Klassenzimmer auf See: Erste Etappe geschafft

12.12.2015, 15:26 Uhr
Klassenzimmer auf See: Erste Etappe geschafft

© Foto: KUS-Projekt

Ein Schrei an Deck reißt die Besatzung der Thor Heyerdahl am Morgen aus ihren Reinschiff-Arbeiten: "Alle Mann an Steuerbord aufstellen!" Nachdem das Dröhnen der Schiffshupe verklungen ist, donnern langsame dumpfe Schläge durch den Hafen von Santa Cruz de Tenerife. Bis ein schöner schwarzer Rumpf den Bug der Thor passiert, um auf den Atlantik hinauszufahren. Jetzt werden die Schläge zu einem Trommeln, das schneller und lauter wird und seine Energie in einer dreifache La-Ola-Welle entlädt: "Für die Regina Maris ein dreifaches Hipp Hipp . . ." – "Hurra, Hurra, Hurra", schallt es aus vollen Kehlen übers Wasser.

Die Besatzung des Schiffes wächst zu einer großen Familie zusammen.

Die Besatzung des Schiffes wächst zu einer großen Familie zusammen. © Foto: KUS-Projekt

Schon früher am selben Morgen haben wir auf ähnliche Weise die Roald Amundsen verabschiedet und wünschten so beiden Schiffen alles Gute auf ihrem weiteren Weg gen Westen. Mit "High Seas High School" und "School at Sea" haben die zwei Traditionssegelschiffe zwei im Ansatz ähnliche Projekte wie wir beim "Klassenzimmer unter Segeln": Sie fahren mit Schülern an Bord um die Welt.

Das Schiff ist das Zuhause

Die Tage und Wochen auf See lassen unsere Welt auf den Mikrokosmos der Thor Heyerdahl zusammenschrumpfen. Das Schiff ist unser Zuhause, Arbeitsplatz, Naherholungsgebiet und Mittelpunkt des sozialen Lebens. Wir lieben es, jeden Tag mehr von ihm zu entdecken und hassen es, die entdeckten Ecken beim täglichen Reinschiff putzen zu müssen. Wir lieben, dass es schwimmt, uns sicher durch acht Meter hohe, raue Wellenberge trägt und uns in den Schlaf wiegt. Aber wir hassen die Schaukelei, wenn mal wieder ein Teller zu Bruch geht, es Mühe kostet auf der Toilette zu sitzen oder manch einer mit Seekrankheit kämpft.

Jeder Tag ist streng durchgetaktet und in ein Vier-Wach-System unterteilt. Die gesamte Besatzung, Schüler, Lehrer und Segelstamm, muss zweimal am Tag drei Stunden Wache halten. Ich bin während der ersten Etappe von 11 bis 14 und von 23 bis 2 Uhr dran. Die Zeit an Bord ist gefüllt mit Arbeit für die Instandhaltung unseres schwimmenden Zuhauses, für das Leben an Bord, das Fahren der Thor, Arbeit mit den oder für die Schüler und dazu dem Nötigen an Essen und Schlaf.

Man lernt hier etwas, das vielen Menschen an Land verloren gegangen ist und von dem ich mir wünsche, dass ich es über die Reise hinaus bewahren kann: intensiv und bewusst zu leben und auch die kleinen Momente der Erholung als solche wahrzunehmen und von ihnen zu zehren.

Lebensfreude der Delfine

Dazu gehört der Blick in die scheinbar unendlichen Weite, die je nach Wind und aktueller Lage in allen erdenklichen Nuancen von Blau erscheint. Bei Sonnenschein sieht es aus, als schwimme die Thor auf flüssigem Silber. Wir beobachten Delfine, die scheinbar mühelos und aus purer Lebensfreude unsere Bugwelle surfen. Wale bestaunen uns scheinbar genauso wie wir sie. Der Sternenhimmel ist viel heller und voller als an Land. Wir sitzen am Achterdeck, musizieren und singen. Mir selbst fällt es noch immer nicht ganz leicht, diese herrlichen Momente immer als Ruhepausen wahrzunehmen, weil wir gerade erst die erste Etappe unseres großen Abenteuers beendet haben.

Wegen Problemen mit dem Dieselmotor liefen wir mit zehntägiger Verspätung aus der Kieler Schwentine in die Förde und erreichten über den Nordostseekanal noch am gleichen Abend die Nordsee. Falmouth, den berühmten Weltumseglerhafen an Englands wunderschöner Südküste, erreichten wir dank günstiger Strömungen in Rekordzeit. Wie schon viele Expeditionen in vergangenen Jahrhunderten bunkerte die Thor hier erneut, um Diesel und Wasser aufzufüllen. Aus dem Englischen Kanal ging es in die wegen ihrer unruhigen See gefürchtete Biskaya im Westen Frankreichs. Und wieder stellten wir einen Rekord auf: Länger als jeder Jahrgang zuvor kämpfte sich die Thor durch das Seegebiet.

Weihnachten mit KUS-Familie

Erst nach sechs langen Tagen erreichten wir die Höhe von Kap Finisterre an der spanischen Nordwestküste. Die vielen Seekranken an Bord, aber auch alle anderen atmeten auf, der Wind drehte und endlich konnte das Klassenzimmer unter Segeln seinem Namen gerecht werden.

Wir segelten unter Vollzeug, also mit allen Segeln, nur manchmal unterstützt von der Maschine, an der spanischen und portugiesischen Küste entlang, ließen die Meerenge von Gibraltar an Backbord liegen und erreichten afrikanische Gefilde. Was deutlich an der täglich steigenden Temperatur zu bemerken war. Nach ein paar weiteren Tagen konnten wir endlich das Profil Teneriffas mit dem Vulkan "Teide" erkennen.



Die Besatzung der Thor, Schüler und Erwachsene, wachsen zu einer zuverlässigen, starken Ersatzfamilie zusammen, in der wir zusammen lachen und weinen, füreinander da sind und uns auf einander verlassen können. Ich freue mich, der Roald Amundsen und der Regina Maris gleich hinaus auf den Atlantik zu folgen, um weiter auf den Spuren Christoph Kolumbus’ und Alexander von Humboldts zu segeln, und wünsche uns wie ihnen eine glückliche Überfahrt sowie um den dritten Advent herum eine gesunde Ankunft in der Karibik, wo wir Weihnachten im Kreise unserer KUS-Familie feiern werden.

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