Skispringer beendet Karriere

Genug geflucht: Eisenbichlers Flug in die Freiheit

25.03.2025, 11:00 Uhr
Sein größter Erfolg: Markus Eisenbichler wurde 2019 Skisprung-Weltmeister von der Großschanze.

© Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/ZB Sein größter Erfolg: Markus Eisenbichler wurde 2019 Skisprung-Weltmeister von der Großschanze.

Die gigantische Flugschanze im slowenischen Planica ist für Markus Eisenbichler das Tor zur Freiheit. Noch ein Wochenende auf Skiern durch die Lüfte fliegen, dann beginnt für den sechsmaligen Skisprung-Weltmeister ein neues Leben. Langlauf, Skitouren und Bergwanderungen: Der charismatische Naturmensch freut sich auf eine Zukunft voller Abenteuer. Auf das Dasein als Profi kann er nach Jahren der Entbehrungen gut verzichten.

„Es war eine Befreiung, nachdem ich den Rücktritt verkündet hatte“, sagte Eisenbichler dem „Kicker“. Der vom Anzug-Skandal schwer geplagte Skisprung-Sport hingegen verliert eine Persönlichkeit, die die Szene in der jüngeren Vergangenheit geprägt und bereichert hat. 

Mit knackigen Sprüchen wie „Sieg oder Sarg“ und „Pokal oder Spital“ machte der 33-Jährige auf sich aufmerksam. Sein derbes Fluchen wurde ebenso Kult wie exzessive Jubelszenen. Fans nannten ihn in Anlehnung an sein unverstelltes Auftreten zuletzt „den Thomas Müller des Skispringens“. Der Vergleich passt.

Jubel in Vikersund: Auf den großen Flugschanzen fühlte sich Eisenbichler besonders wohl.

Jubel in Vikersund: Auf den großen Flugschanzen fühlte sich Eisenbichler besonders wohl. © Daniel Kopatsch/Fa/dpa

Eisenbichler hat extrem viele Höhen und Tiefen hinter sich. WM-Gold im Einzel am Bergisel in Innsbruck und insgesamt sechs Titel bei Weltmeisterschaften machen ihn zu einem der erfolgreichsten Skispringer der deutschen Geschichte. Sportdirektor Horst Hüttel sieht Eisenbichler als „das Gesicht der WM 2019“, die in Tirol unweit der deutschen Grenze stattfand.

Beliebte Zielscheibe für Kritik

Doch auch Enttäuschungen und Rückschläge machten dem Bayern zu schaffen. Ein schwerer Sturz in Oberstdorf 2012 hätte seine Karriere beinahe ein gutes Jahrzehnt früher beendet. Bei Olympia in Pyeongchang 2018 war Eisenbichler Ersatzmann im Teamspringen und musste zusehen, wie seine Kollegen die Medaillen mit nach Hause nahmen. 2022 holte er in Peking dann immerhin noch die ersehnte Olympia-Medaille, es gab Bronze mit dem Team. „Ich wollte unbedingt diese Scheiß-Medaille. Das vor vier Jahren hat an mir genagt“, rief er in die TV-Kamera. Im Karriereherbst wollte dann nichts mehr gelingen. Eisenbichler war nicht nur sportlich erfolglos, sondern auch eine beliebte Zielscheibe öffentlicher Kritik.

Der ehemalige Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald nannte Eisenbichler „einen schwierigen Charakter“ und legte ihm schon 2023 ein baldiges Karriereende nahe. Auch Chefcoach Stefan Horngacher schonte „Eisei“ nicht. In einer für andere Sportarten undenkbaren Deutlichkeit sagte der Bundestrainer: „Dass er so überhaupt nichts zusammenbringt, ist für mich unverständlich. Er überspielt oft viele Dinge. Wir müssen mal reden, wo die Reise hingeht.“

Hochs und Tiefs: Der Skispringer durchlebte in seiner Karriere die volle Bandbreite der Gefühle.

Hochs und Tiefs: Der Skispringer durchlebte in seiner Karriere die volle Bandbreite der Gefühle. © Daniel Karmann/dpa

Für das Duo Horngacher und Eisenbichler endet die gemeinsame Reise am Wochenende im „Tal der Schanzen“ in Planica. Als der Deutsche Skiverband (DSV) den Rücktritt seines Top-Sportlers bekannt gab, wurde Horngacher nicht einmal zitiert. Eisenbichler stellte fest: „Er hat als Trainer einfach eine andere Herangehensweise.“ 

Grimassen hinter Pertile

Der Routinier sagt, er brauche seine Freiheiten wie die Radtouren und einen Besuch beim örtlichen Fußballtraining. „Ansonsten werde ich im Endeffekt unerträglich.“ Wo Eisenbichler nach Freiheit rief, witterte Horngacher ein Verletzungsrisiko. In der bald sechsjährigen Amtszeit des Österreichers war Eisenbichler in den Anfangsjahren noch konkurrenzfähig, ließ dann aber immer stärker nach.

Seit seiner Abschiedsankündigung wirkte Eisenbichler befreit. Als ihn jüngst die Kamera in der Box des Führenden schräg versetzt hinter Fis-Rennleiter Sandro Pertile einblendete, schnitt er fleißig Grimassen - er wirkte wie ein pubertärer Schüler, der es genießt, nicht mehr um eine Versetzung kämpfen zu müssen.

Zittern auf dem Balken

Als der deutsche Rekordhalter in Vikersund die 220-Meter-Marke überflog, brüllte er voller Freude „I love this“ (Ich liebe das) in die Kamera. Auch einige Minuten später am TV-Mikrofon schien Eisenbichler von dem Adrenalinschub noch beflügelt: „Skispringen ist mein Traum, mein Leben. Planica hupfe i nochmal runter.“ Eisenbichler berichtete aber auch von Ängsten und starkem Zittern, wenn er oben auf dem Balken sitze. „Es ist das Richtige, dass ich aufhöre. Das packe ich nicht mehr lang.“

Olympia in Südkorea war für Eisenbichler ein einschneidendes Erlebnis.

Olympia in Südkorea war für Eisenbichler ein einschneidendes Erlebnis. © Daniel Karmann/dpa

Wie geht es für den heimatverbundenen Bundespolizisten weiter? Einen Job im Skisprung-Sport kann er sich gut vorstellen, zudem will er seine zeitintensiven Hobbys mehr genießen. Und dann? „Mal schauen, was sich die nächsten Jahre tut. Familie, Partnerschaft, Ehe und irgendwann auch mal Kinder? Erst mal werde ich ein Haus bauen.“