, die sich erst nach der Zeiteinschätzung an Ereignisse erinnern sollten", berichtet Kosak.

Erinnerungen sind der Schlüssel zu mehr Zeit

Kontinuierlich verlangsamen ließ sich das subjektive Zeitempfinden jedoch nicht: Ein Abrufen von mehr als vier Erinnerungen führte nicht dazu, dass die Studienteilnehmer den Ablauf der vergangenen fünf Jahre als langsamer einschätzten.

Trotzdem lautet Kosaks Fazit: "Wir haben es ein Stück weit selbst in der Hand, wie schnell vergangen sich die Zeit anfühlt. Wer sich bewusst erinnert, kann das gefühlt schnelle Zeitvergehen etwas abmildern."

Stark vereinfacht lautet daher die Empfehlung: Bevor du jammerst, wie schnell doch die Zeit vergeht, setz dich erst mal hin und denk nach, was du in dieser Zeitspanne so alles erlebt hast.

Oder noch besser: Führe ein Tagebuch! "Das ist eine sehr schöne Möglichkeit", sagt Kosak, "sich Erinnerungen bewusst zu machen." Denn hat man erst ein paar Erlebnisse im Gedächtnis verfügbar, ist Weihnachten doch gefühlt schon ewig lange her – der Sommer kann kommen!

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