Lebensart
Biergarten: Lebensart, Kult, Sozialkitt - vom Volk erkämpft
21.03.2025, 05:03 Uhr
Frühling, Sonne - draußen sitzen: Mit den steigenden Temperaturen füllen sich die Biergärten, der Freiluft-Ausschank nimmt Fahrt auf. Dabei gibt es ein paar ganz spezielle bayerische Besonderheiten.
Die Brotzeit
Mancher "Zuagroaste" - auf Hochdeutsch der Zugereiste - staunt, wenn Einheimische im Biergarten - meist im oberbayerischen Raum - ihre eigene Tischdecke entfalten, Geräuchertes, Käse und Rettich, Salzstreuer und Besteck ausbreiten und gar ein Kerzchen anzünden. Das Mitbringen von Speisen ist hier verbürgtes Recht, das so in der Begründung zur bayerischen Biergarten-Verordnung steht: Einen Biergarten kennzeichne neben dem Gartencharakter die Möglichkeit, "dort auch die eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können". Nicht erwünscht: Sich die Pizza an den Biertisch liefern lassen. Hendl, Schweinsbraten, Würstel, manchmal Steckerlfisch - das gibts meist an den Verkaufsständen im Biergarten.
Die Revolution
Wenn es um ihr Recht auf den Biergarten geht, sind die Bayern zum Aufstand bereit. Rund 20 000 Menschen demonstrierten vor 30 Jahren am 12. Mai 1995 bei der sogenannten Biergartenrevolution gegen Einschränkungen bei den Öffnungszeiten. Die Demonstranten zogen zur Staatskanzlei und forderten: "Rettet den Biergarten". Anwohner hatten wegen Lärms geklagt und zunächst vor Gericht Recht bekommen. Biergärten hätten demnach ab 21.30 Uhr kein Bier mehr ausschenken sollen. "Im Sommer ist es da noch taghell", erläutert die Präsidentin des Vereins zur Erhaltung der Biergartentradition, Ursula Seeböck-Forster, den Volkszorn. Der Freistaat erließ auf den Protest hin die Biergartenverordnung, nach der bis 22.30 Uhr ausgeschenkt werden kann, um 23.00 Uhr soll - von Einzelentscheidungen abgesehen - Ruhe herrschen.
Sozialevent
Die Biergartenrevolution sei enorm wichtig gewesen, sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Bayern. "Der Protest hat maßgeblich dazu beigetragen, die bayerische Biergartenkultur zu erhalten." Auch das Recht zum Mitbringen der eigenen Brotzeit mache Biergärten für ein breites Publikum attraktiv. Seeböck-Forster verweist ebenfalls auf die soziale Komponente. Der Biergarten sei gerade in der Großstadt wichtig für Familien mit Kindern und nicht so viel Geld. Dort könnten sie im Freien sein und essen, oft gebe es Kinderspielplätze. "Wo soll denn eine Familie mit Kindern in der Großstadt einigermaßen kostengünstig hin? Ein Biergarten hat in der Großstadt eine große soziale Funktion."
Biergarten oder Wirtsgarten?
Die Frage, wann eine Außenfläche als Biergarten zählt oder eben nur als Wirtsgarten, hat bereits Gerichte beschäftigt. Denn mancher Wirt und manche Wirtin möchte gern draußen länger ausschenken. Biergärten seien durch ihre besondere Betriebsweise und Funktionalität von anderen Bereichen der Außengastronomie zu unterscheiden, urteilte der Verwaltungsgerichtshof in München 2023. Kleinere Wirtsgartenflächen in ansonsten eher nicht begrünter Umgebung könnten dem notwendigen Gesamtbild auch nicht entsprechen, wenn dort einige Bäume stünden. Auch die Erlaubnis zum Mitbringen eigener Speisen genüge nicht. "Zur Beurteilung des Vorliegens der "traditionellen Betriebsform" kommt es auf das Gesamtbild der Bewirtschaftung an."
Frei von Alkohol - und Cannabis?
Praktisch überall gibt es längst alkoholfreies Bier. Hier gelte "leben und leben lassen", sagt Seeböck-Forster. "Es ist wichtig, dass es alkoholfreie Angebote gibt. Aber ein gescheites Bier soll es trotzdem auch geben." Ein vorübergehend eingerichteter Pop-Up-Biergarten hatte im vergangenen Sommer in München für Wirbel gesorgt mit der Ankündigung, nur alkoholfreies Bier und anderes Anti-Alkoholisches auszuschenken. Er schloss laut Interneteintrag nach etwa zwei Monaten wieder. "Uns sind aktuell keine rein alkoholfreien Biergärten bekannt", sagt Dehoga-Landesgeschäftsführer Geppert. "Alkoholfreies Bier wird aber durchaus beliebter und ist inzwischen meist Standard."
Als vor einem Jahr die Teillegalisierung von Cannabis kam, tauchte auch die Frage auf: Darf im Biergarten gekifft werden? Die bayerische Staatsregierung verbot schließlich den Cannabiskonsum in Biergärten, auf Volksfesten und in einigen Parks komplett. Damit können Cannabis-Plätzchen wohl eher nicht als Teil der mitgebrachten Brotzeit gelten.
200-jährige Geschichte
Die Maß Bier unter Kastanien und eine mitgebrachte Brotzeit gehören in Bayern seit über 200 Jahren zum kulturellen Erbe: Am 4. Januar 1812 erlaubte König Max I. den Brauern, über ihren Bierkellern Bier auszuschenken - ohne Speisenangebot. Vorangegangen war ein Streit zwischen Brauern, Wirten und Gästen, der teils in Prügeleien endete.
Das Bier lagerte damals in unterirdischen Gewölben. Darüber pflanzten die Brauer schattenspendende Kastanien, um die Lagerräume kühl zu halten. An heißen Tagen lockte der Schatten auch Kunden zur Rast, die Bier holten - so mancher Krug wurde gleich geleert. Der neue Ausschank sorge für Ärger mit den Wirten, den erst der königliche Erlass 1812 befriedete. Demnach durften die Brauer von Juni bis September ihr Märzenbier ausschenken, um es "in minuti zu verschleißen", also: sofort zu trinken. Allerdings durften sie - zugunsten der Gastwirte - nur Brot anbieten. Weil die Biergarten-Gäste ihre Maß nicht auf nüchternen Magen trinken wollten, brachten sie ihr Essen kurzerhand mit. Aus der Gewohnheit wurde Tradition.



